Das große Bauen: Wie der Sowjetstaat unter Stalin gen Himmel wuchs

Geschichte
IGOR ROSIN
Zu Stalins Regierungszeit zwischen 1922 und 1953 erlebte die Sowjetunion in baulich-technischer Hinsicht einen von oben indoktrinierten, dafür jedoch auch extrem großen Progressionsschub. Leuchtturmprojekte wie neue Wasserkraftwerke, Kanäle, Eisenbahnstrecken sowie neue Wohnblocks für Arbeiterfamilien wurden überall in kürzester Zeit umgesetzt. Und das ganze Land half dabei.

Im nordwest-russischen Tscherepowets wird ein neuer Wohnblock gebaut. Alle Einwohner der Kleinstadt wurden gebeten, sich an dem Bau zu beteiligen. Wer die besten Leistungen am Bau zeigte, wurde später von der Kommunsitischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) ausgezeichnet, zum Beispiel mit einem Lohnzuschuss oder zusäzulichen Urlaubstagen.

Dieses Gebäude steht heute in dem Moskauer Wohngebiet Choroschewo-Mnewniki. Um nicht mehr in den weit verbreiteten Gemeinschaftswohnungen (Kommunalkas) leben zu müssen, waren viele Menschen bereit, selbst beim Hausbau mitzumachen. Denn eine eigene Wohnung war, so klein sie dann auch sein mochte, immer eine große Freude für die Familien.

Als in Moskau die berühmten sieben "Stalin-Schwestern" gebaut worden, ähnelten die meisten Randbezirke der Hauptstadt noch russischen Dörfern. Darum war es damals gar nicht so ungewöhnlich, zwischen neu gebauten Wohnblocks und dem Hauptgebäude der Moskauer Staatsuniversität noch ein Holzhäuschen zu entdecken.

Die meisten Wohnblocks entstanden nach ein und demselben Bauplan. In der berühmten sowjetischen Komödie "Ironie des Schicksals" wird dieser Umstand aufs Korn genommen: Nach einem Umtrunk mit Freunden fährt ein Mann von Moskau nach Sankt Petersburg, wo er auf einer gleichnamigen Straße einen gleich aussehenden Wohnblock findet und mit demselben Schlüssel  in eine gleiche Wohnung gerät. Nur die dort lebende Dame unterscheidet sich von seiner eigenen Ehefrau...

Ein beliebtes Motiv in Mosaiken und Reliefs war die Gleichstellung der Arbeiterfrau in der Sowjetideologie.

In dem Sowjetfilm "Die Höhe" von 1957 werden die Baukletterer als große Helden dargestellt. Und tatsächlich durften sie auf keiner Baustelle fehlen.

Schaut man sich die vielen jungen Leute auf den Großbaustellen an, dann möchte man meinen, dass diese Projekte nicht nur nützlich und nötig, aondern für die Teilnehmer durchaus auch witzig und interessant sein konnten. Hier wurde beispielsweise ein konzert für die fleißigen Bauarbeiter veranstaltet.

Frauen in der Sowjetunion waren mehr als Feministinnen: Sie mussten um nichts mehr kämpfen, sondern waren praktisch gleichgestellt. Hier ruht sich gerade eine Dame von den Baustrapazen aus.

In dem kommunistischen Sowjetstaat erhielten die Familien die neuen Wohnungen niemals als Eigentum, denn das blieb beim Staat. Dafür erhielten sie langfristiges Nutzungsrecht. Privates Wohneigentum erhielten in erster Linie Parteifunktionäre und Kriegsveteranen. Erst in den 80ern wurde es auch für Familien leichter, eine Wohnung zu erwerben.

Kollektive Arbeit, soziale Verteilung und technischer  Fortschritt: Auch wenn ein echter Kommunismus in der Sowjetunion niemals erreicht wurde, waren viele Menschen durchaus zufrieden mit den vielen Vorteilen, zum Beispiel den kostenfreien Sommerlagern in die Provinz. Hier: Solowezki-Inseln.