Wie Ausländer nach ihren russischen Wurzeln suchen

Im Russischen Reich lebten Menschen aus vielen Ländern. Sie arbeiteten, studierten und gründeten hier Familien. Nach der Revolution mussten viele von ihnen fliehen. Aber heute suchen wieder einige ihrer Nachkommen nach ihren russischen Wurzeln. Russische Genealogen erzählen von ihren interessantesten Fällen.

Der Wwedenskoje-Friedhof im Osten Moskaus war seit jeher ein Begräbnisplatz für katholische und protestantische Gemeinden. Er wurde oft auch "Deutscher Friedhof" genannt, die viele der hier Begrabenen waren Deutsche. Unter all den reich verzierten Grüften, Mausoleen, Gedenksäulen und Friedhofsskulpturen befindet sich auch die letzte Ruhestätte  der Familie Baudelot. Sie waren berühmte russische Parfümeure französischer Herkunft. Zwischen den Fingern der Hand einer Statue ist eine Notiz versteckt. Einige Wörter sind nicht lesbar, aber was erkennbar ist, lautet: 

"Mein Name ist (...) und der Name meiner Mutter ist (...) Baudelot, ich wohne in Frankreich ... Wir suchen..."

Im Laufe seiner Geschichte wurde Russland die Heimat für Menschen vieler verschiedener Nationalitäten. Franzosen, Deutsche und Briten aller möglichen Berufe, darunter Händler, Ärzte, Soldaten, Wissenschaftler und Schriftsteller, arbeiteten und fanden ihre Liebe hier. Sie blieben und halfen, mit ihrem Know-how Russland zu einem großen Land zu entwickeln. So hatte es Peter der Große einst auch geplant. 

Während der Revolution und den darauffolgenden Bürgerkriegsjahren flohen viele der in diese alten Familien Geborenen in die ihnen mittlerweile fremden Länder ihrer Vorfahren. Aber heute kommen viele Ausländer nach Russland zurück - auf der Suche nach ihren Wurzeln.

Nadel im Heuhaufen

Genealogische Recherchen in russischen Archiven sind kompliziert genug, sogar für einheimische Geschichtsprofessoren. Eine solche Forschung erfordert Wissen um komplizierte historische Quellen wie Geburtsurkunden und andere Zertifikate sowie eine ständige Korrespondenz mit regionalen Archiven. Für Nicht-Russischsprachige ist das schwierig, da die meisten Archivare hier natürlich nur Russisch schreiben und sprechen. Daher sind Genealogen gefragt, die fließend auch europäische Sprachen beherrschen.

"Ich arbeite viel mit ausländischen Kunden, weil ich sieben Sprachen beherrsche, wenn auch nicht alle fließend", sagt Witalij Semjonow, ein unabhängiger Historiker mit über zehn Jahren Erfahrung auf dem Gebiet der Genealogie. "Die meisten meiner ausländischen Kunden kommen aus Frankreich und Belgien. Sie sind Nachfahren unserer weißen Emigranten."

Die zweite Gruppe sei fast genauso groß: „Es sind amerikanische Juden, die von Juden aus der Ukraine, Weißrussland und Russland abstammen. Gewöhnlich sprechen oder lesen diese Leute kein Russisch, und ihre Eltern auch nicht. Aber ihre Eltern haben vielleicht Kindheitserinnerungen ihrer Großeltern, die an das Leben in Russland erinnern, oder sie bewahren einen Dialekt des Hebräischen, den ihre Vorfahren gesprochen haben. Und die dritte Gruppe sind Nachfahren der Wolgadeutschen."

"Bei weitem nicht alle genealogischen Forschungen kommen zu guten Ergebnissen", sagt derweil Stanislaw Dumin, Chef des Verbandes des russischen Adels, einer öffentlichen Organisation, die Nachkommen russischer Adelsfamilien zusammenführt. "Ein Kunde aus der Schweiz suchte einmal nach seinen russisch-deutschen Wurzeln. Während der Regierungszeit Katharina der Großen hatte sich sein Ahne der russischen Armee angeschlossen, er lebte in Moskau, kam in den Adelsstand und hatte Kinder. Aber am Anfang des 19. Jahrhunderts verloren sich alle Spuren dieser Familie."

Von der WM zum Grab des Großvaters

Ein „Russe“ machte kürzlich einen erstaunlichen Fund: Auf dem alten Donskoje-Friedhof in Moskau fand ein WM-Fußballfan das Grab seines Vorfahren.

