Projekt Ichthyander: Wie das erste Unterwasserhaus in der UdSSR getestet wurde

Wissen und Technik
JULIA CHAKIMOWA
Die ersten Experimente in der UdSSR zu den Auswirkungen des Lebens unter Wasser auf den Menschen wurden nicht von Fachleuten, sondern von Amateuren durchgeführt.

Die 1960er Jahre waren in der Sowjetunion von dem Drang geprägt, nicht nur den Weltraum, sondern auch die Unterwasserwelt zu erforschen. Pioniere in diesem Geschäft waren Taucher aus Donezk, deren Begeisterung durch Informationen über die erfolgreichen Experimente des Forschers Jacques-Yves Cousteau angefacht wurde. 1962 ließ der Franzose in Marseille Conchelf I, das erste Unterwasserhaus der Welt, auf den Meeresboden sinken und „baute“ 1963 ein ganzes Dorf auf dem Meeresgrund des Roten Meeres.

Ein Haufen Altmetall

Während im Westen Fachleute die Unterwasserhäuser bauten und testeten, wurden in der UdSSR die ersten Versuche von Amateuren unternommen – von Mitgliedern des Tauchklubs Ichthyander, benannt nach dem Helden des sowjetischen Science-Fiction-Romans Der Amphibienmensch von Alexander Beljajew.

Im Herbst 1965 wurde mit der Montage des Unterwasserhauses begonnen. Die Eisenplatten – die zukünftigen Hauswände – wurden vom Donezker Institut für Bergbaumechanik und technische Kybernetik geliefert. Einen Kompressor, der die Flaschen der Taucher mit Druckluft füllen sollte, fand man auf dem Flughafen und reparierte ihn. Zur Stromversorgung hatten die Taucher nur ein stillgelegtes Kraftwerk, aber auch das kam ihnen gelegen.

Das erste Unterwasserhaus in der UdSSR hatte die Form eines kleinen Hangars mit einem gewölbten Dach, seine Fläche betrug sechs Quadratmeter, die Kapazität zwei Personen. Im Inneren befanden sich zwei übereinanderliegende Kojen, ein Tisch mit Telefon, Kontroll- und medizinischen Geräten sowie ein Sanitärblock. Vier Bullaugen verschaffen einen Rundblick. Die Belüftung war so ausgelegt, dass die Aquanauten sogar im Inneren rauchen konnten. Strom, Frischwasser und Luft sollten über Rohre und Kabel von der Küste her gepumpt werden, und die Lebensmittel von anderen Tauchern geliefert werden.

Am 5. August 1966 wurde das Haus nach Kap Tarchankut auf der Krim gebracht. Das Meer in diesem Gebiet war damals bereits gut erforscht: Hier wurden antike Amphoren und Haushaltsgegenstände der Skythen gefunden. Taucher errichteten am Kap ein Zeltlager für hundert Personen. Ingenieure und Retter waren an der Küste im Einsatz, um das Experiment zu sichern. Die Mediziner untersuchten die Atmung, den Blutkreislauf, den Stoffwechsel und die psychischen Reaktionen der Unterwasserbewohner. Kameraleute hielten den historischen Moment fest.

Ein erfolgreiches Experiment

Der erste Versuch, das Haus mit fünf anderthalb Tonnen schweren Betonblöcken auf eine Tiefe von 11 Metern abzusenken, wurde am 19. August 1966 unternommen, aber die Pläne wurden durch einen dreitägigen Sturm vereitelt, der die Blöcke über die ganze Bucht verstreute. Am 23. August wurde ein zweiter, erfolgreicher Versuch unternommen. Das Haus wurde zwei Stunden lang mit Rudern an den Ort des Absenkens geschleppt, da der Bootsmotor ausgefallen war.

Der erste Bewohner des Hauses war Alexander Chaes, Vorsitzender des Tauchclubs und Chirurg, der von seinem Kollegen Schora Tunin in die Tiefe begleitet wurde. Chaes verbrachte die ersten 24 Stunden allein.

