Der Tscherkisowski-Markt, oder der „Tscherkison“, wie man ihn inoffiziell nannte, wurde zum Symbol der wilden 1990er Jahren im postsowjetischen Russland. Diejenigen, die nichts über ihn wussten und nie dort waren, können kaum glauben, dass es einen solchen Ort überhaupt geben kann - legal und für so viele Jahre. Der größte Markt in Osteuropa wurde vor zehn Jahren geschlossen.
Der Markt entstand Anfang der 1990er Jahre auf einem weitläufigen Brachland im Nordosten Moskaus. Ein Teil des Territoriums gehörte der Staatlichen Universität für Körperkultur, Sport und Tourismus. Marktstände nahmen immer mehr Raum ein und bis 2009, als der Markt geschlossen wurde, erreichte seine Fläche unglaubliche 72 Hektar (oder das 1,5-fache der Größe des Vatikans).
Hier konnte man alles kaufen und verkaufen: Kleidung in allen Größen, Pelz, Leder, Schuhe, Spielzeuge, nationale Spezialitäten, Elektronik. Aus dem ganzen Land strömten Menschen auf den Tscherkisowski-Markt, um etwas für billiges Geld zu erwerben oder Großhandelseinkäufe zu machen und diese Waren dann in ihren Städten zu verkaufen.
Darüber hinaus war es ein Ort, an dem mehr oder weniger hochwertige Waren in gefälschte Waren umgewandelt werden konnten. Es gab eine vietnamesische Schneiderei, wo man eine Warenprobe mitbringen und dann zahlreiche Kopien aus billigeren Stoffen abholen konnte. Umgangssprachlich wurde ein auf dem „Tscherkison“ gekauftes Ding zum Synonym der „Fälschung“, während der Name des Marktes mit einem Ort in Verbindung gebracht wurde, an dem Gesetze nicht funktionieren.
„Dieser Ort galt als eine Art ,Schwarzes Loch’. Als würde man in einen dichten Wald hineingehen, in dem das Sonnenlicht kaum durch die Reihen von Ständen dringen kann“, erinnert sich Ilja Danilzew, Absolvent der Universität, auf deren Territorium sich der Markt befand. Der Ort wurde schnell zu einem Zufluchtsort für Migranten, die meisten waren illegal in Russland. „Man konnte dort einen halben Tag lang verbringen und kein Wort Russisch hören. Selbst Polizisten gingen dort nicht alleine“, erzählt Danilzew.
Manchmal wurden Waffen, Falschgeld oder Drogen in den Kleiderballen geschmuggelt. Einzigartig an diesem Ort war, dass Warenströme aus dem Ausland - China, Türkei, Rumänien, Spanien usw. - hier zusammenflossen. Die „Nachbarschaften“ des Marktes wurden unter vielen Diasporas aufgeteilt: aserbaidschanisch, armenisch, chinesisch, vietnamesisch usw. Natürlich entwickelte sich sehr bald die entsprechende „Infrastruktur“.
Auf dem Territorium gab es Hotels, ethnische Restaurants, eine Synagoge, ein Casino, medizinische Versorgung. Der Markt war so dicht besiedelt, dass Tadschikistan 2008 dort ein offizielles Konsulat eröffnete. Es wurde auch berichtet, dass in den Kellern des Marktes Bordelle organisiert wurden. „Was da in großer Menge war, waren geschmuggelte Waren und Menschen, die sich illegal in Moskau aufhielten“, sagt Sergei Molochow, ein ehemaliger Polizist der Abteilung für Verbrechensbekämpfung.
Migranten kamen absichtlich nach Moskau, um auf dem Tscherkisowski-Markt zu bleiben. Sie lebten auf dem Markt und versuchten, sein Territorium nicht zu verlassen, weil sie Polizeikontrollen befürchteten. Auf dem Markt selbst waren Überprüfungen der Ausweispapiere nur selten: Für die Sicherheit war eine private Firma zuständig, die von den Marktbesitzern eingestellt wurde. Mit etwas Glück konnten Migranten einen Platz im Keller mieten, während die Ärmsten in den Toilettenkabinen schliefen.
„In den späten 1990er Jahren bot der Tscherkisowski-Markt einen schrecklichen Anblick. Er bestand aus Planwagen und Containern“, sagt Olga Kossez, die früher Waren auf dem Markt verkaufte. „Ich habe elf Jahre quasi in einem Container gelebt, wie ein Hund, der an eine Marktbude gebunden ist. Die Bedingungen waren nicht besonders gut.“
Laut MACON Realty Group wurden auf dem Markt mehr als 100.000 Verkaufsstände vermietet - die meisten waren klein und eng. Gleichzeitig betrug die Miete 50.000 US-Dollar pro Monat. Es wurde gesagt, dass ein Stand jeden Monat 250.000 US-Dollar Umsatz bringen könne, was wahrscheinlich zutraf: Es waren nicht viele Räumlichkeiten auf dem Tscherkisowski-Markt leer.
Telman Ismailow
Getty Images2006 schätzte Forbes das Vermögen des Begünstigten des Marktes, Telman Ismailow, auf 620 Millionen US-Dollar. Bei seiner 50. Geburtstagsfeier traten James Brown, Jennifer Lopez und andere Stars auf, während der damalige Bürgermeister von Moskau, Juri Luschkow, den ersten Trinkspruch ausbrachte.
Das Imperium begann zu zerfallen, als zuerst 2006 ein Feuer mehr als 500 Quadratmeter des Marktes vernichtete und dann im selben Jahr Rechtsradikale eine Bombe auf dem Markt sprengten. Bei dem Anschlag kamen 14 Menschen ums Leben, darunter zwei Kinder. Diese Vorfälle erregten die Aufmerksamkeit der Behörden. Der Vorschlag zur Schließung des Marktes kam vom Rospotrebnadzor, dem Föderalen Dienst für die Überwachung und den Schutz von Verbraucherrecht und menschlichem Wohlergehen, der mehrere Verstöße gegen die Vorschriften für Hygiene und Brandschutz gefunden hat.
Bald erklärte das Untersuchungskommitee, dass es die Schließung dieses „Höllenlochs“ anstreben werde, während Bürgermeister Luschkow dies so bald wie möglich versprach. Alles endete am 29. Juni 2009. Der frühere Besitzer des Ortes, Ismailow, wurde in Abwesenheit wegen Organisation von zwei Morden und Waffenhandel verhaftet und auf die internationale Fahndungsliste gesetzt. Es ist bekannt, dass er sich immer noch in Montenegro versteckt.
Schon zehn Jahre sind seit der Schließung des Marktes vergangen, aber an seinem Standort wurde nichts anderes erbaut. Anfangs zeigte IKEA Interesse an diesem Stück Land, doch im Jahr 2018 wurde das Grundstück für den Bau neuer Wohnungen bereitgestellt.
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