Kindheit am Zarenhof: Die Erziehung des kaiserlichen Nachwuchses

Geschichte
GEORGI MANAJEW
Süßigkeiten gab es für die Kinder des Zaren so viel sie wollten. Zugleich lebten sie jedoch streng isoliert und mussten sehr viel lernen.

Bis zu ihrem fünften Lebensjahr lebten sowohl die Töchter als auch die Söhne des Zaren und der Zarin im Frauenbereich des Palastes, beaufsichtigt von einer kleinen Armee von Ammen, Gouvernanten und Hausmädchen. Warum?

Russische Zaren waren sehr abergläubig und fürchteten schwarze Magie. Die Historikerin Vera Bokowa schreibt, dass die wichtigste Person in den ersten Jahren des kaiserlichen Nachwuchses nicht die Mutter, sondern die Hebamme war. Sie nahm das Kind nach der Geburt in Empfang und war, in Abwesenheit von Ärzten, die Autorität in gesundheitlichen und medizinischen Fragen. Und auch mit Magie kannte sie sich aus. Sie schützte das Baby vor dem bösen Blick, achtete darauf, dass niemand es anschaute, während es schlief, verrieb stets etwas Asche hinter seinen Ohren und streute Salz in der Nähe seines Kopfes aus. 

Bis zum Alter von fünf Jahren durften nur Familienangehörige und Bedienstete am Zarenhof die Kinder sehen. Bei Kirchgängen schützten Diener sie durch Wolldecken vor neugierigen Blicken, sie reisten in Kutschen mit verhängten Fenstern und spielten in einem nicht einsehbaren Hof. Immerhin hatten sie Freunde. Die Kinder wohlhabender Familien durften mit ihnen spielen. 

Das süße Leben der kleinen Zaren

Russische Zaren aßen niemals Kohl. Es galt als „bäuerliches Essen“ und war in der Tat das häufigste Gericht auf dem Tisch eines russischen Bauern. Doch eingelegter Kohl war eine wichtige Vitamin C-Quelle. Kein Wunder, dass die ersten Romanows an Skorbut litten, einer Krankheit, die durch den Mangel an Vitamin C entsteht. Eines ihrer Symptome ist eine erhöhte Blutungsneigung. 

Die Zarenkinder mussten jedoch niemals Hunger leiden. Wann immer sie anfingen zu weinen, bekamen sie sofort Kuchen, Süßigkeiten oder Nüsse. Dazu gab es fünf Mahlzeiten am Tag. Naschen durften sie, wann immer sie wollten. 

Strafen gab es nicht, nur liebevolle Ermahnungen. Auch die Zarenkinder liebten Spielzeug. Sie besaßen Spielhäuser, Kreisel, Brettspiele, mechanisches Spielzeug aus Europa, Spieluhren, Vögel und Soldaten, die man aufziehen konnte, und unzählige Musikinstrumente von einfachen Trompeten bis zu aufwendig verzierten Clavichorden.  

Der ultimative Höhepunkt war ein Spielzeugpferd, das jeder Junge in der Familie des Zaren bekam. Peter der Große hatte dazu als Kind sogar noch eine Miniaturkutsche, die von vier echten Ponys gezogen wurde. Und anstelle von Spielzeugsoldaten mussten sich kleinwüchsige Diener als königliche Wachen verkleiden. 

„Furchtbare Bestrafungen erwarteten die Kinder“ 

Die Töchter des Zaren sollten ihr ganzes Leben weiterhin in Abgeschiedenheit verbringen. Sie blieben auch nach dem fünften Lebensjahr im Frauentrakt des kaiserlichen Palastes und verließen diesen nur selten. 

Für die Jungs änderte sich das Leben in diesem Alter von Grund auf. Sie zogen in den Männertrakt um. Die Gouvernanten und Hausmädchen wurden durch einen Hauslehrer ersetzt, der üblicherweise ein angesehener Bojare war. Seine Aufgabe war es, den Jungs Lesen, Schreiben, Reiten und aristokratisches Verhalten beizubringen. Er war der einzige, der die Zarewitsche bestrafen durfte. 

Die Erziehung in jenen Zeiten basierte auf christlich-orthodoxen Werken. St. John Chrysostomus zum Beispiel empfiehlt (eng) in seinem Buch: „Furchtbare Bestrafung erwartet jene Kinder, die sich nicht der Autorität ihrer Eltern unterwerfen.“ Wenn der Nachwuchs bei Hofe nicht genug lernte, faul oder ungehorsam war, erwartete ihn körperliche Züchtigung mit Birkenruten. 

Was wurde den Kindern beigebracht? Vor allem mussten sie auswendig lernen. Sobald sie lesen konnten, stand das Studium religiöser Schriften an. Beherrscht werden mussten unter anderem Auszüge aus dem Buch der Psalmen und dem Stundenbuch (Gebete und Gottesdienst für jeden Tag), der Apostelgeschichte und dem Neuen Testament sowie verschiedene geistliche Lieder.  

Ab acht Jahren wurde Schreiben und Notenlesen gelernt und die Jungen sangen religiöse Lieder. Mit 16 Jahren waren die Nachkommen des Zaren volljährig. Nun begann die Suche nach einer passenden Braut.  

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Was hat die royale Erziehung gebracht? 

Sie wurden zu Theologen und Soldaten erzogen. Aber war es genau das, was die Souveräne brauchten?

Offensichtlich nein. Die kleinen Zaren wurden nicht in Wirtschaft, Fremdsprachen und Militärstrategie unterrichtet. Das Ende dieser „traditionellen“ Erziehung kam Mitte des 17. Jahrhunderts. Alexei I., Vater von Peter dem Großen, war der erste Zar, der damit begann, einige Elemente der europäischen Bildung in die Erziehung seiner Kinder zu integrieren. Sein erster Sohn Alexei (1654-1670) lernte Latein, Rechnen, Geometrie, Astronomie und sogar Lyrik.

Peter ging noch weiter. Körperliche Arbeit galt für die Zaren bis dato als unschicklich. Doch Peter lernte Stein zu meißeln, Bücher zu drucken und zu binden, er lernte Holz zu schnitzen und Schiffe zu navigieren. Eine neue Epoche stand bevor. Unter Peters Herrschaft blieb die alte Ordnung des Palastlebens nur in den Frauentrakten von Moskau bestehen – bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. 

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