Mit kreativer Werbung erfolgreich Verkaufen: Vier Beispiele aus der Zarenzeit

Geschichte
GEORGI MANAJEW
Trolling, Falschmeldungen, Produktplatzierung und Automaten: All diese Methoden wurden in der russischen Werbung des 19. Jahrhunderts auf einzigartige Weise eingesetzt. Wir stellen vier der besten Kampagnen vor.

1 Schustow Brandy: Barkämpfe und der Imperator als Werbefigur

Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Moskauer Kaufmann Nikolai Schustow damit, Brandy herzustellen. Da der Markt aber schon mit verschiedenen Arten von Spirituosen übersättigt war, erfand er eine originelle Art und Weise, um für seine Marke Werbung zu machen. Er heuerte mehrere junge gutaussehende Moskauer an, die allesamt Faulpelze waren, und bezahlte sie für Folgendes: Sie sollten, schön angezogen, in Restaurants gehen und ein üppiges Essen sowie eine Flasche Schustow Brandy bestellen. Der Besitzer würde darauf antworten, dass er noch nie von diesem Getränk gehört hätte. Darauf wiederum würden die bezahlten Betrüger außer sich vor Wut geraten und laut beklagen, dass dieser Brandy schließlich das beste Getränk in Russland sei und ein Restaurant, das ihn nicht auf Lager habe, eine absolute Absteige sein müsse. Sie würden dann für das nicht angerührte Essen bezahlen – die Ausgaben deckte mit Sicherheit Schustow – und darauf spekulieren, dass der Restaurant-Eigentümer nach diesem Spektakel schnellstmöglich eine riesige Lieferung des Brandys bestellen würde.  

Schustows Sohn ging noch weiter. Es gelang ihm, den Zaren davon zu überzeugen, für seinen Brandy Werbung zu machen. 1912 ließ sich Schustow Junior zu einer Osterfeier am Hofe einladen. Sobald Nikolai II. die Halle betrat, ignorierte Schustow die höfische Etikette, ging schnurstracks auf den Herrscher zu, fiel vor ihm auf die Knie und bot ihm einen kleinen Schluck Brandy auf einem Silbertablett an. Der verwirrte Zar lehnte das Geschenk nicht ab, sondern trank es aus und sagte: „Das ist ein ziemlich guter Brandy, Gentlemen, das muss ich sagen!“ Kein Wunder, dass Schustows Verkaufszahlen danach sprunghaft anstiegen und er im Jahre 1914 fast 30 Prozent der Alkoholproduktion in Russland kontrollierte.

2 Henri Brocard: „Pädagogische Seife“ und Wachsblumen für die Großherzogin

Russland zog viele europäische Händler an, die mit kreativen Mitteln Kunden für sich gewannen. Der 24-jährige Henri Brocard kam 1861 nach Russland und produzierte Parfüm. Sein erster Trick bestand darin, Kinder anzulocken: Er fing an, „pädagogische“ Seife in Form von Buchstaben zu produzieren, da zu jener Zeit Grundschulen in ganz Russland entstanden und viele Menschen in den Städten danach strebten, ihre Kinder zu bilden. Für Brocard war das ein einträgliches Geschäft.

Zu dieser Zeit war Parfum immer noch etwas für Wohlhabende, arme Menschen konnten sich nicht einmal gewöhnliche Seife leisten, so dass Brocard geldknappe Kunden ins Visier nahm, um ihnen Seife, Gesichtspuder und Lippenstifte für jeweils nur zehn Kopeken zu verkaufen. Dieser Trick brachte ihm ein Vermögen ein, was es ihm ermöglichte, ein Elite-Parfüm zu kreieren. Das erforderte jedoch eine andere Werbemethode.

Im Jahr 1873 organisierte Brocard für die Großfürstin Maria Alexandrowna, die Tochter des russischen Imperators, Alexander II., einen Besuch in seiner Parfümfabrik. Als sie dort ankam, wurde der Großherzogin ein Blumenstrauß aus Wachsblumen überreicht, die jeweils mit einem besonderen Parfüm versehen waren. Beeindruckt und erfreut, erlaubte sie Brocard, ihren Namen auf der Verpackung seiner Produkte zu verwenden und damit sein Image aufzuwerten. Er entwarf sogar einen neuen Duft namens „Das Bouquet der Imperatorin“, der sehr bekannt wurde und in Russland immer noch unter dem Namen „Krasnaja Moskwa“, also „Rotes Moskau“, beziehungsweise „Schönes Moskau“, existiert.

