Chruschtschows bester Freund war ein Farmer aus dem US-Bundesstaat Iowa

Geschichte
BORIS JEGOROW
Roswell Garst, ein Landwirt aus den USA, und Sowjetführer Nikita Chruschtschow waren Seelenverwandte. Ihre Freundschaft dauerte ihr Leben lang.

Maisfieber 

Alles begann mit Mais. Mitte der 1950er Jahre beschloss Nikita Chruschtschow, im großen Stil Mais in der UdSSR anpflanzen zu lassen. Er wollte damit  gleich zwei Probleme der sowjetischen Landwirtschaft lösen: zu wenig Getreide für Brot und zu wenig Viehfutter. 

Chruschtschow hatte bemerkt, dass Mais eines der Hauptnahrungsmittel in den USA war und als Tierfutter zudem für eine rasche Entwicklung des Viehsektors gesorgt hatte. 

Was Chruschtschow nicht bedacht hatte, waren die schlechten Bodenverhältnisse für den Maisanbau in Teilen der UdSSR, was die tatsächlichen Erträge unberechenbar machte. 

Dennoch wurde das ganze Land vom Maisfieber erfasst. Über den Maisanbau und die Ernte wurde in einer groß angelegten Kampagne in den Medien berichtet und das Thema erhielt Einzug in sowjetische Kinderfilme. 

Das komplette Agrarsystem des Landes wurde überarbeitet. Statt wie traditionell überwiegend Hafer, Roggen und Weizen anzupflanzen, nahm nun Mais den größten Teil der Anbauflächen in Beschlag. Doch die Ernte war mager. 

Hilfe aus Übersee 

Chruschtschow wandte sich an die USA, die Maisexperten. Er wollte von deren Knowhow profitieren. Im Jahr 1955 reiste eine sowjetische Delegation nach Iowa, um die Methoden des Maisanbaus zu studieren und dem Geheimnis des Ernteerfolges der US-Amerikaner auf die Spur zu kommen. 

Am Ende der Reise wurde eine Gruppe amerikanischer Farmer in die UdSSR eingeladen. Diese Einladung stieß auf wenig Begeisterung: „Die Bauern aus Iowa waren nicht erpicht auf einen Gegenbesuch im fernen, kalten und feindseligen Sowjetstaat“, schrieb Chruschtschows Sohn Sergei in seiner Biographie über seinen Vater. Zudem war kein wirtschaftlicher Nutzen dieser Reise vorhanden, denn das US-Außenministerium hatte den Handel mit der Sowjetunion untersagt. 

Der Farmer Roswell Garst ließ sich von alledem nicht beeindrucken. Im Jahr 1955 reiste er mit seiner Frau in die Sowjetunion. Garst war nicht nur Landwirt, sondern auch ein Experte für Maisanbau. Er handelte in Iowa mit Mais-Samen. Für die Sowjetunion war er ein Glücksfall. 

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft 

Garst besuchte die All-Unions-Landwirtschaftsausstellung (WSChW) und besuchte landwirtschaftliche Kollektive im ganzen Land. Der US-Farmer war niemand, der ein Blatt vor den Mund nahm. Offen übte er Kritik an der fehlenden Effizienz der sowjetischen Agrarwirtschaft.

Schließlich wurde er eingeladen, Nikita Chruschtschow auf der Krim zu treffen. Und dort begann die langjährige Freundschaft der beiden Männer. „Mein Vater und Garst mochten sich - sie beide liebten die Landarbeit. Sie konnten Stunden damit verbringen, über Mais, Soja und Bohnen zu diskutieren“, schrieb Sergei Chruschtschow. 

Der Amerikaner sprach Klartext mit Chruschtschow: „Die sowjetische Landwirtschaft liegt 15 Jahre hinter den Bedürfnissen der wachsenden sowjetischen Bevölkerung zurück, während die US-amerikanischen Bauern den Bedürfnissen ihres Landes um 15 Jahre voraus sind“, erklärte er ihm.

