Als Wladimir Putin im Jahr 2000 ein Gesetz zur Schaffung einer neuen russischen Nationalhymne unterschrieb, waren nicht alle Russen glücklich darüber. Zum Beispiel sagte der berühmte russische Cellist Mstislaw Rostropowitsch, dass er „diese Hymne niemals ehren würde, da ich, während sie gespielt wird, nicht vorhabe, aufzustehen.“ Der Grund dafür ist wohlmöglich die Tatsache, dass es sich nicht wirklich um eine „neue“ Hymne handelt.
Die Hymne, die seit dem Jahr 2000 gespielt wird, ist die gleiche Hymne, die von Alexander Alexandrow geschrieben und von Josef Stalin als die Hymne der Sowjetunion genehmigt wurde und bereits von 1944 bis 1991 existierte. Der Text der Hymne aus dem Jahr 2000, die einen an die Zeit in der Sowjetunion erinnert, war zwar neu, stammte jedoch vom selben Dichter, der schon den Text für die Hymne des Jahres 1944 verfasst hatte: Sergei Michalkow. Doch wie kam es dazu?
Königlicher Ruhm
Russlands Nationalhymne war schon immer ein Spiegelbild der Gesellschaft und der Politik des Landes. Die erste offizielle Hymne mit dem Titel „Gebet der Russen“ wurde im Jahr 1816 von Alexander dem Ersten ausgesucht. Sie setzte sich aus einem russischen Text, der den Zaren verherrlichte, und aus der britischen Melodie von „Gott schütze den König/die Königin“ zusammen.
Nikolai der Erste, der nach Alexander dem Ersten regierte und für seinen russischen Patriotismus sowie sein hitziges Temperament bekannt war, ließ jedoch verlauten: „Die britische Musik, die wir so lange gehört haben, langweilt mich.“ Also wurde im Jahr 1833 eine neue Hymne geschrieben, die den Titel „Gott schütze den Zaren!“ trug und Zeilen wie „stark, souverän, ist der Herrscher für Ruhm, für unseren Ruhm!“ enthielt.
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Revolutionszeit
Im Jahr 1917 endete die Ära der russischen Monarchie und Russlands Revolutionsführer wollten neue Lieder für das Volk. Diese Lieder waren eng mit der revolutionären Symbolik verbunden: So wurde die russische Version der „La Marseillaise“ von 1917 bis 1922 als Hymne benutzt. In diesem Lied wurde der ehemals „starke, souveräne“ Zar als „Vampir“ bezeichnet, als Feind, gegen den sich das Volk erheben sollte.
Mit ihrer Schaffung im Jahr 1922 wurde „Die Internationale“ zur Nationalhymne der Sowjetunion. Obwohl es sich nicht um eine offizielle Hymne handelte, wurde dieses Lied der internationalen Arbeiterbewegung, das „alle Hungernden und Versklavten der Welt“ auffordert, sich zu erheben und den Kapitalismus stürzen, dennoch bei allen offiziellen Veranstaltungen und Feierlichkeiten gespielt.
Stalins Sinneswandel
Josef Stalin änderte aus politischer Motivation heraus im Jahr 1944 die Hymne der Sowjetunion. Sergei Michalkow und Gabriel El-Registan schrieben den Text und Alexander Alexandow komponierte die Musik dazu.
Während des Zweiten Weltkriegs wollte Stalin den westlichen Verbündeten signalisieren, dass die Sowjetunion ihre Regierungen nicht mehr stürzen wolle und bereit sei zu kooperieren. Der Wechsel von „Der Internationalen“ zu einer neuen Hymne war ein wichtiger, symbolischer Teil dieser Botschaft.
El-Registan, einer der beiden Urheber der Hymne, erinnerte sich in seinen Memoiren daran, dass „Stalin uns sagte, wir sollen noch einen Vers über die Rote Armee hinzufügen, wie wir die Faschisten schlagen und das auch weiterhin tun werden...“ Stalins Wunsch spiegelt sich in dem Vers „Wir haben unsere Armee in den Kämpfen wachsen lassen, wir werden die abscheulichen Eindringlinge aus dem Weg schaffen!“ wider. Nichtsdestotrotz wurde die Hymne im Jahr 1977 von den Behörden „korrigiert“. Sie sollte friedlicher klingen und Stalins Namen sollte entfernt werden.
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Eine Hymne ohne Worte
Die sowjetische Hymne blieb bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 bestehen. Danach brauchte Russland wieder einmal eine neue Nationalhymne. Von 1991 bis 2000 wurde die inoffizielle russische Hymne „Patriotisches Lied“ benutzt; eine wenig bekannte Komposition ohne Text, die von Michail Glinka, einem der berühmtesten Komponisten der russischen Geschichte, verfasst wurde.
Doch es gab von Anfang an Schwierigkeiten. Die Kommunistische Partei verweigerte ihre Zustimmung, sie als offizielle Nationalhymne anzuerkennen und verlangte die Wiedereinführung der sowjetischen Hymne. Zur gleichen Zeit fanden viele Leute die Wahl äußerst seltsam, da die Hymne keinen Text hatte, den man mitsingen konnte. Die Regierung schrieb sogar einen Wettbewerb für den besten Text aus, schaffte es jedoch nicht, einen Gewinner auszuwählen.
Kurz nachdem Wladimir Putin im Jahr 2000 seine erste Amtszeit als Präsident antrat, schlug er einen Kompromiss vor: Die alte Hymne sollte wieder benutzt, ihr Text jedoch so geändert werden, dass sie Russland und nicht die Sowjetunion preist. Wie bereits erwähnt, lehnten einige Leute diese Idee entschieden ab, doch die Mehrheit im Parlament stimmte der gesetzlichen Änderung zu. Seitdem wird Alexander Alexandrows bekannte Melodie wieder bei allen offiziellen Veranstaltungen gespielt.
Dem Vorwurf der Rückkehr der sowjetischen Symbolik, der zwischenzeitlich aufkam, begegnete Wladimir Putin wie folgt: „Wenn wir uns entscheiden, die Symbole der Sowjetzeit nicht zu benutzen, sollten wir auch annehmen, dass auch die Leben einer ganzen Generation unserer Bürger, unserer Mütter und Väter, sinnlos waren. Ich kann dem jedoch nicht zustimmen.“