3 Schaposchnikows Tabak: Ein rauchendes Seeungeheuer

Brandy und Parfüm waren auf dem russischen Markt eine ziemliche Neuheit, aus diesem Grund brauchten sie eine besonders aggressive Werbung. Dasselbe lässt sich über die Tabakprodukte sagen.

Russische Raucher verwendeten hauptsächlich Pfeifen, Schnupftabak und handgerollte Zigaretten. In der Mitte des 19. Jahrhunderts konnten Russen „Papirosy“ kaufen – eine frühe Version einer Zigarette, die aus einer hohlen Pappröhre bestand, die durch eine dünne, mit Tabak gefüllte Zigarettenpapierröhre erweitert wurde. Um sie zu verkaufen, mussten die Hersteller die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich ziehen und taten das mithilfe der Poesie. Ab dem 17. Jahrhundert wurden in den ersten russischen Anzeigen für einfache Waren, wie Essen und Kleidung, Reime verwendet, die eingängig und leicht zu merken, beziehungsweise schwer aus dem Kopf zu bekommen waren.

So erfand Alexander Schaposchnikows Tabakfabrik eine fiktive Figur, Onkel Michail, der kurze Reime auf Zigarettenpackungen schrieb, die etwa so klangen: „Die ‚Goldene Klinge‘, eine Tabakpflanze, duftend und zart, wie ein Rosenblatt, sendet Grüße aus dem Paradies. Es gibt auf der Welt keine Zigarette, wie diese!“ Einfach und bewegend war nämlich genau das, was die Menschen brauchten. Im Übrigen war der wahre Urheber der Verse, der Hobbypoet Sergej Korotkij, ein ehemaliger Soldat, der sich während seiner Zeit in der Armee unter die Dorfbewohner gemischt hatte – so wusste er, was sich der gewöhnliche Mensch wünschte.

Schaposchnikow nutzte für seine Werbekampagnen auch etwas, das wir heutzutage als „Falschmeldung“ oder „Fake News“ bezeichnen würden. Zum Beispiel bezahlte er eine Sankt Petersburger Zeitung dafür, eine „sensationelle“ Nachricht zu veröffentlichen, die lautete: „Ein Flussdrache erschien im Oka-Fluss in der Nähe von Nischnij Nowgorod. Ein tapferer Wasserpolizeibeamter jagte das Biest und brachte es mit einem Kopfschuss um. Als der enorm lange Drache an Land gezogen wurde, fand man folgende Inschrift, die sich von seinem Kopf bis zu seinem Schwanz erstreckte: „Rauchen sie nur die besten Osman-Zigaretten“. Man weiß nicht, ob irgendjemand diesen Unsinn geglaubt hatte, doch mit seiner unterhaltsamen Art brachte Schaposchnikow die Leute dazu, sich an seine Marke zu erinnern.

4 Eine Schokoladenfabrik: „Pastillewalzer“ und süße Zeppeline

Der Schokoladenmagnat Ferdinand von Einem begann seine Karriere in Moskau im 19. Jahrhundert zunächst mit einer kleinen Konditorei. Erstmals verhalf er ihr zu Bekanntheit, nachdem er das russische Militär während des Krimkrieges, zwischen 1853 und 1856, mit Sirup und Marmelade versorgt hatte. Bald darauf stand seine Schokoladenfabrik gegenüber dem Kreml am gegenüberliegenden Ufer des Moskau-Flusses. Vor allem wurde von Einem aber durch seine Anzeigen, an die man sich bis heute in Russland erinnert, berühmt.

Er war der erste in Russland, der in seinen Geschäften Schokoladenautomaten installierte. Diese verkauften kleine Stückchen Schokolade für 0,1 Rubel und waren bei Kindern sehr beliebt. Die Süßigkeiten wurden in Blechkisten geliefert, die dann als Aufbewahrungsort für Getreide und Mehl dienten – auf diese Weise war die Marke von Einem in jeder Küche zu sehen. Verschiedene Serien Süßigkeitendosen enthielten Sammlerstücke, Lotterielose, Ansichtskarten vom „zukünftigen Moskau“ und sogar Noten mit Liedern, die „Schokoladenwalzer“ und „Pastillewalzer“ hießen. Um das alles zu drucken, kaufte von Einem eine kleine Druckerei. Schließlich mietete er zwei Zeppeline mit seinem Markennamen, die dann über Moskau und Sankt Petersburg schwebten.

Nach der Revolution wurde von Einems Fabrik verstaatlicht, die Produktion jedoch nicht eingestellt. In der Sowjetzeit wurde die Fabrik „Roter Oktober“ genannt.

Für weitere Informationen darüber, wie Ausländer in Russland erfolgreich wurden, können Sie unseren Artikel „Drei Ausländer, die die russische Geschichte verändert haben“ lesen.