"Hier liegt mein Urgroßvater, der Onkel meiner Großmutter mütterlicherseits", sagt Philippe Patrick aus der französischen Region Nizza. "Nikolaj Kosljaninow, Generaladjutant, Kommandeur des Kiewer Militärbezirks." 

Philippe und seine Frau waren zuvor gerade in St. Petersburg gewesen und hatten das Haus seiner Vorfahren mit einer Gedenktafel gefunden. Aber:

"Meine Vorfahren haben Russland direkt nach der Revolution verlassen.“

Russen und Ausländer träumen oft davon, Vorfahren zu entdecken, die mit großen Persönlichkeiten oder der Literatur verbunden sind. Sie suchen in Memoiren und Tagebüchern. Sie halten das oft für wichtiger und prestigeträchtiger, als "nur" wohlhabende oder adelige Vorfahren zu finden.

"Ich hatte einmal eine Klientin aus Frankreich, der - ungewöhnlich für meine Klienten - verschwand, nachdem er die Ergebnisse der Untersuchung über Ural-Kosaken erhalten hatte. Dieser soll einmal Lew Tolstoi getroffen, mit ihm gesprochen haben und in seinen Tagebüchern erwähnt worden sein", erinnert sich Semjonow. "Also habe ich angeboten, den Beweis zu schicken - eine Seite aus Tolstois Tagebuch. Dann hat sie sofort das Geld geschickt!"

"Ein weiteres Problem sind Leute, sagen wir mal, aus den Forbes-100, die nur über ihre Sekretärinnen kommunizieren, weil ihnen die Zeit fehlt. Und diese Sekretäre verzögern die Zahlung, bis der Chef das Material gelesen hat, was die Forschung lähmt: Russische Archive muss man ständig bezahlen, um die Recherche überhaupt in Gang zu bringen. Es ist also viel besser, wenn Kunden, auch die wichtigsten, persönlich mit mir kommunizieren. Und manchmal stolpern wir ja dann auch über wirklich faszinierende Entdeckungen."

Wo anfangen und wie viel Geld bereitlegen?

Sie sind also sicher, dass Sie Vorfahren in Russland haben? Sie sind entschlossen, Aufzeichnungen über sie zu finden und Ihren Familienstammbaum zu erstellen? 

Zuallererst sollten Sie alle persönlichen Dokumente, die zu Ihrer Familie gehören, scannen, besonders die alten. Alle, nicht nur die in russischer Sprache (wenn Sie welche haben).

Zweitens und ebenso wichtig ist es, mit Ihren Verwandten, insbesondere den älteren, über die Vergangenheit zu sprechen. Fragen Sie sie, ob sie sich an Namen von Verwandten und Orte erinnern können, an denen sie gelebt haben. Am besten nehmen Sie alle diese Gespräche auf. Fügen Sie jedem Interview vollständige Namen, Geburtsdaten und Berufe hinzu. Scannen Sie alle Ihre alten Fotos - finden Sie heraus, wer genau auf ihnen zu sehen ist.

Dann ist es an der Zeit, einen russischen Genealogen einzustellen. Um seine Kompetenz zu überprüfen, fragen Sie nach den jüngsten Projekten, nach seinen Publikationen. 

Und schließlich die Kosten: Denken Sie daran, dass die Zeit, die Sie auch die Beratung und Durchsicht Ihrer Daten bezahlen müssen. Beginnen Sie also nicht sofort damit, Ihre Geheimnisse preiszugeben. Sie werden höchstwahrscheinlich dafür verantwortlich sein. Die einfachste Untersuchung der väterlichen Linie Ihrer Familie (nur Männer) kostet rund 70.000 Rubel (1000 Euro). Für eine richtig gründliche Recherche liegt der Preis bei rund 1500 Euro. Es dauert normalerweise rund sechs Monate, bis Sie die ersten Ergebnisse erhalten.

Denken Sie auch daran, dass die Forschung kleine, aber konstante Zahlungen erfordert: Wenn ein Genealoge eine echte Entdeckung macht, sind Sie verpflichtet, alle Daten zu überprüfen, was kostspielig sein kann. Aber hej, dafür können Sie hier Geschichte schreiben!

Diese russisch-deutschen Biografien wurden derweil schon erforscht:

>>> Artikel-Serie: Deutsche in Sibirien - Teile 1, 2, 3 und 4

>>> Artikel-Serie Deutsche der russischen Macht - Teile 12 und 3

>>> Polen, Deutsche, Finnen: Minderheiten im Petersburg der Zarenzeit

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