Ende des 19. Jahrhunderts sehnten sich russische Frauen nach einer Hochschulbildung, aber diese in Russland zu bekommen, war praktisch unmöglich, sodass viele sich dazu entschieden, ins Ausland zu gehen. Darüber hinaus stieg die Zahl der ländlichen Schulen ständig an, während das bestehende Angebot an männlichen Lehrern nicht ausreichte. Kaiser Alexander der Zweite war gegen die Frauenbildung, ließ sich aber davon überzeugen, die Einrichtung einer universitären Institution für Frauen zu ermöglichen.
Die Hochschulkurse für Frauen wurden im September 1878 in Sankt Petersburg eingeführt. Ihr erster Direktor war ein Professor und Neffe eines Dekabristen, Konstantin Bestuschew-Rjumin, sodass die Kurse als Bestuschewskije Kurse bezeichnet wurden und ihre Studentinnen und Absolventinnen wurden als Bestuschewskijes bekannt.
In vielerlei Hinsicht wurde die Hochschule dank der Aktivistin Nadeschda Stassowa eingerichtet, die die Frauenbewegung in Russland leitete und durch ihre Bemühungen Frauen in Adelsfamilien in der Lage waren, zu arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie war ein Idol und ein Vorbild für viele Schülerinnen der Bestuschewskije Kurse. Zuvor in 1870 trug sie dazu bei, dass es die ersten gemeinsamen öffentlichen Vorlesungen für Männer und Frauen in Sankt Petersburg gab, die Wladimir-Kurse.
Studentinnen der Bestuschewskije Kurse mussten jedoch Studiengebühren zahlen. Es gab keine Aufnahmeprüfungen, um sich einzuschreiben, musste eine Bewerberin 21 Jahre alt sein und das Gymnasium abgeschlossen haben. War die Rate der Bewerberinnen zu hoch, wurden die Studentinnen nach ihren Schulnoten ausgewählt. Junge Frauen, die aus den Provinzen kamen, mieteten Räume und teilten sich diese oft, um Geld zu sparen.
Die erste Absolventin der Hochschule, welcher später Lehrerin wurde, war Nadeschda Gernet. Das zusehende Foto zeigt sie im Geometrieunterricht. Gernet war auch die zweite Mathematikerin in Russland, die promoviert wurde. Die Erste war Sofia Kowalewskaja, jedoch musste diese, um eine höhere Ausbildung zu erhalten, eine fiktive Ehe eingehen und im Ausland studieren.
Elisaweta Djakonowa, eine der ersten russischen Feministinnen, die an den Bestuschewskije Kursen studierte, erinnerte sich daran, dass viele Mädchen aktiv am öffentlichen Leben teilnahmen und sich eng mit frei denkenden und revolutionären Studenten anfreundeten. Allerdings waren nicht alle von der Ideologie getrieben, viele wollten nur heiraten.
>>> Wie eine Frau aus der Provinz die erste russische Feministin wurde
Die Studentinnen der Bestuschewskije Kurse interessierten sich nicht nur für Naturwissenschaften und Politik, sondern auch für Kunst - sie hatten sogar eine laienhafte Theatergruppe.
1886 beschloss der Staat, die Frage der Hochschulbildung von Frauen zu überdenken und über mehrere Jahre nahmen die Bestuschewskije Kurse keine neuen Studentinnen mehr auf. Diese Entscheidung wurde jedoch später wieder aufgehoben und die Einschreibung für die Bestuschewskije Kurse wurde wieder aufgenommen. Das zu sehende Foto zeigt ein Seminar mit Professor Gers.
1903 konnte die Liste der Absolventinnen der Bestuschewskije Kurse zum ersten Mal weibliche Chemikerinnen verzeichnen. Im selben Jahr erhielten Marie Curie und ihr Mann den Nobelpreis für ihr Studium der Strahlung. Im Jahr 1911 erlaubte Nikolaus der Zweite den Absolventen der Bestuschewskije Kurse Universitätsabschlüsse zu erhalten, genau wie den Männern. Dies war ein echter Durchbruch.
In nur 40 Jahren ihres Bestehens haben die Bestuschewskije Kurse etwa 10 000 Studentinnen eine Hochschulbildung ermöglicht. Nach der bolschewistischen Revolution wurden die Bestuschewskije Kursky in einen Teil der Petrograder Universität umgewandelt, welche später mit ihr verschmolz.
In England wurde übrigens kurz vor den Bestuschewskije Kursen die erste Hochschule speziell für Frauen gegründet: Das Girton College an der Cambridge-Universität mit nur fünf Studentinnen wurde 1873 eröffnet. An der Oxford-Universität wurden 1879 die ersten Frauenhochschulen eröffnet.
In den USA konnten Frauen seit 1853 eine Hochschulbildung erhalten, in Frankreich seit 1863, während die Universität Zürich bereits in den 1840er Jahren ihre Türen für Studentinnen öffnete. In Deutschland durften Frauen erst 1896 die Prüfungen für einen allgemeinen Sekundarschulabschluss ablegen. Später durften sie an Universitätskursen teilnehmen. Das Recht auf Hochschulbildung wurde den Frauen erst 1913 in der Weimarer Republik offiziell gewährt.