Warum sich Australien im 19. Jahrhundert auf eine russische Invasion vorbereitete

gemeinfrei; Pixabay
In Australien baute man Festungen und bewaffnete die Bürger, um den Kontinent vor einer russischen Invasion zu schützen. Doch wie wahrscheinlich war es, dass dieser Fall eintrat? Hätten die beiden riesigen Länder wirklich beinahe Krieg gegeneinander geführt?

Das erste russische Schiff, das Australien erreichte, war die „Newa“. Dieses legte am 16. Juni 1807 in Port Jackson an. Weitere russische Schiffe ankterten in australischen Häfen, um Vorräte an Nahrung und Trinkwasser anzureichern. Der russische Seefahrer Michail Lasarew war der erste, der 1814 nach Australien die Nachricht über Napoleons Niederlage im Krieg von 1812 brachte.

Michail Lasarew

Trotzdem fürchteten sich die Australier lange vor einer russischen Invasion. Grund dafür war vor allem die überzogene Berichterstattung einiger australischer Journalisten.

Der Anfang der Paranoia

Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts segelten zahlreiche russische Schiffe durch den Pazifik in Richtung Amerika. Regelmäßig legten russische Handels- und Kriegsschiffe in der damaligen britischen Kolonie Australien an, um Nahrungsmittel zu erwerben und sich zu erholen. Durch die Kolonialverwaltung erfuhr auch die britische Regierung von den regelmäßigen Besuchen der Russen.  

In London hatte man spätestens seit dem gemeinsamen Sieg gegen Napoleon und der anschließenden russischen Besetzung von Paris großen Respekt vor der militärischen Stärke Russlands. Da die Beziehungen trotz des gemeinsamen Feindes Napoleon nie besonders eng waren (formell verbündet war man ohnehin nie), fürchtete man eine russische Invasion in der britischen Kolonie.

Fort Denison

1841 ließ die Regierung von New South Wales eine Festung auf Pinchgut errichten. Weitere Befestigungsanlangen in Queenscliff, Portsea, Hobart und auf den Mud Islands in der Port Phillip Bay bei Melbourne folgten. Während eines freundschaftlichen Besuchs der russischen Pazifikflotte mit dem Flaggschiff „Bogatyr“ war es den Australiern erlaubt, an Bord zu kommen, um sich selbst der friedlichen Absichten der Russen zu versichern. Der Kommandant der russischen Pazifikflotte, Konteradmiral Andrej Popow, besuchte die Gouverneure von New South Wales und Victoria und lud sie ebenfalls auf die „Bogatyr“ ein. An den Kriegsängsten änderte das jedoch nichts.

Australische Zeitungen berichteten davon, dass sich die „Bogatyr“ Melbourne fast unbemerkt nähern konnte und machten darauf aufmerksam, dass die australische Küste weitgehend ungeschützt war. Die antirussischen Ressentiments in der Bevölkerung wuchsen. 1864 nährte sogar die „London Times“ die Kriegsängste und behauptete, die Kolonien stünden kurz vor einer russischen Invasion. Die australischen Zeitungen übernahmen diese Nachricht.  

Fort Queenscliff

Als im Mai 1870 die russische Korvette „Bojarin“ in der Mündung des Derwent Rivers gesichtet wurde, verbreiteten sich Gerüchte, dass es sich bei dem Schiff um die Vorhut einer Invasion handle. Die russischen Marineoffiziere versuchten alles Mögliche, um den Australiern ihre Sorgen zu nehmen. Die Zeitung „The Mercury“ aus der tasmanischen Hauptstadt Hobart schrieb am 30. Mai 1870: „Gestern Nachmittag wurde die kaiserlich-russische Korvette „Bojarin“ für die Allgemeinheit geöffnet. 2.000 Menschen nahmen die seltene Gelegenheit wahr, ein ausländisches Kriegsschiff von innen zu sehen. Die Besucher durften das ganze Schiff inspizieren, von der Kabine des Kapitäns bis zum Vorschiff. An den Kanonen erklärten Soldaten den Gästen die Funktionsweise der Kriegsgeräte. Wir können mit Freude sagen, dass man sich sehr herzlich aufgenommen fühlte.“ Zudem bemerkte der „Mercury“, dass die Offiziere sehr freundlich waren und neben Russisch auch Englisch und Französisch sprachen.

