Bußgeld für Mord? – So viel war ein Menschenleben im alten Russland wert

Geschichte
GEORGI MANAJEW
Tatsächlich kamen Mörder im alten Russland unter Umständen mit Bußgeldern davon. Auch Menschenhandel war verbreitet und sogar gesetzlich geregelt.

Das Recht auf Leben ist für uns heute ein selbstverständliches Menschenrecht. Das war aber nicht immer so: Im Mittelalter, als die Menschen je nach Herkunft und Vermögen in verschiedene Stände eingeteilt wurden, waren manche Leben „billiger“ als andere. Das galt auch für Russland. Lesen Sie hier, wie sich der Blick auf den „Preis“ eines Menschenlebens über die Jahrhunderte verändert hat. 

Im alten Rus

Das älteste bekannte Gesetzbuch des Kiewer Rus (Russkaja Prawda) legte erstmals Bußgelder für das Töten von Menschen fest. Die Höhe der Strafzahlungen richtete sich hauptsächlich danach, ob man einen Leibeigenen, einen Bürger oder sogar einen Adeligen tötete. 

Strafen wurden damals in Griwna bemessen. Eine Griwna entsprach etwa 150 bis 200 Gramm Silber und diente im Kiewer Rus sowohl als Maßeinheit als auch als Währung. Für eine Griwna bekam man zum Beispiel ein kleines Dorf mit fünf oder sechs Häusern oder ein gesundes, ausgebildetes Kampfpferd. Ein Sklave kostete sogar nur eine halbe Griwna pro Jahr. 

Das Bußgeld für den Mord an einem freien Mann betrug 40 Griwna, für eine freie Frau 20 Griwna. Wenn das Opfer dem Staat diente (zum Beispiel als Beamter, Soldat oder Diener), verdoppelte sich die Strafe. Das Geld ging an den lokalen Fürsten. 

Für das Töten von Cholop (einer Art Leibeigenen) waren die Strafen deutlich niedriger. „Für einen Ortsvorsteher oder einen Vorarbeiter 12 Griwna. Für einen einfachen Leibeigenen 5 Griwna, für eine leibeigene Frau 6 Griwna. Für einen Lehrer oder ein Kindermädchen 12 Griwna, ungeachtet des Geschlechts“, hieß es in der Russkaja Prawda. 

Selbstverständlich waren die Strafen für die meisten Menschen in der alten Rus unbezahlbar. In der Regel wurde daher das Geld von der Dorfgemeinschaft gezahlt. 

Im Moskauer Zarenreich 

1497 schaffte Iwan der Große die Russkaja Prawda ab und ersetzte sie durch ein neues Gesetzbuch. Demnach wurden Mehrfachmörder und Leibeigene, die ihren Lehnsherren töteten, mit dem Tode bestraft. Ein „normaler“ Mord an einem freien Mann kostete dagegen 4 Rubel. Zur damaligen Zeit war das sehr viel Geld. Im Jahr 1534 kostete eine Holzhütte (Isba) nur 0,03 Rubel. 

Ein paar Jahrzehnte später, 1550, wurden die Geldbußen für Mord unter Iwan dem Schrecklichen komplett abgeschafft. Mörder mussten sich von nun an in einem formellen Gerichtsprozess verantworten. Mord wurde mit dem Tode bestraft, Totschlag mit Gefängnis oder öffentlichem Auspeitschen. Mit Geldbußen wurden nur noch Beleidigungen bestraft. Auch das Konzept der Notwehr wurde im Gesetzbuch Iwan des Schrecklichen eingeführt.  

Sobornoje Uloschenije, eine neue Gesetzessammlung aus dem Jahr 1649, erlaubte den Handel mit Leibeigenen. Somit wurde erneut ein Preis für ein Menschenleben festgesetzt.  

Unter den Romanows

Im 18. Jahrhundert hatte sich ein richtiger Markt für Leibeigene entwickelt. Käufe und Verkäufe wurden in speziellen Büchern notiert, Einnahmen aus Verkäufen mussten versteuert werden. Die Preise variierten je nach Alter, Geschlecht und Fähigkeiten des Leibeigenen. 

Unter der Regentschaft von Katharina der Großen stieg der Preis für einen erwachsenen, voll arbeitsfähigen Leibeigenen von 30 Rubel auf 100 Rubel (für einen Rubel bekam man damals 16 Kilo Brot oder eine Kutschfahrt von Moskau nach Sankt Petersburg). 1782 kostete ein 28-jähriger Mann etwa 40 Rubel, eine 25-jährige Frau 10 Rubel und ein 11-jähriger Junge 11 Rubel. Die Preise sanken, wenn man mehrere Leibeigene auf einmal kaufte. Sozusagen Massenrabatt für Menschen.  

Im 19. Jahrhundert explodierten die Preise für gut ausgebildete Leibeigene dann regelrecht. Ein Schuster kostete rund 500 Rubel (in etwa der Lohn eines hohen Beamten), ein erfahrener Koch oder Friseur sogar 1000 Rubel. Am teuersten waren aber Musiker und Schauspieler – für diese bekam man manchmal mehr als 5000 Rubel. 

Im modernen Russland 

In der Sowjetunion und im modernen Russland gibt es weder Leibeigenschaft noch Bußgelder für Mord. Der „Preis” eines Menschenlebens kann daher höchstens anhand von Ausgleichszahlungen für Opfer von Katastrophen, Naturereignissen und Terrorismus geschätzt werden. 

Der Tod eines Zivilisten wird, sobald dem Staat zumindest eine Teilschuld eingeräumt werden kann, aus dem Budget der Region ausgeglichen. Die genauen Summen unterscheiden sich (rus) dabei deutlich. Bei einem Zugunglück im Jahre 2013, bei dem fünf Kinder verletzt wurden, erhielten die Angehörigen der Verletzten rund 300.000 Rubel (4.250 Euro) von der russischen Eisenbahn. Die Opfer der Flutkatastrophe von Krymsk (Region Krasnodar) im Jahre 2012 bekamen rund 2 Millionen Rubel (28.320 Euro).

2013 wurde die Versicherungssumme, die Angehörige von Todesopfern von Flugzeug-, Zug- oder Busunfällen bekommen, gesetzlich auf 2,25 Millionen Rubel (31.860 Euro) festgelegt. Dazu kommen Ausgleichszahlungen der föderalen Regierung zur Abmilderung der gesellschaftlichen Folgen derartiger Katastrophen. 

Leider arbeiten nicht alle Versicherungen ehrlich. Viele Angehörige erhalten trotz dieser Gesetze kein Geld. 

Bei einem Feuer im Einkaufszentrum „Simnjaja Wischnja“ in Kemerowo starben letztes Jahr 60 Menschen, darunter 37 Kinder. 450 Menschen, darunter 84 Angehörige der Toten, wurden als Opfer der Katastrophe anerkannt. Familien von Todesopfern erhielten eine Ausgleichssumme von 5 Millionen Rubel (70.800 Euro), verletzte und traumatisierte Personen erhielten zwischen 200.000 (2.830 Euro) und 400.000 Rubel (5.660 Euro).

>>> Warum gibt es in Russland keine Todesstrafe?