Nachruf auf Helmut Kohl: Der Kanzler, der mit Moskau Deutschland einte

Am Morgen des 16. Juni ist in Ludwigshafen am Rhein der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl verstorben, mit dessen Namen man stets die Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 verbinden wird.

Kohl im Juni 2013 am Berliner Innenministerium / ReutersKohl im Juni 2013 am Berliner Innenministerium / Reuters

Während Bundeskanzlerin Angela Merkel, als deren politischer Ziehvater Helmut Kohl galt, aus Rom um "mehr Zeit" bittet, um diese Nachricht zu verdauen, und Kohl dann doch als "Glücksfall für uns Deutsche" bezeichnet, der auch ihren "Lebensweg entscheidend verändert" habe, sendet auch der russische Staatschef Wladimir Putin bereits ein Kondolenztelegramm in Richtung Berlin. Darin drückt er den Deutschen sein Mitgefühl über den Tod "eines der Patriarchen der europäischen und Weltpolitik" aus: "In Russland wird man sich an ihn als einen prinzipiellen Anhänger des Ausbaus freundschaftlicher Beziehungen zwischen unseren Ländern erinnern, der sich sehr für die Stärkung unserer gegenseitig günstigen bilateralen Partnerschaft und Nachbarschaft eingesetzt hat."

Warum? Kohl regierte ab 1982 sechzehn Jahre lang Deutschland und arbeitete in dieser Zeit sowohl mit dem letzten sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow als auch dem ersten Präsidenten der Russischen Föderation, Boris Jelzin, zusammen. Beide äußerten sich über Kohl später stets in den höchsten Tönen, obwohl jener doch immer klar die deutschen Interessen zu vertreten wusste - wenn nötig auch mit angemessener Härte.

Kohls "Demarche"

So nannte Gorbatschow Kohl einst einen "Menschen mit riesiger Lebenskraft und einem starken Charakter" und "einen klugen Politiker und offenen, aufrichtigen Menschen". Dabei, so erinnerte sich Gorbatschow einst, fiel es ihm mit Kohl, wie auch Moskau mit Bonn allgemein, zunächst schwer, eine gemeinsame Linie zu finden. "Kohl hatte damals in einer, gelinde gesagt, unhöflichen Form unsere 'Perestroika' als Propaganda-Trick bezeichnet. Aufgrund dieser Demarche wurden die westdeutsch-sowjetischen Beziehungen zunächst eingefroren", so Gotbatschow.

Aber auch später, als sich das Verhältnis am Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre eigentlich zu bessern begonnen hatte, hatten Moskau und Bonn immer genügend Reibungspunkte. All diese betrafen immer wieder die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, die durch die politischen Umbrüche in der UdSSR, eben auch bekannt als "Perestroika", immer wieder auf die Tagesordnung gerieten. Sie bedeutete einen sukzessiven Kontrollverlust Moskaus über die Ereignisse in Deutschland, vor allem über die damalige - und letztlich letzte - DDR-Regierung. Kohl und Gorbatschow hatten von Anfang an durchaus gegensätzliche Vorstellungen davon, wie der Lösungsprozess der "Deutschen Frage" hier hätte ablaufen sollen.

Gorbatschows neue "Ansichten"

Im November 1989 stellte Kohl dem deutschen Bundestag sein Zehn-Punkte-Programm vor, dass sich eine Wiedervereinigung der BRD und der DDR zu einem im Grunde föderalistischen Staat zum Ziel setzte. Aber dieser Punkt war damals mit Gorbatschow eben nicht abgesprochen gewesen, obwohl, so erinnert sich der damalige sowjetische Staatschef, man sich geeinigt habe, solche Initiativen immer zunächst einander vorzulegen und gemeinsam zu erörtern. Moskau war damals nicht bereit, eine Europa-Karte mit einem wiedervereinigten Deutschland zu sehen. Und schon zwei Tage nach Kohls Auftritt teilte Gorbatschow dem damaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher mit, dass man doch anmerken müsse, "dass diese ultimativen Forderungen losgelöst von den Beziehungen eines selbstständigen und souveränen deutschen Staates" gemacht worden seien. Die Ankündigungen von Kanzler Kohl nannte er einen "politischen Fehler".

Alt-Kanzler Kohl erhält 2005 von Gorbatschow den "Quadriga-Award" / APAlt-Kanzler Kohl erhält 2005 von Gorbatschow den "Quadriga-Award" / AP

Aber schon Ende Januar des Folgejahres 1990 vollzog sich im Geiste des sowjetischen Staatschefs offenbar ein echtes Umdenken: Gorbatschow räumte ein, dass die deutsche Wiedervereinigung eine direkte praktische Aufgabe sei. Historiker und Politikwissenschaftler meinen, dass dieser Wandel mit Gorbatschows Bitte an Kohl verbunden sein könnte, da Moskau Bonn Anfang Januar '90 um ene weitere Lebensmittellieferungen im Wert von mehreren Hundert Millionen Mark gebeten hatte. Die immer weiter verkommende Sowjetwirtschaft konnte ihr Land schon lange nicht mehr ernähren. Und Kohl antwortete damals positiv.

