Wassili Petrow: Warum der Vater der russischen Elektrotechnik seine Finger opferte

Geschichte
JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Zwei abgebrochene Studiengänge, der Boykott der Wissenschaftsgemeinde und blutige Experimente mit Elektrizität, die die Kollegen erschreckten –Wassili Petrows Leben verlief anders, als man es von einem großen Wissenschaftler erwarten würde.

Der Professor verbringt unzählige Stunden in seinem Laboratorium und spricht so gut wie gar nicht mit seinen Kollegen. Manchmal sieht man, wie er sein dunkles, mit Geräten vollgestopftes Zimmer verlässt, mit blutverschmierten Fingern. „Er ist verrückt, besessen. Warum tut er das?“, munkelt man über ihn in den Akademiegängen.

“Das ist doch nur ein Experiment, das sich mit der Elektrizität beschäftigt, nichts Gefährliches also”, findet der Professor. Sein in ganz Russland bekanntes Laboratorium zieht, zum Ärger der Kollegen, die Blicke der Öffentlichkeit umso stärker auf sich. In der Akademie lässt man währenddessen kein gutes Haar mehr an ihm und abermals verursacht ein öffentlich demonstriertes Experiment des Wissenschaftlers einen Skandal.

„Ich hoffe doch, dass zumindest aufgeklärte und unbefangene Physiker irgendwann meinem Werk den Tribut zollen, den meine wichtigen Experimente verdienen“, schreibt Petrow in seinen Memoiren.

So, oder so ähnlich, nahm das Drama Anfang des 19. Jahrhunderts am Institut für Physik der Petersburger Militärmedizinischen Akademie wohl seinen Lauf. An den Professor mit den blutigen Fingern würde man sich jedoch erst in hundert Jahren erinnern, denn dann sollte sich herausstellen, dass er mit seinen Entdeckungen Recht hatte.

Er opferte seine Finger

Im Jahr 1761 in einer Pfarrerfamilie geboren, verbrachte Wassili Petrow seine Schulzeit unter der strengen Aufsicht der Kirche und begann im Anschluss daran sein Studium am russischen Kollegium (der Schule der höchsten Wissenschaften), das er jedoch abbrach. Danach studierte er an der Pädagogischen Hochschule, brach dieses Studium jedoch ebenfalls ab, da er entschieden hatte, dass er schon bereit zum Unterrichten sei.

In Zukunft sollte sich jedoch niemand über den Qualifikationsmangel des Wissenschaftlers beschweren: Erfolgreich unterrichtete Wassili Petrow fünf Jahre lang Physik und Mathematik an einer provinziellen Sonntagsschule in der Altai-Region und zog zur Jahrhundertwende nach Sankt Petersburg. Dort folgten 41 Jahre am Institut der Physik voller brillanter wissenschaftlicher Entdeckungen, die man zu seinen Lebzeiten nicht anerkannte und nach seinem Tod vergaß.

Für sein Laboratorium jedoch wurde Petrow geschätzt: Dorthin ließ er die auf Schlitten gelieferte und nach seinen Vorgaben angefertigte technische Ausstattung bringen, die er großzügig mit seinen Kollegen teilte und mit deren Hilfe er unaufhörlich seine physikalischen Experimente durchführte.

Da es zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch keine exakten elektrischen Messgeräte gab, opferte Petrow zugunsten der Wissenschaft seine Finger. Um die kleinsten elektrischen Stromimpulse beim Erforschen der elektrotechnischen Phänomene zu fühlen, benutzte Petrow die eigenen Fingerkuppen, von denen er vorsorglich die oberste Hautschicht entfernt hatte. Im Jahr 1802 war er schließlich der Erste, der das Phänomen des elektrischen Lichtbogens entdeckt hatte, das es ermöglichte, Metalle in den Schmelzöfen zu schmelzen und zu schweißen. Eine Entdeckung, die ihm, wie man meinen könnte, landesweite Bekanntheit und die Anerkennung seiner Kollegen hätte einbringen sollen.

Der Außenseiter

Nichts von alldem trat jedoch ein. Unter den Akademikern genoss Petrow einen höchst zweifelhaften Ruf, da er mit Vorliebe am akademischen Betrieb Kritik übte. Beim Präsidenten der Petersburger Militärmedizinischen Akademie, dem bekannten Reaktionär und Grafen Sergei Uwarow, war er regelrecht verhasst, was dazu führte, dass seine bedeutenden Entdeckungen von seinen Kollegen ignoriert wurden.

Der Status des „Erstentdeckers“ des elektrischen Lichtbogens wurde darüber hinaus dem Briten Humphry Davy zugesprochen, der diese Entdeckung seinen Kollegen an der Royal Institution in London präsentierte und mit der er für weltweite Begeisterung sorgte.

Laut manchen Quellen wurde Petrow nach seiner Kündigung im Jahr 1833 mit einer phänomenalen Abfindung von 5 000 Rubeln (heute 37 500 Euro) pro Jahr entschädigt – der Wahrheitsgehalt dieser Angaben wird jedoch mittlerweile bezweifelt, da nach seinem Tod die Zahlungen „für die Verdienste des Vaters“ an seine Töchter nicht ausbezahlt wurden. Von Petrow selbst blieb kein einziges Porträt erhalten und die genauen Angaben zu seiner Petersburger Grabstätte gingen verloren. Als Wissenschaftler wurde er erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, also knapp hundert Jahre nach seinem Tod, „rehabiliert“.