„Die ganze Nacht wurde das Haus erschüttert. Mehrmals wachte ich erschrocken auf – ich verlor das Gefühl für den Raum, manchmal schien es mir, als würden die Trosse gleich reißen und ich müsste zum Ausgang eilen. Aber wo war der, auf welcher Seite? Und wo sollte ich dann den Felsen suchen, unter dem das Nottauchgerät lag? Jedes Mal rief ich besorgt in der Basis an, aber die zuversichtliche Stimme wiederholte immer wieder: ,Sascha, es ist alles in Ordnung ...ʻ. Nun lagen alle Zweifel hinter mir. Das Experiment, unser Experiment, war ein Erfolg...“ veröffentlichte die Zeitschrift Wokrug Sweta 1976 Auszüge aus Alexander Chaes’ Tagebuch.

Um 7.30 Uhr am Morgen des 24. August wurde Chaes von Ärzten untersucht und um 8.30 Uhr wurde das Frühstück von einem „Kellner“ angeliefert, den Alexander anschließend zu einem Tauchgang mitnahm. Am Abend stieß Dmitrij Galaktionow, ein Ingenieur aus Moskau, zu ihm. Und am 26. August wurde der Pionier durch Juri Sowjetow, einen Bergarbeiter aus Donezk, ersetzt.

Vor dem Auftauchen nahm Chaes eine Entsättigung vor, d. h. er entzog dem Körper Stickstoff, indem er ein Gemisch aus Sauerstoff und Helium und anschließend reinen Sauerstoff einatmete. Während des Aufstiegs, in einer Tiefe von sieben Metern, legte Chaes seine erste Pause von 20 Minuten ein. Drei Meter von der Oberfläche entfernt, eine weitere. Die Pausen dienen der Dekompression, also dem reibungslosen Abtransport von überschüssigem Stickstoff aus dem Körper. Innerhalb von 60 Minuten kam der erste sowjetische Aquanaut nach drei Tagen Unterwasserleben wohlbehalten und gesund an die Oberfläche.

Am nächsten Tag, dem 27. August, brach ein Sturm aus. Um 8 Uhr morgens gelang es den Ärzten, nach unten zu gelangen und die Gesundheitsindikatoren von Galaktionow und Sowjetow zu überprüfen, aber um 14 Uhr musste das gesamte Experiment abgebrochen werden.

Nach ihrer Rückkehr nach Donezk erhielt das Projektteam ein verspätetes Schreiben des Unterwassersportverbands über das Verbot des Experiments, aber einige Monate später zeichnete der Verband die Taucher dennoch mit einer Urkunde aus.

Projektentwicklung

Ichthyander-66 gab den Anstoß zu einer Reihe von Experimenten der Donezker Taucher mit Unterwasserhäusern. Am 28. August 1967 wurde ebenfalls auf der Krim, in der Laspi-Bucht bei Sewastopol, in zwölf Meter Tiefe Ichthyander-67 versenkt – ein Vier-Zimmer-Haus für fünf Personen, mit Küche, Schlafzimmer, Bad und Labor. Die Aquanauten – und nun waren auch Frauen dabei – lebten insgesamt 14 Tage lang abwechselnd unter Wasser. Sie testeten ihre Körper unter unnatürlichen Bedingungen auf ihre Leistungsfähigkeit und hatten auch Meerschweinchen, Mäuse, ein Kaninchen und eine Katze im Haus. So kam es, dass die Aquanauten auch ihre nervliche Belastung testeten – zweimal drang Wasser in das Haus ein, beim zweiten Mal wurde es bis zur Hälfte überflutet.

Das letzte Ichthyander-Haus wurde 1968 auf den Meeresboden hinabgelassen, ebenfalls in der Laspi-Bucht. Der Zweck des Experiments war die geologische Forschung: Nicht weit von dem Haus auf dem Meeresgrund arbeitete eine Bohranlage, die von den Aquanauten bedient wurde. Das Projekt wurde nach vier Tagen wegen eines Sturms abgebrochen. Es war das letzte Experiment der sowjetischen Amateur-Aquanauten.

Im Jahr 1970 wurde am Kap Tarchankut eine Gedenktafel für das erste Unterwasserhaus angebracht. Die Aufschrift lautet: Schau vorwärts und schau nicht zurück. Und im Jahr 2006, 40 Jahre nach dem Experiment, wurden dort drei schwarz-weiß karierte Platten installiert, die die Form des zweiten Ichthyander-Hauses symbolisieren.