Als dann Kohl am 10. Februar außerplanmäßig in Moskau eintraf, teilte Gorbatschow dem Bundeskanzler mit: "Die Frage über die Deutsche Einheit... entscheiden die Deutschen selbst." Damit gab Moskau Bonn und Berlin praktisch grünes Licht für eine Wiedervereinigung. Dass Kohl bei der Pressekonferenz im Anschluss an das Moskauer Treffen mit Gorbatschow von einem "Durchbruch" in der Einheits-Frage sprach, war darum durchaus nachvollziehbar.

Deutschland in der Nato

Ähnlich großen Erfolg hatte Kohl in den Vergandlungen mit Gorbatschow bezüglich einer Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands in der Nato. Zunächst hatte Moskau natürlich darauf bestanden, dass der neue wiedervereinigte Staat Neutralität außerhalb der damaligen großen Militärblöcke Nato und Warschauer Pakt erhalte. Aber: Nach einem erneuten Besuch Kohls in der Sowjetunion im Juli 1990 zeigte sich Gorbatschow auch mit einer Nato-Mitgliedschaft Deutschland einverstanden.

Kohls damaliger Berater Horst Teltschik erinnerte sich später, wie Kanzler Kohl mit der Forderung, den neuen vereinigten Staat in die Nato eintreten zu lassen, nach Moskau kam. Andernfalls wollte Kohl die mit Gorbatschow geplante Reise in den Nordkaukasus absagen. Und Gorbatschow gab nach. Er ließ die sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland abziehen, wofür Bonn Moskau weitere Finanzhilfen zukommen ließ. Erneut wurden auch Lebensmittellieferungen ins Auge gefasst.

Am Vorabend jenes Treffens hatte Gorbatschow, so erinnerte sich später der ehemaliger Zentralratssekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunuion, Walentin Falin, Kohl noch im "drei-vier Milliarden Mark" gebeten, weil er nichts habe, "um sein Volk zu ernähren". Dabei, so Falin, könnte es aber gut auch um Summen in einer um ein Vielfaches größeren Höhe gegangen sein: Möglicherweise erhielt die Sowjetunuin damals noch über 100 Milliarden Mark von Deutschland. Zumal Moskau nicht nur zustimmte, dass Deutschland eben keine neutrale, blockfreie Position erhalte, sondern auch noch zusehen musste, wie taktische Atomwaffen der USA in Westdeutschland stationiert blieben. Dies galt damals als der "größte Triumph der Nato".

Und dann kam Jelzin

Nach dem Zerfall der UdSSR und dem Abgang Gorbatschows in die politische Versenkung galt es für Kohl, angemessene Beziehungen zu dessen Nachfolger im Kreml, dem ersten Pärsidenten der Russischen Föderation, Boris Jelzin, zu schaffen. Im Dezember 1992 reiste Kohl erstmals zu Jelzin nach Russland. Insgesamt sollten sich die beiden dann noch etwa 20 Mal treffen. Jelzin war sehr interessiert an einem stabilen konstruktiven Verhältnis zu Deutschland und behielt darum den Kurs seines Vorgängers bei. Unter Jelzin wurden die sowjetischen Truppen endgültig von deutschem Territorium abgezoge.

Auch Putin traf Kohl: hier im Anwesen Nowo-Ogarjowo bei Moskau, wo 2006 Kohl zu Jelzins 75. Geburtstag eintraf. / APAuch Putin traf Kohl: hier im Anwesen Nowo-Ogarjowo bei Moskau, wo 2006 Kohl zu Jelzins 75. Geburtstag eintraf. / AP

Als Jelzin 2007 starb, nannte Kohl das  einen "schweren Verlust": "Mit Begeisterung erinnere ich mich an unsere menschlich herzlichen und politisch wertvollen Treffen, in denen er sich als verlässlicher Partner und treuer Freund zeigte", so Kohl damals. Und auch Jelzin nannte Kohl zuvor wiederholt seinen Freund.

Jelzins Witwe Naina Jelzina sagte, als sie nun vom Tod Kohls erfuhr, dass jener ein Mensch gewesen sei, "der sehr viel für eine ebenbürtige Beziehung zwischen seinem Land und dem neuen demokratischen Russland getan hat".

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