„Das Trinken ist eine Freude”, soll Fürst Wladimir, Herrscher der alten Rus im 9./10. Jahrhundert, gesagt haben. Er war der erste, der Trinkfreudigkeit als russische Charaktereigenschaft ausgemacht hat. Das Alkoholverbot war womöglich einer der Gründe, warum er sich einer Islamisierung der Rus widersetzte. Das Land wurde russisch-orthodox.
Nachfolgende Zaren betrachteten den Alkoholkonsum ebenfalls nicht als Übel und genehmigten sich selbst gerne ein Gläschen. Katharina II. schreibt man gar den Ausspruch zu: „Ein betrunkenes Volk lässt sich leichter regieren”.
Bereits im 19. Jahrhundert versuchte man, den Alkoholkonsum im russischen Reich zu verringern. Ein Verbot kam erst zu Beginn des Ersten Weltkriegs durch Nikolaus II.
Die sowjetischen Behörden riefen ebenfalls zu mäßigem Alkoholkonsum auf. Die Bolschewiki wollten ein gesundes und tatkräftiges Proletariat.
In den 1920er Jahren, als die Wirtschaftspolitik neu geordnet wurde, fiel das Verkaufsverbot für Alkohol, denn Alkohol spülte Geld in die Kassen.
Später startete die UdSSR mehrere Antialkoholkampagnen. 1929 wurden Produktion und Verkauf von Bier verboten. In den Medien wurde über die schädlichen Folgen von Alkoholismus berichtet. Doch schnell erkannten die Funktionäre, dass diese Politik der Wirtschaft schadete. Ab 1934 wurde der Gerstensaft daher wieder hergestellt und es kamen sogar neue Biermarken hinzu.
Ab 1958 trank man im ganzen Land geradezu mit Hingabe. Alkohol galt als Mittel, Stress abzubauen oder als verbindendes Element beim Beisammensein mit Freunden. Besonders an Feiertagen wurde viel getrunken. Die Behörden haben daher den Verkauf von Wodka und Spirituosen begrenzt.
Doch die Menschen auf dem Dorf haben Alkohol ohnehin nur selten gekauft. Sie haben selbst gebrannt, meist heimlich (die Schwarzbrenner auf dem Foto unten haben sich dazu sogar in den Wald zurückgezogen). Ein Fest oder Ferien ohne Alkohol waren undenkbar. In den 1960er Jahren startete der Staat eine Kampagne gegen Schwarzbrennerei. Es wurde strafbar. In Restaurants war Alkohol weiter jederzeit frei verfügbar. Das konnten sich jedoch nur die wenigsten leisten.
Die bekanntesten Antialkoholkampagnen gab es in den 1970er und 1980er Jahren. Damals wurde Alkoholismus zwangstherapiert. Es entstanden sogenannte Alkoholrehabilitationszentren.
Von einer Therapie kann man aber nicht sprechen. Tatsächlich wurden die Menschen zum Entzug in diesen schrecklichen Einrichtungen in einen Raum gesperrt, wo sie keinen Zugang zu Alkohol oder anderen Suchtmitteln hatten. Sie wurden nicht besser behandelt als Strafgefangene.
Diese Reha-Zentren waren geradezu sadistische Institutionen, die bis in die 2000er Jahre hinein existierten. Betrunkene wurden auf der Straße von der Polizei aufgegriffen und dorthin gebracht. Ein Arzt untersuchte sie. Wenn sie in einem kritischen Zustand waren, kamen sie ins Krankenhaus, ansonsten wurden sie ausgenüchtert.
Die Arbeitgeber der Patienten wurden informiert, was oft erhebliche Konsequenzen hatte. Die Methoden zur Ausnüchterung waren demütigend. Die betroffenen wurden nackt unter eine eiskalte Dusche gestellt oder am Bett angebunden.
Auch heute noch engagiert sich der russische Staat gegen Alkoholismus. Seit 2009 ist in Medien die Werbung für Alkohol verboten. Zwischen 22.00 bis 08.00 Uhr oder 23.00 Uhr bis 09.00 Uhr (je nach Region) ist der Verkauf beschränkt.
Nach Angaben des russischen Gesundheitsministeriums halbierte sich der Alkoholkonsum zwischen 2011 und 2018: von 18 Liter auf 9,7 Liter Ethylalkohol pro Kopf und Jahr. Laut WHO ist der Alkoholkonsum in Russland seit 2003 auf 40 Prozent gesunken.