„Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung“ – dieser sowjetische Slogan steht in minimalistischer Schrift auf Goscha Rubtschinskijs berühmte Sweatshirt. Es handelt sich um die Worte, die in den 1930er Jahren das sowjetische Volk dazu aufriefen, sich – wenn nötig – auf die Verteidigung des kommunistischen Staates vorzubereiten und erinnert an dessen Gründung durch Wladimir Lenin.
Lenin, der erste sowjetische Designer
Lenin verstand die ideologische und industrielle Bedeutung des Designs. Nach seinem Dekret wurde im Jahr 1920 in Moskau eine staatlich kontrollierte Kunstschule gegründet, die „Höhere Künstlerisch-Technische Werkstätten“ oder auch WChUTEMAS. Nach Lenins Worten sollte sie „hochqualifizierte Meisterkünstler für die Industrie sowie Baumeister und Leiter für den fachlich-technischen Unterricht“ ausbilden. Avantgardistische Künstler wurden für die Gestaltung von Werbung, öffentlichen Plätzen, Büchern und Theateraufführungen eingesetzt. Für den sowjetischen Staat gehörte zum Industriedesign auch Möbel-, Automobil-, Marken-, Logo- und Mode-Design.
Die russische Avantgarde war eng mit der europäischen Kunstszene verbunden und russische Designer suchten mit ihren Kollegen nach Ideen und Ansätzen. Die erste bekannte russische Designerin für Damenkleidung, Nadeschda Lamanowa, wurde beispielsweise beauftragt, eine „russische“ Kollektion zu kreieren, die bei der Weltausstellung in Paris im Jahre 1925 für Aufsehen sorgte. In den 1930er Jahren wurde es für den Sowjetstaat offensichtlich, dass die riesige Leichtindustrie gemeinsame Standards und eine zentrale Kontrolle brauchte.
Ein wenig Hilfe vom Premierminister
In den 1930er und den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg verschärfte die Sowjetunion ihre Kontrolle der Leichtindustrie und gründete im Jahr 1946 das Ministerium für Leichtindustrie.
Alla Lewaschowa, eine Designerin und Modedirektorin, förderte aktiv die Idee einer zentralen Kontrolle der sowjetischen Modeindustrie. Als Person der Beau Monde hatte sie geschäftliche Beziehungen zu dem Vorsitzenden des Ministerrats, Alexej Kossygin – einem Mann, der einen tadellosen künstlerischen Geschmack besaß. Mit seiner Hilfe schuf Lewaschowa im Jahr 1962 im Ministerium für Leichtindustrie in sieben der wichtigsten UdSSR-Regionen künstlerisch-konstruktive Büros. Die Büros arbeiteten an Lösungen für Massenentwürfe und schickten anschließend die Proben an lokale Industrien.
„Manche Dinge waren in der sowjetischen Realität undenkbar. Unsere Designer konnten zu Hause arbeiten und kamen nur ins Büro, um an den Kunstgremien teilzunehmen“, erinnert sich Tatjana Koslowa, eine russische Designerin, die Ende der 1970er Jahre im Moskauer Büro arbeitete. „Als wir ihre Arbeiten sahen, begriffen wir, was für geniale Grafikkünstler diese Leute waren.“
Boris Trofimow, ein Designer der auch im Büro arbeitete, meint: „Die Atmosphäre war sehr kreativ. Wir brachten alles mit, was als Referenz dienen könnte – alte Bücher, Blech- oder Porzellanteller, Becher mit vorrevolutionären Fabrikstempeln und alte Wappenbilder. Wir haben prähistorische Kunst und traditionelle Kunst studiert – an diesen Orten haben auch die Futuristen und Konstruktivisten ihre erste Inspiration gefunden.“
Das Büro erstellte Handelslogos für alle Arten von Industrie – von Kleidung über Kühlschränke bis hin zu Konserven oder Autos – und stellte ein einzigartiges zentralisiertes, kontrolliertes Designsystem dar.
Die Frau, die es schaffte, mit Yves Saint Laurent zusammenzuarbeiten
Alla Lewaschowa nutzte ihre Beziehungen zur gehobenen Gesellschaft, um den legendären Yves Saint Laurent, den künstlerischen Leiter des Christian-Dior-Hauses, zu treffen. Von da an wurden jedes Jahr neue Prêt-à-porter-Kollektionen nach Moskau geschickt, die von Saint Laurents Partner Pierre Bergé persönlich betreut wurden.
