Wie wurde in der UdSSR der Fall der Berliner Mauer aufgenommen?

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Für die sowjetischen Bürger war die DDR ein Konsumparadies und das reichste Land im sozialistischen Lager. 1989 erwartete niemand, selbst Michail Gorbatschow nicht, den Untergang der DDR, zu deren Symbol der Fall der Berliner Mauer wurde.

Eine Woche vor dem 9. November 1989 traf Michail Gorbatschow mit Egon Krenz, dem neuen (und letzten) Staatsführer der DDR, zusammen. In dem Land brodelte es: Das Volk forderte eine Demokratisierung und die Öffnung der Grenzen zur Bundesrepublik. Die DDR-Regierung unterhielt nach wie vor ein strenges Grenzregime mit Westdeutschland, aber fast 700 ihrer Bürger hatten bereits im August beim Paneuropäischen Picknick einen Weg in die kapitalistische Welt gefunden.

Michail Gorbatschow und Egon Krenz

Gorbatschow, der Vater der Politik des Neuen Denkens, die den Ländern des sozialistischen Lagers einen größeren Handlungsspielraum einräumte, hatte nichts gegen die Demokratisierung der DDR – er konnte sich aber nicht vorstellen, wie schnell dieser Staat von der Landkarte verschwinden würde. „[Beim Treffen] mit Krenz gingen wir von der Prämisse aus, dass die Frage der Vereinigung Deutschlands ,nicht aktuell istʻ und ,nicht auf der Tagesordnung stehtʻ, und das wurde gesagt“, schrieb der sowjetische Staatschef in seinen Memoiren. Eine Woche später fiel die Berliner Mauer, das Symbol für die Trennung des Landes.

Das Missverständnis

Der Historiker Iwan Kusmin, der 1989 im KGB-Büro in der DDR arbeitete, erinnert sich, dass sogar am 9. November, als Günter Schabowski, Mitglied des Politbüros, die freie Ausreise in die Bundesrepublik und nach West-Berlin ankündigte, nichts auf dieses historische Ereignis hindeutete. Es war ein nüchterner und standardmäßiger Auftritt. Ich ahnte absolut nicht, dass er eine solche Reaktion auslösen würde“, bemerkt Kusmin.

Die Pressekonferenz vom 09. November 1989

Schabowski sollte auf der Pressekonferenz lediglich verkünden, dass die DDR an den Grenzübergängen ihrer Staatsgrenze ein neues, erleichtertes Verfahren für die Ausreise in die Bundesrepublik einführt, beging dabei aber zwei Fehler:

1) Er verwechselte die Grenzübergänge zur BRD mit den Berliner Checkpoints. Die Grenze zwischen den Ost- und Westberlin wurde nicht von den ostdeutschen Behörden, sondern den Alliierten (UdSSR, USA, Großbritannien, Frankreich) geregelt, die dort nach dem Zweiten Weltkrieg Besatzungssektoren eingerichtet hatten. „Vor jeder Änderung in Berlin musste die DDR die UdSSR über ihre Absicht informieren“, betont der Diplomat Igor Maksimytschew;

2) Als ihm die Frage gestellt wurde, wann die neue Regelung für den Grenzübertritt in Kraft treten werde, antwortete Schabowski irritiert: „Sofort“. Tatsächlich sollte sie erst am nächsten Tag, dem 10. November, in Kraft treten.

Infolgedessen strömt Menschenmassen in Ost-Berlin zur Mauer, da sie glaubten, dass die Partei den Grenzübertritt genehmigt habe. „Als die wahren Helden der Nacht vom 9. auf den 10. November können die Grenzschützer der DDR betrachtet werden“, sagte Maksimytschew. Sie schossen nicht auf die Menge und retteten damit viele Leben. Die Grenze innerhalb Berlins, wenn auch ohne Zustimmung der Partei, öffnete sich tatsächlich und schon an diesem Abend waren die ersten „Mauerspechte“ am Werk. 

Moskau gibt seinen Segen

Gorbatschow hatte eine solche Entwicklung zwar nicht geplant, war aber auch nicht verärgert über die unerwartete Neuigkeit. Bereits am 10. November schickte er Egon Krenz, dem nichts anderes übrig blieb, als den Fall der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten als vollendete Tatsache zu akzeptieren, eine Depesche, mit der er dessen Handeln seinen Segen gab.

„Ich denke, dass es Gorbatschows geheimer Traum war, eines Morgens aufzuwachen und festzustellen, dass die Mauer von selbst verschwunden war“, glaubt der ehemalige Pressesprecher des Generalsekretärs, Andrej Gratschow. Das würde bedeuten, dass Gorbatschow gegen die deutsche Teilung war, sich aber persönlich nicht in die Angelegenheit einmischen wollte. Tatsächlich ist es auch so gekommen.“

Der sowjetische Politiker selbst betont in seinen Memoiren und Interviews, dass er nicht die Absicht hatte, die Willensbekundung des deutschen Volkes zu unterdrücken und die Streitkräfte des sowjetischen Kontingents in der DDR einzusetzen: „Wir haben alles getan, um eine friedliche Entwicklung des Prozesses zu gewährleisten, ohne die vitalen Interessen unseres Landes zu verletzen, ohne den Frieden in Europa zu untergraben.“

Ende des 20. Jahrhunderts erschütterte der Prozess des Wandels die Welt mit unglaublicher Geschwindigkeit. Bereits im Oktober 1990 wurde das Gebiet der ehemaligen DDR Teil der Bundesrepublik Deutschland, und reichlich ein Jahr später, im Dezember 1991, ging die UdSSR selbst unter und zerfiel in 15 unabhängige Staaten. „Die Russen mussten nur neue Mauern an den Grenzen der Republiken [der ehemaligen UdSSR] errichten“, bemerkte der Schriftsteller Dmitrij Bykow in einer Kolumne über die letzten Tage der Berliner Mauer.

>>> Wie die Berliner Mauer zum „Eisernen Vorhang“ wurde (FOTOS)

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