C-Waffen: Russlands Kampf mit dem sowjetischen Erbe

An employee wears a gas mask and suit as he works at the chemical air weapons destruction facility on the premises of a  chemical weapons destruction facility at the Settlement of Maradykovo, Kirov Region.

An employee wears a gas mask and suit as he works at the chemical air weapons destruction facility on the premises of a chemical weapons destruction facility at the Settlement of Maradykovo, Kirov Region.

Grigory Sysoyev/TASS
Russlands Armee hat inzwischen 99 Prozent ihrer Chemiewaffen aus Sowjetzeiten vernichtet. Bis kommenden Herbst soll das Programm abgeschlossen sein. Was aber mit den dabei entstehenden Abfallprodukten und Giftstoffen geschehen soll, weiß niemand.

Wer Chemiewaffen vernichtet, muss Schutzanzug und Gasmaske tragen, wie hier in Maradykowo im Gebiet Kirow. / Grigory Sysoyev/TASSWer Chemiewaffen vernichtet, muss Schutzanzug und Gasmaske tragen, wie hier in Maradykowo im Gebiet Kirow. / Grigory Sysoyev/TASSRund 40 000 Tonnen chemischer Kampfstoffe wurden in Russland Ende des letzten Jahrhunderts eingelagert, an gottvergessenen Orten, weitab neugieriger Blicke und böser Absichten. Im kleinen Städtchen Gorny in der Oblast Saratow zum Beispiel, in den Gemeinden Kambarka und Kisner in der russischen Teilrepublik Udmurtien, in der Stadt Schtschutschje in der Oblast Kurgan, in der Gemeinde Maradykowo in der Oblast Kirow, im kleinen Dorf Leonidowka in der Oblast Pensa und der Kleinstadt Potschep in der Oblast Brjansk.

„Bei den Stoffen handelte es sich um Nervengifte, Organophosphate und hautschädigende Gifte: Senfgas, Lewisit, Sarin, Soman, VX. Abgefüllt wurden sie in Artilleriemunition, Granaten, Raketen, Bomben, in die Sprengköpfe taktischer Raketen, Kesselwagen und andere Behälter“, sagt der Militärbeobachter Wiktor Litowkin von der Nachrichtenagentur „Tass“ gegenüber RBTH.

Aufbewahrt wurden sie laut dem Experten recht sicher in Holzhangars. Dort lagerten die Waffen, ohne Zünder, aneinandergereiht auf Regalen wie Bücher in einer Bibliothek.

„Diese Depots waren mit Blitzableitern versehen, von Erdwällen umgeben, jedes Depot war mit einer Brandschutzausrüstung und mehreren Feuerlöschern ausgestattet. Ob jemand damit hätte hantieren können, wenn zum Beispiel Granaten mit Nervengas gebrannt hätten, ist fraglich. Aber zum Glück ist ja nichts dergleichen passiert. Oder wir haben einfach nicht davon erfahren“, so der Fachmann weiter.

Chemielager am Ende der Welt

Jene Gebiete, in denen Chemiewaffen gelagert und entsorgt wurden, befanden sich weitab der Zivilisation. „In dem Städtchen Kambarka zum Beispiel wurden große Mengen Senfgas und Lewisit in Kesselwagen gelagert. Dort gab es Anfang der 1990er Jahre weder Wasserversorgung noch Kanalisation, kein Gas, nicht mal Telefon“, erinnert sich der Militärexperte. „Der einzige Arbeitgeber im Ort war eine Maschinenbaufabrik, im 18. Jahrhundert gegründet, die kleine Rangierloks herstellte.“

Erst mit dem Start des Programms zur Chemiewaffenentsorgung wurden in jenem Ort menschenwürdige Lebensbedingungen geschaffen. Rund 30 Milliarden Rubel, heute umgerechnet 460 Millionen Euro, wurden in die Infrastruktur investiert.

Hilfe vom Westen

„Machen wir keinen Hehl daraus: Westliche Staaten haben uns bei der Vernichtung von Chemiewaffen stark unterstützt – die EU, Kanada und die Vereinigten Staaten vor allem. Zwischen zwei und fünf Prozent aller Kosten haben sie übernommen“, sagt Wiktor Murachowskij, Chefredakteur einer russischen Armeezeitschrift. Davon sei unter anderem Umweltschutzausrüstung angeschafft worden.

Um die Gelder dafür zu bekommen, argumentierte der US-Demokrat Sam Nunn im Senat so: „Wenn die Russen ihre Massenvernichtungswaffen zerstören, werden diese die Vereinigten Staaten nie mehr bedrohen und niemals auf unsere Köpfe stürzen.“ Das Argument überzeugte die Abgeordneten.

Heuet sind alle Ortschaften, in denen Chemiewaffen vernichtet werden, mit moderner Infrastruktur ausgestattet: Wasser- und Gasversorgung, Kanalisation, Kommunikation, Schulen, Krankenhäuser, sogar Fitnessstudios. Russland hat also vom Programm zur Chemiewaffenvernichtung profitiert.

Inzwischen aber gibt es ein neues Problem: Zwar wurden die Kampfstoffe durch Desoxidation unschädlich gemacht, was aber mit den im Verfahren entstehenden Abfallprodukten geschehen soll, ist unklar. „Die Kampfstoffe werden entgiftet, indem spezielle Substanzen in die Bomben, Granaten oder Sprengköpfe gepumpt werden. Dabei entstehen ungiftige Stoffe, die dann weiterverarbeitet werden können“, sagt der Militärbeobachter Litowkin.

Einen Teil dieser Rückstände könne man zu Wertstoffen recyceln, für die Elektronikindustrie etwa oder zur Herstellung von Polymeren und Pestiziden. Über 140 000 Tonnen solcher Rückstände lagern derzeit in Russland. Weitere 100 000 Tonnen sind jedoch zur Weiterverarbeitung ungeeignet und müssen in Endlagern entsorgt werden. Dafür werden weitere Finanzmittel benötigt. Woher sie kommen sollen, ist bislang ungeklärt.

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