„Doch auch vor Dior hatten wir eine solide Schule für die Herstellung und Modellierung von Kleidung“, findet Koslowa. „Lamanowas Kenntnisse der Geschichte der russischen Tracht, die avantgardistischen Designs, die für Djagilews ‚Ballets Russes‘ kreiert wurden – sie bildeten die Basis für das, was als nächstes kam.“
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Die russische Avantgarde war jedoch nicht die Hauptinspirationsquelle für das sowjetische Design, argumentiert Trofimow. „Vor der Chruschtschows Tauwetter-Periode haben wir wenig von der russischen Avantgarde zu sehen bekommen – sie galt seit Stalins Zeit als ideologisch ‚falsch‘. Gegen Ende der 1960er Jahre wurde die Situation jedoch besser. Auf dem Schwarzmarkt konnte man ‚westliche‘ Kunstalben kaufen, in manchen Bibliotheken Bücher über Design bestellen. Es gab auch Grafikmagazine aus Japan, Deutschland, Ungarn und der Tschechischen Republik, von denen wir einige der Motive entnommen haben“, erklärt Trofimow.
Das bedeutet nicht, dass die sowjetische Mode eins zu eins vom Westen übernommen wurde. Die sowjetischen Designer überarbeiteten die europäischen Entwürfe, um sie an den Geschmack und die ästhetischen Bedürfnisse der Russen anzupassen. „Die Anthropometrie der Russen unterscheidet sich von der der Franzosen“, sagt Koslowa. „Um Diors allgemeine Silhouette zu erhalten, haben die Designer die französischen Kurven überarbeitet, um sie an die Körperformen der Russen anzupassen und sie sodann in alle Sowjetrepubliken zu schicken, um der sowjetischen Mode einen exquisiten und raffinierten Touch zu verleihen.“
Bis ins 21. Jahrhundert
In den 1980er Jahren wurden die Modeinstitutionen in der Sowjetunion reorganisiert und endlich gab es wieder einige sowjetische Kollektionen in Europa zu sehen. Nach dem Sturz der Regierung gingen die Designer, die den Kern des Büros bildeten, jedoch endgültig getrennte Wege.
Es wurde das erste „westliche“ Modehaus des Designers Slawa Sajzew errichtet – dem ersten sowjetischen Designer, der unter seiner persönlichen Marke „Slawa Sajzew“ als Modeschöpfer tätig war. Seine charismatische Persönlichkeit und seine leuchtenden, extravaganten Entwürfe unterschieden ihn von allen anderen sowjetischen Designern, die neben ihm wie graue Staatsbeamte wirkten.
In den 1970er Jahren erhielt Sajzew den Ruf, der „Rote Dior“ zu sein. Ab den späten 1980er Jahren waren seine Kollektionen auf Laufstegen auf der ganzen Welt zu sehen: Eine Kollektion namens „Ballets Russes“ feierte im Jahr 1988 in Paris Premiere. Ein Jahr später erblickte Sajzews Modekollektion für Männer in Florenz das Licht der Welt. Um diese Zeit wurde Sajzew, der bis heute als einer der beliebtesten und bekanntesten russischen Designer gilt, Direktor des ersten sowjetischen Modehaus. Im Jahr 2007 wurde er schließlich zum Akademiemitglied der Russischen Kunstakademie.
>>> Wie der sowjetische Designer Slawa Sajzew zum „Roten Dior“ wurde
Derzeit, sagt Trofimow, sei der Einfluss der russischen Avantgarde in der Mode viel gewichtiger, als beispielsweise in der Sowjetzeit. „Die Möglichkeiten, die uns die heutige Welt bietet, sind sehr groß. Nehmen Sie den Bereich der Ausstellungen: Kürzlich hat die Tretjakow-Galerie eine große Ausstellung zu El Lissitzky gemacht. Es gab Werke, die wir noch nie zuvor gesehen haben. Ich denke, dass die Avantgarde nun viel interessanter für uns ist, als in der vergangenen Zeit, da wir sie vermehrt überdenken. Ich bin froh, dass eine neue Wahrnehmung der visuellen Kultur entstanden ist – eine breitere, großflächigere und zeitgenössische Mode, die aus allen möglichen Quellen ihre Inspiration zieht – für uns jedoch liegen die Anfänge dort, in diesem Büro.“