Die Explosion der „Imperatriza Marija“ 1916: Ein Sabotageakt der Deutschen?

Anton Romanow
Der Stolz der russischen Marine, das neu erbaute Schlachtschiff „Imperatriza Marija“ explodierte 1916 gewissermaßen im Schlaf im heimatlichen Hafen. Das erregte den Verdacht der Sabotage, doch ein Verantwortlicher wurde nie gefunden.

Am 2. Oktober 1916 riss ein lauter Knall die Menschen in der Hafenstadt Sewastopol auf der Krim aus dem Schlaf. Es hatte eine gewaltige Explosion gegeben. Im Hafen stand das Schlachtschiff „Imperatriza Marija“ in Flammen, schwarzer Rauch stieg auf. Es war das Flaggschiff der  Schwarzmeerflotte. „Ich bezeuge, dass die Besatzung alles getan hat, um das Schiff zu retten“, schrieb (rus) später Admiral Alexander Koltschak in seinem Bericht. 

Das ist die Wahrheit. Hunderte Seeleute versuchten, das Feuer zu löschen, doch der Kampf gegen die Flammen war vergebens. 25 weitere Explosionen folgten, denn das Feuer erfasste die Schießpulvervorräte. Von 1.220 Besatzungsmitgliedern starben 320. Die „Imperatriza Marija“ erlitt irreparable Schäden und ging unter. 

Dies war ein schwerer Schlag für die russische Flotte, insbesondere im Jahr 1916, als das Imperium im Ersten Weltkrieg gegen die Türkei um die Kontrolle über das Schwarze Meer kämpfte. Warum war das Schiff so wichtig und was hatte zu seinem Untergang geführt? 

Der Stolz der Flotte  

„Imperatriza Marija“ vor dem Unfall

Die „Imperatriza Marija“ (zu Deutsch: Kaiserin Maria, benannt nach der Mutter von Nikolaus II.), Baujahr 1913, gehörte zu einer ganz neuen Klasse von Kriegsschiffen, den sogenannten Dreadnoughts, schweren Schlachtschiffen, die zunächst in Großbritannien und nach der demütigenden Niederlage der Russen im Krieg gegen Japan 1904/1905 auch in Russland gebaut wurden. 

Den deutschen Kreuzern, die unter türkischer Flagge im Einsatz waren, waren die Schiffe im Hinblick auf die Manövrierfähigkeit und die Bewaffnung meilenweit überlegen. Jedes Schlachtschiff verfügte über zwölf 305-mm und zwanzig 130-mm-Kanonen. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges hatte Russland drei der Schlachtschiffe im Schwarzen Meer im Einsatz. Die Vormachtstellung auf See schien damit so gut wie gesichert. Die „Imperatriza Marija“ war der Stolz der russischen Marine und unter Admiral Koltschak das Flaggschiff.   

Untersuchung ohne Ergebnis

Admiral Alexander Koltschak

Der Verlust des besten Kriegsschiffs der Flotte und von 320 Leben, und das nicht etwa im Kampf und dazu noch im eigenen Hafen, war schändlich, eine schreckliche Demütigung. Das Marinekommando leitete umgehend eine Untersuchung ein, die von drei hochrangigen Offizieren angeführt wurde, darunter Schiffsingenieur Alexei Krylow, der die Schlachtschiffe konstruiert hatte. 

Zur Ursache der Explosion gab es drei Hypothesen.

1) Spontane Entzündung des Schießpulvers an Bord. 

2) Der Brand ist durch Unachtsamkeit entstanden. 

3) Die Explosion wurde absichtlich ausgelöst. 

Spuren konnten auf der „Imperatriza Marija“ nicht mehr gesichert werden, sie lag im Hafen auf Grund. Daher bestand die Untersuchung vor allem aus der Befragung von Zeugen. Das Ergebnis war sehr vage: „Es gibt keine Möglichkeit, um zu einer präzisen und nachweisbaren Schlussfolgerung zu gelangen. Wir müssen die drei Hypothesen nach der Wahrscheinlichkeit gewichten, beruhend auf den Ergebnissen der Befragungen.“   

Es gab keine Hinweise darauf, dass die Explosion ein Sabotageakt war. Admiral Koltschak sagte später: „Ich ging davon aus, dass ein böswilliges Verschulden unwahrscheinlich war. Während des Krieges hatte es mehrfach ähnliche Unglücksfälle gegeben, auch in Italien, Deutschland und England ...” 

Hatten die Deutschen ihre Hand im Spiel? 

Doch zwanzig Jahre später, Admiral Koltschak war von den Bolschewiki hingerichtet worden, das Land wurde von Josef Stalin regiert, bekam die Theorie vom Sabotageakt neue Nahrung. Wiktor Wehrmann, ein deutscher Staatsbürger, wurde 1933 in Nikolajew (heute Mykolajiw in der Ukraine) verhaftet und vor Gericht gestellt. Er sagte aus, er habe während des Ersten Weltkriegs für das Deutsche Reich spioniert, unter anderem hätte er auch die „Imperatriza Marija“ und andere Schlachtschiffe ausgespäht.

So steht es 1999 in einem Bericht der „Nesawissimoje wojennoje obosrenije“ (zu Deutsch „Unabhängige Militärrevue“), einer Beilage der russischen Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta”, der auf Recherchen in Archiven des russischen Geheimdienstes FSB basiert. „Ab 1908 war ich in folgenden Städten persönlich in die Spionagearbeit involviert: ... Sewastopol, wo Ingenieur Wieser die Geheimdienstarbeit leitete …", wird Wehrmann in der Beilage zitiert (rus). „Wieser hat ein eigenes Spionagenetz in Sewastopol." 

Doch laut „Unabhängige Militärrevue“ wurde Wehrmann 1916 nach Deutschland deportiert, so dass es unwahrscheinlich ist, dass er einen Sabotageakt hätte planen können. Jedoch hätte er andere Agenten damit beauftragen können. Belastbare Beweise dafür gibt es jedoch nicht und es ist fraglich, ob dies jemals der Fall sein wird. 

Im Chaos von Bürgerkrieg und Revolution, das ein Jahr später in Russland herrschte, geriet die Explosion der „Imperatriza Marija” bald in Vergessenheit. Es gab neue, größere Ereignisse. 

Der sowjetische Schriftsteller Anatoli Rybakow beschreibt in seinem Werk „Der Dolch“ die Ereignisse rund um die Explosion des Schlachtschiffs: „Es gab viele Untersuchungen zu dem Fall, alle ohne eindeutiges Ergebnis. Und dann kam die Revolution.“  

Die Zeit zwischen 1917 und 1922 hat so vieles zerstört und so große Umwälzungen gebracht, dass der Verlust eines Schiffes, selbst eines so mächtigen Kriegsschiffes wie der „Imperatriza Marija“ nur ein weiteres Steinchen im Mosaik der langen, aufregenden und wechselvollen russischen Geschichte war. 

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