Sexskandal spaltet die russische Opposition

 Sex vor versteckter Kamera kann dem Oppositionsführer Michail Kassjanow seinen Posten kosten.

Sex vor versteckter Kamera kann dem Oppositionsführer Michail Kassjanow seinen Posten kosten.

Ruslan Shamukov/TASS
Der russische Oppositionsführer Michail Kassjanow wurde mit versteckter Kamera bei einem Stelldichein mit seiner Parteifreundin und Geliebten gefilmt und zieht dabei über Parteifreunde her. In jüngster Zeit häufen sich diffamierende Beiträge über die Opposition im russischen Staatsfernsehen.

Nach der Ermordung des prominenten russischen Oppositionellen Boris Nemzow im vergangenen Jahr war die Erwartungshaltung innerhalb der Opposition groß. Sie hoffte auf ein besseres Verhältnis zwischen Regierungskritikern und etablierten Machthabern. Nach Meinung vieler hätte dies die politische Konsequenz aus der Ermordung Nenzows sein müssen, hinter der die russische Opposition, aber auch Teile der westlichen Welt, den Kreml als Drahtzieher vermutete. Die Erwartungen erfüllten sich jedoch nicht.

Nemzow war Vorsitzender der Parnas-Partei. Diese führt die Demokratische Koalition an, zu der sich oppositionelle Parteien und Gruppen zusammengeschlossen haben. Zudem war er Abgeordneter des Regionalparlaments von Jaroslawl. Seine Partei erbte das Mandat und kann nun ohne die sonst übliche Unterschriftensammlung bei den Wahlen zur Staatsduma antreten. Kleinere Oppositionsparteien haben durch ihren Zusammenschluss zum Wahlbündnis unter Führung der Parnas ebenfalls eine kleine Chance, nach den Wahlen in der Staatsduma vertreten zu sein. Doch das staatliche russische Fernsehen strahlt derzeit vermehrt Beiträge aus, die die russische Opposition in ein schlechtes Licht rücken und für Missstimmung im Bündnis sorgen.

Kabale und Liebe: Wollte Kassjanow Alexej Nawalny schaden? 

Natalia Pelewina räumte nach der Ausstrahlung des Films ihren Posten im Parteirat und entschuldigte sich öffentlich. Foto: Tass

Am 1. April zeigte der Sender „NTV“ den Film „Kassjanows Tag“. Unfreiwilliger Hauptdarsteller ist Michail Kassjanow, Vorsitzender der Parnas-Partei und neuer Oppositionsführer. In dem Film ist der verheiratete Kassjanow bei intimen Treffen mit seiner Parteifreundin Natalia Pelewina zu sehen. In dieser vertrauten Atmosphäre diskutieren die beiden über die Wahlen und äußern sich zuweilen abfällig über Parteifreunde. 

Zwischen 1999 und 2000 war Michail Kassjanow Russlands Finanzminister. Von 2000 bis 2004 war er Ministerpru00e4sident des Landes. Seit seinem Ru00fccktritt kritisierte er wiederholt Putins Politik u2013 etwa die Eingliederung der Krim u2013 und befu00fcrwortete die westlichen Sanktionen gegen ranghohe russische Politiker.
Kassjanow, so vermittelt es der Film, habe die Partei vor allem für Pelewina, seine Geliebte, aufgebaut. Aber auch für seine Ehefrau habe er gesorgt. Diese wolle er zusammen mit seinen Kindern in Großbritannien unterbringen, wo er Immobilien besitze. Sein bescheidenes Vermögen habe er ganz so erwirtschaftet, wie es in den 1990er-Jahren üblich gewesen sei: „Günstig kaufen und für das Hundertfache wieder verkaufen“, verrät er sein Erfolgsmodell. Politisch, auch das erfährt der Zuschauer, sehe er seine Hauptaufgabe derzeit darin, eine Front gegen den bekannten Oppositionellen Alexei Nawalny, eigentlich Mitstreiter in der Demokratischen Koalition, aufzubauen. 

Natalia Pelewina zog nach der Ausstrahlung des Films Konsequenzen. Sie räumte ihren Posten im Parteirat und entschuldigte sich öffentlich. Doch sie betonte: „Der einzige Grund, warum dieser Film gedreht wurde, sind die kommenden Wahlen.“ Auch Kassjanow kommentierte den TV-Beitrag. „In der Tat steigt der Druck auf die Parnas-Koalition und auf mich persönlich immens“, gestand der Politiker ein.

Weiter beeindrucken ließ er sich trotz Kritik von Parteimitgliedern nicht. Der stellvertretende Parnas-Vorsitzende Ilja Jaschin dagegen zog vergangene Woche seine Kandidatur zurück. „Wir werden nun während des ganzen Wahlkampfes Fragen beantworten müssen, wer mit wem geschlafen und wer wen beleidigt hat“, sagte Jaschin, der sich einen Verzicht des Vorsitzenden auf den ersten Listenplatz gewünscht hätte, denn Kassjanow sei „de facto lahmgelegt“. Dieser reagierte gelassen auf die Ankündigung seines Stellvertreters: „Kein Problem, Jaschin kann gehen“.

Enthüllungen richten sich gegen den Zusammenhalt der Opposition

Alexey Nawalny (l.), Vorsitzender der Fortschrittspartei, und Michail Kassjanow (r.), Chef von Parnas, entschieden im April 2015 als Bündnis bei den Duma-Wahlen 2016 anzutreten. Aufgrund seiner Vorstrafe darf Nawalny jedoch nicht kandidieren. Foto: Tass

Jaschin sei jedoch das kleinere Problem für die außerparlamentarische Opposition, meinen Politologen. Sie sehen die Zukunft der Opposition insgesamt gefährdet. Pawel Salin, Direktor des Zentrums für Politologische Studien an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, sieht keine Alternativen zum diskreditierten Kassjanow. Die Partei habe keine Galionsfigur. „Nur Nawalny könnte diese Rolle übernehmen. Doch der ist wegen seiner Vorstrafen aus dem Rennen“, erklärt Salin. Hinzu kommt, dass der Fernsehsender „Rossija 1“ kürzlich einen Film über Nawalny zeigte, in dem ihm Verbindungen zu William Browder vom Hermitage Capital Fund und zum britischen Geheimdienst unterstellt werden.

Für Kassjanow ändere sich nach dem schlüpfrigen Film nicht viel, schätzen Politikexperten.  Die Diffamierung der Liberalen gegenüber der Wählerschaft werde kaum Einfluss auf die Umfragewerte haben. Vielmehr gehe es darum, den Zusammenhalt der Opposition zu schwächen. „Diese Enthüllungen richten sich gegen die Konsolidierung ihrer Kräfte“, sagt Michail Remisow, Präsident des unabhängigen Instituts für nationale Strategie. Auf politischer Ebene müsse man aber trotz der Beiträge im staatlichen Fernsehen mit Nawalny verhandeln. Salin sieht die Absichten der Machthaber ähnlich: „Wie auch immer man zu den Methoden steht: Ihr Ziel haben sie erreicht.“

RBTH-Check:

Die Demokratische Koalition entstand am 17. April 2015 durch den Zusammenschluss der Fortschrittspartei Alexei Nawalnys und der Parnas-Partei von Michail Kassjanow. Nach nur drei Tagen schlossen sich vier weitere Parteien dem Bu00fcndnis an. Laut Nawalny unterstu00fctzt Michail Chodorkowskis Nichtregierungsorganisation u201eOffenes Russlandu201c die Koalition. Auch die Solidarnost-Bewegung Ilja Jaschins ist dem Wahlbu00fcndnis beigetreten.

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