Gadget und Modeaccessoire: Die Prothese aus dem 3D-Drucker

Ein russisches Start-up sorgt mit seinen originellen Greifprothesen schon seit einiger Zeit für freudiges Strahlen in Kindergesichtern. Nun will Motorica auch die Erwachsenen begeistern – und entwickelt völlig individuelle Lösungen, vom modischen Accessoire bis zum technischen Gadget.

 Aimana Moldabekowa / <a  data-cke-saved-href="http://motorica.org/" href="http://motorica.org/" target="_blank">Motorica</a> Aimana Moldabekowa / Motorica

Kurzes schwarzes Kleid, weißer Umhang aus leichtem Stoff, Federverzierung in den Haaren – so posiert Aimana Moldabekowa lächelnd vor einem weißen Auto. Menschen kommen vorbei und machen Selfies mit dem Model, bevor es zum Fotoshooting und einem Videodreh geht. Insgesamt keine ungewöhnliche Szene auf der Mercedes Benz Fashion Week Russia in Moskau.

Doch etwas ist anders – die Hand der jungen Frau, geschmückt mit einem schwarzen Flügelaufsatz, die sie so natürlich bewegt, dass die Besucher glauben, Aimana Moldabekowa trage ein modisches Handaccessoire, ist eine Prothese.

Von der Prothese zum Musikinstrument

So modisch kann die Gadget-Prothese aussehen. / <a  data-cke-saved-href="http://motorica.org/" href="http://motorica.org/" target="_blank">Motorica</a>So modisch kann die Gadget-Prothese aussehen. / MotoricaAimanas Prothese wurde von Nikita Repljanski entwickelt. Der 27-jährige Designer arbeitet in dem russischen Start-up Motorica, das auf Prothesen mit Greiffunktion spezialisiert ist. Im Vergleich zu herkömmlichen Modellen, die lediglich eine kosmetische Funktion erfüllen, ermöglichen es diese Prothesen, die Hand zu bewegen und Gegenstände zu greifen. Seit zwei Jahren gibt es das Unternehmen, in Russland betrat es mit seinen Produkten Neuland.

Motorica legte seinen Schwerpunkt zunächst auf Prothesen für Kinder. Diese haben helle und bunte Farben und sehen aus, als würden sie einem Baukasten entstammen. Dem Entwicklerteam war wichtig, dass die künstlichen Glieder nicht einfach ihre technische Funktion erfüllen, sondern den Kindern auch Selbstvertrauen geben. So entwarf das Start-up eine Reihe von Aufsätzen für Hand- und Armprothesen, zum Beispiel für eine Fernbedienung für Drohnen oder eine Halterung für eine Actionkamera, mit denen sich die Kinder wie Superhelden fühlen können.

Manchmal kommen die kleinen Patienten auch mit eigenen Ideen, die Motorica dann umsetzt. Zum Beispiel der Junge, der gerne kocht und um einen Küchenschaufel-Aufsatz bat. Seitdem sei dieser Aufsatz sehr gefragt, erzählt Nikita Repljanski. Von dem Erfolg der Kinderprothesen ermutigt, wollten die Entwickler dasselbe für Erwachsene schaffen. Denn Behinderte würden in Russland noch immer anders behandelt, wie Repljanski sagt. Motorica wollte helfen, aus der Prothese etwas Schönes zu schaffen.

Der Designer entschied sich deshalb im Wesentlichen für zwei Kategorien: tragbare elektronische Geräte, sogenannte Gadget-Prothesen, und Prothesen als modisches Accessoire. In der ersten Sparte entwarf Repljanski eine Prothese mit eingebautem Midi-Synthesizer. Durch Drücken von Tasten auf der Prothese werden Töne erzeugt – so kann ihr Besitzer quasi ein Musikinstrument spielen. Eigentlich hatte der Designer Touchscreens einsetzen wollen, doch weil dem Kunden, Konstantin Deblikow, beide Hände fehlten und die Touchscreens nur auf Hautkontakt reagieren, entschied sich Repljanski bei diesem Modell für Tasten.