Roswell Garst war aufrichtig überrascht von Chruschtschows völliger Unkenntnis der neuesten Entwicklungen im Agrarsektor: „Wieso wissen Sie so wenig über unsere Landwirtschaft? Wo leben Sie, Herr Chruschtschow? Alles, was ich Ihnen erzähle, wird auch regelmäßig in unserem Landwirtschaftsbulletin veröffentlicht. Sie können es kaufen und sogar abonnieren. Ihre Geheimdienste haben kein Problem, etwas über unser Atomprogramm herauszufinden, obwohl dies gut geschützt ist. Und in diesem Fall wissen Sie nichts, obwohl alles offen zugänglich ist.“

Chruschtschow wollte schließlich von Garst Hybridmaissamen gegen Gold kaufen. Nun stand dem Deal aber noch das Handelsverbot der USA im Weg. 

Hartnäckigkeit zahlte sich aus 

Das US-Außenministerium war absolut gegen die Aufnahme von Handelsbeziehungen mit den Sowjets und den Transfer von Agrartechnologien. Infolgedessen wurde Garst die Ausfuhrgenehmigung verweigert.

Der hartnäckige Bauer gab sich damit nicht zufrieden. Am Ende hat er seine Genehmigung wohl nur bekommen, weil er immer und immer wieder beim Außenministerium vorgesprochen habe, meint (rus) seine Enkelin Liz: „Wir wollen unsere Ruhe vor Dir. Hier hast Du Deine Lizenz. Du wirst noch einsehen, dass es ein Fehler war.“ Das hätten die Beamten zu ihm gesagt, so Liz Garst.

Sergei Chruschtschow glaubte, dass dies das erste Loch im Eisernen Vorhang war und die „Exportlizenz ohne zeitliche Begrenzung den Weg für die Aufnahme von Handelsbeziehungen zwischen der UdSSR und den USA geebnet“ habe. 

Ein herzliches und offenes Verhältnis 

Der sowjetische Staatsmann und der US-amerikanische Bauer genossen die Gesellschaft des anderen. „Sie sahen sich auch ähnlich: beide wirkten rustikal, grobschlächtig und handfest“, sagt Liz Garst. „Sie konnten offen miteinander reden, ohne dass einer sich beleidigt fühlte. Sie waren ehrlich miteinander und ihr Verhältnis war frei von Bitterkeit. Sie diskutierten viel, erzählten sich Geschichten und lachten oft.“ 

Ihre Gespräche gingen weit über den Anbau von Mais hinaus und berührten damals sehr aktuelle Themen, wie die Stationierung von US-Raketen in der Türkei. Roswell Garst besuchte die UdSSR, Ungarn und Bulgarien insgesamt mehr als 60 Mal. Nach jeder Reise wurde er vom FBI einbestellt. Er erklärte seinen Gastgebern offen: „Wir werden vom FBI verhört, wenn wir zurückkommen. Und wir werden nicht lügen. Denken Sie also daran, sagen Sie uns nichts, was das FBI nicht wissen soll.“

Chruschtschow selbst besuchte den Farmer 1959 bei seinem ersten Besuch in den USA. Die Maiskampagne ist jedoch trotz aller Bemühungen letztendlich gescheitert. Die Samen aus dem warmen Iowa fielen im kalten Sibirien nicht auf fruchtbaren Boden. Mais konnte die traditionellen Getreidesorten Roggen und Weizen nicht ersetzen. Als Chruschtschow 1964 abtrat, lagen die Maisanbauflächen brach. 

Doch der Sowjetführer und Garst pflegten ihre Freundschaft weiter bis ans Lebensende und gratulierten sich stets gegenseitig zu den Nationalfeiertagen. Liz Garst bemerkte einmal ironisch, dass Chruschtschow wohl weit mehr Briefe an ihren Großvater als an den damaligen US-Präsidenten Dwight Eisenhower geschrieben habe. 

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