Russische Unternehmen in der Ukraine: Segel streichen oder Stellung halten?

AP
Die Rahmenbedingungen für russische Unternehmen in der Ukraine verschlechtern sich zusehends. Gemeinsame Vorhaben werden aufgegeben, Zollbestimmungen versetzen dem Handel einen schweren Schlag. In bestimmten Branchen halten russische Firmen ihre Marktstellung, müssen aber neue Wege gehen, um die Kunden an sich zu binden.

Die Eiszeit in den Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine bringt vorrangig gemeinsame Industrieprojekte zum Erliegen. Ganze Produktionsketten, die noch in der Sowjetzeit entstanden sind, brechen im Handumdrehen weg. Russische Firmen verlieren dadurch in der Ukraine merklich an Boden, die exportorientierten ukrainischen Unternehmen müssen den Verlust des wichtigsten Absatzmarktes hinnehmen.

Im vergangenen September hatte die ukrainische Regierung zum Beispiel bereits einen der weltgrößten Flugzeugbauer, den Antonov-Konzern, vom russisch-ukrainischen Projekt UAC-Antonov abgezogen. Das Joint Venture koordinierte den Bau der Transportmaschinen An-140, An-70 und An-124 und trieb die Integration der Luftfahrtindustrien beider Länder voran.

Anfang dieses Jahres ordnete die ukrainische Regierung schließlich an, das Gemeinschaftsprojekt abzuwickeln. Alle Tochtergesellschaften des Antonov-Konzerns, die den vollen Herstellungszyklus – vom Entwurf bis zur Endfertigung – beherrschen, sollten in den staatseigenen Rüstungskonzern Ukroboronprom eingegliedert werden, hieß es aus offiziellen Kreisen. Problematisch ist dies dennoch: „Mit dem seit Juni 2014 geltenden Verbot der militärischen Zusammenarbeit mit Russland hat der ukrainische Flugzeugbau kaum eine Überlebenschance. Die Situation wird sich weiter verschlechtern, wenn nicht die europäischen Partner – Airbus etwa – Antonovs Kapazitäten für die Herstellung ihrer Komponenten nutzen“, sagt Alexander Ochrimenko, Leiter des Ukrainischen Analysezentrums.

Handelsschranken und Boykotte

Zeitgleich müssen auch russische Exporteure von Lebensmitteln und Konsumgütern große Veränderungen bewältigen. Am 1. Januar 2016 trat der wirtschaftliche Teil des Assoziierungsabkommens der Ukraine mit der EU in Kraft. Russland seinerseits trat aus dem bilateralen Abkommen über zollfreien Handel mit der Ukraine aus: „Die Erhöhung von Zöllen wird sich zweifelsohne negativ auf die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder auswirken“, prognostiziert der russische stellvertretende Wirtschaftsminister Alexej Lichatschew. Russische Exporteure würden von nun an ihre Produkte nicht nur zusätzlich zertifizieren sondern auch modifizieren müssen.

Doch die Beschränkungen im Handel werden nicht nur durch die Sanktionen beider Länder verursacht. Auf Schwierigkeiten stoßen russische Lieferanten häufig schon in den Verhandlungen mit ukrainischen Abnehmern. Von europäischen Produzenten verlange der ukrainische Einzelhandel ausschließlich in Europa hergestellte Waren. Russische Produkte würden die Einzelhändler indes mit lokalen Erzeugnissen ersetzen, sagen russische Produzenten. Die seit 2014 laufenden Kampagnen zur Stigmatisierung und Boykottierung russischer Waren würden den ukrainischen Handelsketten keine andere Wahl lassen.

