Fahren zu Zeiten der Zaren: Wie der Motorsport nach Russland kam

Iwan Iwanow auf Grand Prix Russlands im Jahr 1913

Iwan Iwanow auf Grand Prix Russlands im Jahr 1913

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Dass russische Autofahrer gerne schnell fahren, ist ein weitverbreitetes (und nicht ganz falsches) Vorurteil. Bereits kurz nachdem die Autos auftauchten, organisierten Enthusiasten die ersten Rennen.

Obwohl Autorennen heute weltweit populär sind, erinnern sich nur wenige an die glorreichen Anfänge dieser gefährlichen, aber auch aufregenden, Sportart. Ebenfalls kaum bekannt ist, dass die Wurzeln des Motorsports nicht zuletzt auch in Russland zu finden sind.

Schon 1898 wurden erste Rennen außerhalb von Sankt Petersburg veranstaltet. Vier Jahre später wurde die älteste und einflussreichste Autoorganisation des Landes, der Sankt Petersburger Automobilclub (SPAK), gegründet. Dieser verbreitete die Autokultur, in dem er Rennen und Ausstellungen veranstaltete und mit autofreundlichen Zeitungen kooperierte.

Die Anfänge

Der bekannteste Automobiljournalist und Rennfahrer des zaristischen Russlands war Andrej Nagel, einer der Mitbegründer des SPAK. 1902 gründete er zudem die erste russische Autozeitschrift und gab ihr den einfachen Namen „Automobil“.

Andrej Nagel (links)

“Die Idee, ausgerechnet in Russland, wo es vielleicht ein paar Dutzend Autos gibt, eine Autozeitschrift zu veröffentlichen, scheint verrückt und zum Scheitern verurteilt“, gab er zu. Doch Nagel hatte einen Trick: Er lieferte die Zeitung zunächst umsonst aus, wodurch sie nicht nur in Russland, sondern auch in Deutschland und Frankreich populär wurde.

Tatsächlich waren Autos in Russland zu dieser Zeit noch rar gesät. Eine eigene, russische Autoindustrie gab es erst recht noch nicht. 1902 wurden gerade einmal 40 Autos aus dem Ausland importiert. Die Öffentlichkeit betrachtete die neuen Gefährte zunächst mit einiger Skepsis.

“Am 23. Juni 1912 reiste ich mit dem Auto von Moskau nach Charkiw. Dabei fuhr ich auch durch das Dorf Afanasjewka in der Region Obojansk in der Region Kursk. Am Straßenrand standen einige Menschen und beobachteten mich. Einer warf schließlich sogar eine Axt auf mein Auto. Sie schlug ein und zerstörte einige eiserne Teile des Fahrzeugs. Wenn sie mich oder einen meiner Beifahrer getroffen hätte, wäre es wohl tödlich ausgegangen“, schrieb Nagel in einer Kolumne für Automobile. Er erklärte diesen Vorfall damit, dass Autos so selten waren, dass sie der Dorfbevölkerung Angst machten.  

Andrej Nagels Russo-Balt-Automobil

Nagel organisierte nicht nur Autorennen und -ausstellungen in Russland, sondern nahm auch an internationalen Wettbewerben teil. 1911 gewann er mit seinem Auto der Marke Russo-Balt die Rallye von Sankt Petersburg nach Monaco. Er hatte die 3.257 Kilometer lange Strecke in 195 Stunden und 23 Minuten zurückgelegt und war damit schneller als die 87 anderen Teilnehmer. Für seinen Sieg wurde er von Zar Nikolaus II. ausgezeichnet.

Seine bemerkenswerteste Fahrt unternahm Nagel jedoch 1913: Mit seinem Russo-Balt fuhr er über 20.000 Kilometer durch Europa und Afrika.

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Die Rennen

Die Räumlichkeiten des Sankt Petersburger Automobilclubs lagen direkt auf dem wichtigsten Boulevard der Stadt, dem Newski-Prospekt. Dort gab es auch eine eigene Servicestation, wo man Autoteile kaufen konnte und Hilfestellung beim Kauf und Verkauf von Autos und Motorrädern angeboten bekam. Auf dem Gipfel seiner Popularität im Jahr 1914 hatte der Club etwa 200 Mitglieder. Wenn man bedenkt, dass es damals noch relativ wenige Autobesitzer gab, war dies eine hohe Zahl.

Hauptziel des Clubs war die Organisation von Autorennen. Diese fanden oft auf der Wolchonskoje-Autobahn zwischen Zarskoje Selo und Peterhof (beides im Südwesten von Sankt Petersburg) statt. Auch wenn die Strecke nur einen Kilometer lang war, war jedes Rennen ein wichtiges gesellschaftliches Event. Selbst die Zarenfamilie ließ sich ab und an blicken.

Aus heutiger Sicht ging es dabei eher langsam zu: Der erste Russe, der schneller fuhr als 100 km/h, war Alexander Korowin im Jahr 1904. Erst 1913 wurde die 200-Kilometer-pro-Stunde-Marke durch den Deutschen Franz Herner geknackt.

Abgesehen von den Rennen auf der Wolchonka waren auch Langstrecken-Rallyes populär. 1910 veranstaltete man zum Beispiel eine 3.200 Kilometer lange Rallye von Zarskoje Selo über Pskow, Witebsk, Mogilew, Kiew, Gomel, Roslawl, Moskau, Twer, Nowgorod und zurück nach Zarskoje Selo. Nur Fahrer und Fahrzeuge, die beweisen konnten, dass sie der langen Strecke gewachsen waren, durften teilnehmen.

Grigori Suworin auf Grand Prix im Jahr 1913

1913 fand das erste ernsthafte Rennen in Sankt Petersburg statt. Es bestand aus sieben Runden á 30 Kilometern. Von den 21 teilnehmenden Teams kamen gerade einmal acht am Ziel an. Der Schnellste war Grigori Suworin in einem Benz 29/60 PS. Er brauchte für die Strecke 2 Stunden und 23 Minuten.

Das Rennen war so erfolgreich, dass es ein Jahr später wiederholt wurde. Dieses mal stimmte jedoch das Timing nicht: Da gleichzeitig ein wichtiges Rennen in Frankreich stattfand, nahmen deutlich weniger Fahrer teil als erwartet. Insgesamt waren es 15 Teams, von denen sieben die Ziellinie erreichten. Den ersten Preis gewann der Deutsche Willie Scholl.

"Automobil" schrieb dazu: “Sein Benz - ein großes, reines Rennauto - lag gut auf der Straße und beeindruckte die Zuschauer, als er an der Tribüne vorbeifuhr.“

Trotz des unglücklichen Timings erhielt das Rennen internationale Aufmerksamkeit. Der Rennsport war in Russland angekommen. Kurz darauf war es jedoch wieder vorbei mit dem Spaß: Der Erste Weltkrieg brach aus und der Sankt Petersburger Automobilclub konzentrierte sich hauptsächlich darauf, Autos für die Armee bereitzustellen. Auch nach der Oktoberrevolution dauerte es noch etwas, bis der Sport in den 1930er-Jahren wieder populär wurde. Dazu vielleicht später mehr…  

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