Fort Scratchley

Der Grund für den Zwischenstopp der „Bojarin“ in Hobart war unpolitischer Natur: Der Zahlmeister des Schiffs, Grigori Belawin, war krank geworden und brauchte medizinische Versorgung. Als die „Bojarin“ auslief, spielte eine australische Band am Ufer die russische Nationalhymne. Die Russen antworteten, indem sie die britische Königshymne „God Save The Queen“ sangen. Trotzdem schürten Journalisten weiter Kriegsängste.

Weitere Besuche und Zwischenfälle

Die australischen Verteidigungsanlagen waren jedoch tatsächlich schwach. Nach dem Sieg der russisch geführten Allianz im Russisch-Türkischen Krieg von 1877 bis 1878 rückte Russland noch näher an Indien. Die Briten brachten ihre Kolonien, darunter auch Australien, dazu, ihre Verteidigungsfähigkeit zu verbessern. Als 1882 drei russische Schiffe, kommandiert durch den Admiral Aslanbegow, nahe Melbourne gesichtet wurden, berichteten Medien, dass sie einen Angriff auf die australische Handelsmarine planten. Aslanbegow schäumte, er wollte die Zeitung „The Age“ am liebsten verklagen. Der britische Kolonialminister John Wodehouse beruhigte die Angelegenheit, indem er den australischen Behörden versicherte, dass die britisch-russischen Beziehungen absolut friedlich waren. Trotzdem wurde 1885 das Fort Scratchley in der Nähe von Newcastle, New South Wales, gebaut.

Die russische Korvette

1888 reiste sogar ein Mitglied der Zarenfamilie, Großherzog Alexander Michailowitsch, nach Australien. Ursprünglich wollte sein Schiff, die „Rynda“, bloß ihre Kohlevorräte aufbessern, aber da Australien just zu der Zeit das hundertjährige Jubiläum der Kolonie feierte, lud der Gouverneur von New South Wales, Lord Carrington, den Großherzog ein, als privater Gast an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Die Presse berichtete ausgiebig über den Besuch des Russen. Ob die Zusammenkunft wirklich so ungeplant war, ist dabei bis heute unklar.

Großherzog Alexander Michailowitsch

Am Ende blieb die „Rynda“ drei Monate in australischen Hoheitsgewässern. Nachdem sie das Land verlassen hatte, wurden Forderungen laut, die Anwesenheit ausländischer Kriegsschiffe im Melbourner Hafen zu begrenzen.

Eine Epoche der Freundschaft

1890 entschied man in Sankt Petersburg, dass die russisch-australischen Beziehungen wichtig genug seien, um einen permanenten Vertreter dorthin zu schicken. Der erste russische Gesandte in Australien war ab 1893 Alexej Putjata. Dieser diente zuvor auf dem Balkan. Ein bulgarischer Adeliger attestierte (rus) ihm „die seltene Fähigkeit, Menschen mit seinen guten Manieren und seiner Höflichkeit zu begeistern.“ Putjata tat sein Bestes, um die Sorgen der Australier zu entkräften. So gab er zum Beispiel der Zeitung „The Age“ ein langes Interview. „The Age“ war mit dafür verantwortlich, dass sich die antirussischen Ressentiments überhaupt erst entfachten.  

Alexej Putjata

Als 1901 das australische Parlament eröffnet wurde, kündigte Großbritannien an, dass der Herzog und die Herzogin von York (später König George V. und Queen Mary) nach Melbourne reisen würden. Zar Nikolaus II. fühlte sich verpflichtet, zu diesem Anlass ein Schiff nach Australien zu schicken. „Es wäre wünschenswert, einen Kreuzer auszusenden”, schrieb er seinem Außenminister. Dieser setzte den Wunsch des Zaren um und beorderte den Kreuzer „Gromoboi“ nach Australien.

Als am 9. Mai 1901 das australische Parlament eröffnet wurde, war der russische Konsul Nikolai Passek als Ehrengast anwesend.

Das Parlament von Australien

Die Beziehungen waren inzwischen höchst freundschaftlich geworden und schließlich kämpften Russen und Australier im Ersten Weltkrieg Seite an Seite gegen die Mittelmächte. Dies war jedoch der letzte Höhepunkt der Freundschaft, bevor im 20. Jahrhundert der Kalte Krieg ausbrach.

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