Wolfgang Ischinger: „Sicherheit muss für Europa zur Kernpriorität werden“

Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz

Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz

Imago stock&people/Global Look Press
Im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz warnte der Leiter Wolfgang Ischinger vor einer möglichen Entspannung zwischen Russland und den USA auf Kosten Europas. Die Europäische Union müsse die Sicherheit zu ihrer Kernpriorität erklären, forderte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Tass.

Das Jahr 2017 begann mit zahllosen ungelösten internationalen Konflikten, die das vergangene Jahr hinterlassen hat: den Kriegen in Syrien und der Ostukraine sowie dem internationalen Terrorismus. Die Lösung dieser Krisen erfordere den Willen aller Seiten, sagte Wolfgang Ischinger, Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur Tass. Insbesondere im Syrien-Konflikt müsse Russland seinen Einfluss auf den Präsidenten Baschar al-Assad geltend machen, um diesen zu Zugeständnissen zu bewegen, betonte der ehemalige Diplomat. „Andernfalls wird es keinen Frieden geben“, warnte Ischinger.

Russland und USA: Unversöhnliche Positionen

Zum neuen US-Präsidenten Donald Trump, der seit Mitte Januar im Amt ist, bemerkte der Sicherheitschef, dass für den neuen Präsidenten Außenpolitik bloß „eine Reihe von Deals“ sei. Trump betrachte die Welt als „ein Nullsummenspiel, bei dem einer gewinnt und ein anderer verliert“, erklärte Wolfgang Ischinger der Tass. Die Lösung langfristiger Fragen und der Aufbau vertrauensvoller Beziehungen würden deshalb künftig keinen Vorrang haben.

Eines der wichtigsten Themen in der internationalen Sicherheit sind die künftigen Beziehungen zwischen der neuen US-Administration, der Nato, EU und Russland. Noch sei es zu früh, darüber zu spekulieren, ist Ischinger überzeugt. Denn der neue Pentagon-Chef James N. Mattis sehe die Nato als „eine sehr wichtige und effektive Allianz“, wogegen Trump sich zum Nato-Bündnis – vorsichtig formuliert – skeptischer äußerte.

Was das Verhältnis zwischen den USA und Russland angeht, so sehe Ischinger derzeit nicht, „wie ein amerikanisch-russischer Deal aussehen könnte“. Es sei eher unwahrscheinlich, dass Trump bereit sei, die Angliederung der Krim an Russland anzuerkennen oder „den Raketenabwehrschild ad acta zu legen“.

Dennoch werde die EU weiterhin darauf bestehen, dass Vereinbarungen zwischen Russland und den USA nicht auf Kosten Dritter gehen: „Wir, die Europäer, haben selbstverständlich nichts gegen eine Verbesserung der Beziehungen zwischen USA und Russland. Wir fürchten aber, dass die Beziehungen hinter oder auf dem Rücken der Europäer aufgebaut werden könnten.“ Die Sorgen der Länder Mittel- und Osteuropas seien verständlich, sagte Ischinger und warnte vor dem „Rapallo-Effekt“: Viel zu oft seien diese Länder „Opfer eines Diktats ihrer stärkeren Nachbarn“ gewesen.

Sicherheit als Kernpriorität für Europa

Die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland seien in einer tiefen Krise, fuhr Ischinger fort. Besonders zerbrechlich sei der Zustand, in dem sich die europäische Sicherheitsarchitektur befinde. Es sei wünschenswert, dass die Präsidenten beider Länder sich treffen und ihren Beitrag zur Entspannung beisteuern, betonte der frühere Diplomat. Besonders wichtig sei jedoch, dass das Vertrauen zwischen den Militärs gestärkt werde: „Mehr direkte Kontakte, mehr Rüstungskontrolle“, rät der Sicherheitschef.

In Deutschland, Frankreich und den Niederlanden stehen in diesem Jahr Wahlen an. Auf die Frage zu ihrer Bedeutung für die internationale Situation sagte Ischinger, dass der Wahlsieg rechter Kräfte zu einer Bedrohung für die Europäische Union werden könnte. Dennoch sei auch eine „Gegenbewegung“ denkbar, „weil viele Europäer wissen, was die Gemeinschaft ihnen zu bieten hat“.

Die Sicherheit müsse zur Kernpriorität europäischer Politik werden, resümiert Ischinger. Es sei an der Zeit, über die Gründung „eines europäischen FBI“ nachzudenken, sagte er.

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