Neun Dinge, die die Häuser des russischen Landadels ausmachten (FOTOS)

Wadim Rasumow
Der russische Landadel prägte jahrhundertelang Politik, Wirtschaft und Kultur des Landes. Auch viele Poeten und Künstler entstammten dieser gesellschaftlichen Schicht. Wie wohnten sie?

1. Das Herz des Anwesens

Haus mit Zwischengeschoss in Sacharowo, Region Moskau. Hier lebte unter anderem Puschkins Großmutter.

Das Herz eines jeden Anwesens war das Wohnhaus. Je nachdem, wie reich die Besitzer waren, konnte es entweder ein kleines Haus oder auch ein richtiger Palast sein.

Im Inneren gab es in der Regel einen klaren Unterschied zwischen Wohnräumen wie zum Beispiel Schlaf-, Kinder oder Damenzimmern und den repräsentativen Räumlichkeiten. Dazu gehörten vor allem die Speisezimmer, ein Ballsaal sowie ein großer Empfangssaal.

Zudem bestimmte die Architektur des Haupthauses auch den Stil des restlichen Anwesens.

2. Ein geistliches Zentrum

Kathedrale der Ikone von Kasan, Bogorodizk, Region Tula

Vor der Oktoberrevolution basierte das Weltbild der meisten Russen fest auf der Religion. Auch die Mehrheit der Adeligen ging an Sonntagen und an religiösen Feiertagen in die Kirche, fastete, befolgte die Glaubensregeln. Viele hatten einen eigenen Beichtvater. Auch die einfachen Bauern waren sehr gläubig.

Da die meisten Anwesen auf dem Land lagen, wäre es oft zu weit gewesen, zum Gottesdienst ins nächste Dorf zu fahren. Daher hatten viele Adelige eine Kirche auf ihrem eigenen Anwesen. Sie waren daher oft auch religiöse Zentren.

Im 19. Jahrhundert gründeten viele Adelige, inspiriert von der Aufklärung und vom Glauben an universell verfügbare Bildung, auch Sonntagsschulen für Bauernkinder auf ihren Anwesen.

3. Platz für inspirierende Spaziergänge

Eine Allee auf dem Anwesen der Familie Tolstoi, Nikolskoje-Wjasemskoje, Region Tula

Ein adeliger Landsitz ohne romantische Parks und Gärten ist undenkbar. Je nach der Mode der jeweiligen Zeit waren die Anlagen dabei formal und geometrisch oder auch von der Natur inspiriert. Die Gärten der meisten russischen Anwesen hatten sowohl formelle, barocke Elemente als auch Landschaftsgärten.

Ein solcher Park diente dabei nicht nur der Dekoration, sondern war auch Inspirationsquelle und Ruhepol für die Besitzer. Hier ruhten sie sich aus, machten Spaziergänge und trafen wichtige Entscheidungen. Um noch entspannender auf die Bewohner zu wirken, vereinten viele Parks zahlreiche Elemente mit Wasser, zum Beispiel Teiche, Seen, Flüsse und Springbrunnen.

4. Eine reichhaltige Flora

Apfelbäume auf Leo Tolstois Anwesen in Jasnaja Poljana, Region Tula

In den meisten Parks gab es nicht nur Grünanlagen, sondern auch Streuobstwiesen und Gewächshäuser. Diese dienten neben dekorativen Absichten auch praktischen Zwecken.

Die Erträge der Streuobstwiesen füllten Tische und Speisekammern der Bewohner. Ein Teil der Ernte ging in den Verkauf und schuf so zusätzliches Einkommen. Das selbe galt für die Gewächshäuser. Zudem legten sich viele Adelige exotische Pflanzen, Blumen und Früchte zu, um Besucher zu beeindrucken.

5. Ein Ort für die Künste

Theater auf dem Ljubimowka-Anwesen, Region Moskau (Anton Tschechow schrieb hier das Theaterstück „Die Kirschwiese“)

Die Anwesen waren immer auch ein Zentrum des kulturellen Lebens. Oft hatten sie von Leibeigenen beaufsichtigte Bibliotheken und Theater, die sich überhaupt nicht vor den professionellen Betrieben verstecken brauchten.

Das Thema „Kunst“ spiegelte sich auch in der Dekoration vieler Anwesen wider. Viele Verzierungen zeigen Geschichten und Charaktere aus alten Legenden und zeitgenössischer Literatur.

6. Die Hobbys der Bewohner

Küchengarten des Wissenschaftlers Andrej Bolotow, Dworjaninowo-Anwesen, Region Tula

Oft konnte man aus dem Erscheinungsbild der Anwesen auch auf die Bewohner schließen. Wenn der Besitzer zum Bespiel ein bestimmtes Hobby hatte, sah man dies zwangsläufig auch im Anwesen. Wer in seinen Repräsentationsräumen zahlreiche Gemälde hängen hatte, war vermutlich ein Kunstkenner, exotische Pflanzen in den Gewächshäusern wiesen auf einen Naturfreund hin und begeisterte Reiter hatten die verschiedensten Pferderassen in ihren Ställen.

Daher erzählen uns Anwesen oft viel mehr über das Leben der Bewohner als Museen oder Bücher.

7. Details

Gartenpavillon auf dem Anwesen der Familie Leontjew, Woronino, Region Jaroslawl

Der Charme der Anwesen liegt auch in den architektonischen Details wie Gartenpavillons, Brücken, Statuen, Marmorbüsten, Grotten und reich verzierten Blumenkübeln. Gemeinsam ergaben diese Details ein harmonisches Bild und erlaubten Bewohnern und Gästen spektakuläre Blicke.

8. Reger Betrieb

Gestüt auf dem Landsitz des Unternehmers und Philanthropen Pawel von Dervis, Staroschilowo, Region Rjasan

Selbst das kleinste Anwesen war ein großer, gutfunktionierender Betrieb. Neben der Küche mussten meistens auch Kühlhäuser, Wäscheräume, Ställe, Scheunen, ein Kutschenhaus und eine Mühle unterhalten werden.

Einige Familien bauten sich sogar kleine Fabriken und Manufakturen auf ihren Anwesen, um zusätzliches Geld zu verdienen.

9. Heimat nicht nur für den Adel

Dienstbotenflügel auf dem Anwesen der Golizyns, Archangelskoje, Region Moskau

Das Leben auf den Adelssitzen wurde erst durch Dutzende von Mitarbeitern überhaupt möglich gemacht. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Arbeiten von Leibeigenen ausgeführt, danach wurden Mitarbeiter bezahlt.

Fast alle Tätigkeiten vom Bau und der Pflege der Immobilien über die Kindererziehung bis hin zum Putzen und zur Pflege der Stallungen erforderten es, dass die zuständigen Mitarbeiter permanent auf dem Anwesen lebten.

Dafür errichtete man zumeist eigene Wohnungen. Oft lagen diese in einem Flügel des Haupthauses oder in eigenen Gebäuden etwas abseits. Manche Angestellte, darunter der Gärtner oder der Grundstückswärter, hatten aber auch ihre eigenen Häuser, die in das architektonische Konzept eingebunden waren.

>>> Hier entstand „Krieg und Frieden“: Acht Fakten zu Leo Tolstois Gutshaus „Jasnaja Poljana“

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