Eine Sonderetikettierung für russische Produkte ist nun Pflicht: „Ware aus Russland“ muss darauf stehen. Foto: Igor Bashkovityi / RIA Novosti

Einige Aktivisten verteilen Flugblätter mit einer Auflistung russischer Produkte – von Autos und Haushaltsgeräten „Made in Russia“ bis hin zu Lebensmitteln, Kleidung und selbst IT-Diensten. Der russische Online-Riese Yandex beispielsweise steht auf einer solchen schwarzen Liste. Die Flugblätter bezeichnen Russland als Aggressor und rufen dazu auf, seine Produkte nicht zu kaufen und stattdessen auf ukrainische Waren zurückzugreifen. In den sozialen Netzwerken wird erklärt, wie russische Produkte anhand des Strichcodes zu erkennen sind. Zudem ist eine Sonderetikettierung für russische Produkte Pflicht: „Ware aus Russland“ muss darauf stehen.

„Über unsere Hotline bekommen wir viele Anrufe von Kunden, die wissen wollen, woran russische Produkte zu erkennen sind. Wenn sie dabei feststellen, dass der Strichcode überklebt und gegen eine europäische Kennung ausgetauscht wurde, geben sie die Ware zurück“, sagt ein Sprecher einer großen Einzelhandelskette. Rabatte würden auch nicht weiterhelfen: Reinigungsmittel aus Russland sind um ein Drittel günstiger, dennoch sinke der Absatz.

Kleine Unternehmen aus Russland hätten es in der Ukraine zurzeit besonders schwer. Größtenteils würden die Geschäfte ruhen und keine Gewinne einfahren, sagt Sergej Warlamow, Mitglied der Unternehmervereinigung Delowaja Rossija (zu Deutsch: Unternehmerisches Russland). Die Firmen würden ihre Aktiva aus der Ukraine abziehen, Handelsströme seien rückläufig. Es sei nicht die beste Zeit, um dort Geschäfte zu machen, resümiert der Wirtschaftsexperte.

Verbote und Marketingtricks


Im vergangenen September veröffentlichte die ukrainische Regierung eine schwarze Liste russischer Unternehmen, denen eine Tätigkeit in der Ukraine untersagt ist. Auf der Liste tauchen nicht nur rüstungsnahe Unternehmen wie etwa der russische Hubschrauberhersteller Russian Helicopters auf. Auch russische Banken – Bank Moskwy, Bank Rossija, SMP Bank – und russische Fluggesellschaften, unter anderem die Aeroflot, sind betroffen. Einen Monat nach Bekanntgabe der Liste wurden Flüge zwischen den beiden Ländern für russische und ukrainische Airlines gänzlich verboten.

Russische Großbanken bleiben von Verboten indes unberührt. Die Sberbank mit über 200 ukrainischen Filialen, die VTB, die Vnesheconombank (Prominvestbank) und die ukrainische Tochter der Alpha-Bank sind, gemessen an ihren Aktiva, unter den Top Ten ukrainischer Banken und damit systemrelevant. Nach der Veröffentlichung der schwarzen Liste wurden Rufe nach einem gänzlichen Verbot für russische Banken in der Ukraine laut, fanden aber keine Zustimmung: Ein solcher Schritt zöge den Kollaps des ukrainischen Finanzsystems nach sich, der von ukrainischen Banken nicht hätte aufgefangen werden können – sie sind ohnehin auf Finanzspritzen angewiesen.

Große russische Firmen, vorrangig aus dem Dienstleistungssektor, bleiben trotz der Schwierigkeiten auch weiterhin in der Ukraine aktiv. Nur müssen sie es vermeiden, mit ihren russischen Muttergesellschaften in Verbindung gebracht zu werden. Im vergangenen Oktober verkündete MTS, einer der größten Mobilfunkanbieter in Russland und der GUS, seine Dienste in der Ukraine unter der Marke Vodafone anzubieten. Aufgrund einer Vereinbarung beider Unternehmen kann der russische Mobilfunkbetreiber den Markennamen nutzen – auf der ukrainischen Website des russischen Dienstleisters wird MTS nicht mehr erwähnt. Den gleichen Weg geht auch die russische Vimpelcom, Mutterkonzern des ukrainischen Mobilfunkproviders Kievstar: Der Dienstleister hat seine Marke lokalisiert und seinem blauen Logo etwas gelbe Farbe hinzugefügt. 

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