Ein echter Hingucker

Aimana Moldabekowa auf der Moskauer Fashion Week. / <a  data-cke-saved-href="http://motorica.org/" href="http://motorica.org/" target="_blank">Motorica</a>Aimana Moldabekowa auf der Moskauer Fashion Week. / Motorica

In der Mode-Kategorie entwickelte der Designer eine Handprothese, die in der klassischen Farbe Schwarz gehalten ist und mit einem Aufsatz mit Federn in Form von zwei Flügeln verziert ist. Trägerin ist besagte Aimana Moldabekowa, die für die Präsentation auf der Fashion Week eigens nach Moskau gereist ist.

Einer Karriere als professionelles Model ist die junge Frau, die eigentlich Wärmeenergetik studiert, nicht abgeneigt. „Das wäre toll, ich würde gern verschiedene Länder bereisen“, sagt Aimana. Zurzeit bereitet sie sich auf ein Casting zur Kazakhstan Fashion Week vor. Besorgt ist sie hauptsächlich wegen ihrer Größe und ihres Gewichts, die Prothese hält sie hingegen für einen Vorteil. Auf der Moskauer Fashion Week hätten mehrere Designer Interesse gezeigt, erzählt die junge Russin.

Für Nikita Repljanski könnte es kein besseres Feedback geben. Seine Entwicklung hält er angesichts der Reaktionen der Besucher, die auch Konstantins Modell begutachten konnten, für einen vollen Erfolg: „Die meisten hätten nicht gedacht, dass es Prothesen waren. Sie wollten einfach auf die Tasten drücken und die Federn berühren. Erst dann haben sie begriffen, dass sie da eine Prothese anfassen, dass die Person gar keine Hand hat. Sie standen kurz auf dem Schlauch und waren dann geschockt und begeistert zugleich. Ich bin mir sicher, dass sie beim nächsten Mal, wenn sie einen behinderten Menschen sehen, daran denken werden“, freut sich der Designer.

Design für den Einzelnen

Die Gadget-Prothese sieht eher aus wie ein Accessoire. / <a  data-cke-saved-href="http://motorica.org/" href="http://motorica.org/" target="_blank">Motorica</a>Die Gadget-Prothese sieht eher aus wie ein Accessoire. / Motorica Gemeinsam mit Motorica arbeitet Nikita Repljanski an neuen Entwicklungen. Das Start-up träumt davon, dass Menschen eines Tages Prothesen aussuchen können wie Schuhe oder Kleidung – sie sollen die Auswahl haben von einfachen bis hin zu aufwendigen Stücken.

Während die Kinderprothesen des Unternehmens aussehen wie aus einem Sport- oder Spielzeugladen, stellt sich Repljanski für Erwachsene etwas anderes vor: Streng und minimalistisch sollten die Prothesen sein, glaubt der Designer, damit sie mit der Alltagskleidung besser zu kombinieren seien.

Ob das wirklich ankommen wird, weiß der Entwickler allerdings nicht. Designerprodukte wären für Moskau und Sankt Petersburg interessant, meint Nikita Repljanski, aber in den Regionen würden behinderte Menschen nicht gerne auffallen. Auch das will das Unternehmen berücksichtigen.

Grundsätzlich sei für die Erwachsenenmodelle geplant, so ergänzt Unternehmenschef Ilja Tschech, Aufsätze herzustellen, die bei der Erledigung von Arbeiten im Alltag helfen, zum Beispiel ein Schraubenzieher.

Eine Massenproduktion wird es aber nicht geben: Jede Prothese wird individuell unter Berücksichtigung der körperlichen Eigenschaften des Trägers und der Art der Verletzung hergestellt. Nach der Vermessung und der Entwicklung des Designs werden die Teile über einen 3D-Drucker gedruckt und anschließend zusammengebaut. Zum Schluss wird der Schaft hergestellt, an der die Prothese befestigt wird. Die Kosten einer fertigen Prothese belaufen sich auf etwa 100 000 Rubel, rund 1 640 Euro. Für Russen kostet dieser Service übrigens nichts – der Staat erstattet die Kosten.

Eine besondere Lektüre: Bilderbücher für blinde Kinder

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