Warum durfte ein Kadett Josef Stalin ungestraft einen Faustschlag verpassen?

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Er sollte Josef Stalin schützen. Stattdessen nutzte der Militärkadett die Gelegenheit, den Sowjetführer zu schlagen.

In den 1930er Jahre hätte wohl niemand den allmächtigen Josef Stalin ohne Strafe schlagen dürfen. In den 1920er Jahren hingegen stellte sich die Situation noch etwas anders dar, wie der Fall des Kadetten Jakob Ochotnikow zeigt. 

Ein Trotzkist als Leibwächter Stalins 

Am 7. November 1927 bereitete sich die gesamte Sowjetunion darauf vor, den wichtigsten Termin im Kalender mit einer traditionellen Militärparade auf dem Roten Platz zu feiern: den zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution. Die Führer des Landes sollten sich auf dem Lenin-Mausoleum versammeln, um die vorbeimarschierenden Truppen zu beobachten. 

Um mögliche Attentate zu verhindern, wurden Kadetten von der Frunse-Militärakademie zur Unterstützung der für den Schutz der sowjetischen Führer zuständigen OGPU-Sicherheitsbeamten herangezogen.

Unter ihnen befand sich auch der 30-jährige Jakob Ochotnikow. Obwohl Kadett, war Ochotnikow durchaus kampferprobt, was er während der Revolution und im russischen Bürgerkrieg unter Beweis gestellt hatte.

Die spätere Karriere verlief jedoch weniger brillant. Ochotnikow war leidenschaftlicher Trotzkist und blieb dies auch, nachdem sein Idol Mitte der 1920er Jahre in Ungnade gefallen war. Für seine trotzkistische Propaganda erhielt Ochotnikow eine Parteistrafe. Dennoch schickte ihn der Leiter der Frunse-Militärakademie, Robert Eideman, als Leibwächter für Stalin. 

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Unruhe auf dem Roten Platz 

Mit zwei weiteren Kadetten, Wladimir Petenko und Arkadi Gellerem, sollte Ochotnikow die Parteioberen auf dem Lenin-Mausoleum schützen. Sie erreichten ihren Einsatzort jedoch zu spät.

Ein OGPU-Offizier versperrte ihnen den Weg. Das Trio schob ihn beiseite und betrat die Plattform des Mausoleums, wo die sowjetischen Führer sich bereits versammelt hatten.

L-R: Genrich Jagoda, Alexander Jegorow, Kliment Woroschilow, Michail Tuchatschewski und Jan Gamarnik auf dem Roten Platz

Das setzte die anderen Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft, die die Kadetten für mutmaßliche Attentäter hielten und nun versuchten, sie gewaltsam zurückzudrängen. Es kam zu einer Schlägerei. Die Politiker bekamen wegen des Lärms der Parade gar nichts mit von dieser heftigen Auseinandersetzung. 

Der erste Schlag 

Ochotnikow zog sich aus der Schlägerei zurück und marschierte auf Stalin zu. Er versetzte dem  ahnungslosen Sowjetführer einen Schlag auf den Hinterkopf und sagte: „Wir sind hier, um Sie zu schützen. Was soll das?“ 

Möglicherweise veranlasste Ochotnikow mehr als nur Groll über den wenig freundlichen Empfang zu dieser Aktion. Vielleicht hat Ochotnikow auf diese Weise sein politisches Idol Trotzki rächen wollen.

Er setzte zu einem zweiten Schlag an, doch dieser wurde vom Wachmann Iwan Jusis abgewehrt. Da auf dem Mausoleum der Gebrauch von Schusswaffen strengstens verboten war, zückte der Litauer Jusis ein Messer und verwundete den Kadetten. 

Bestrafung? 

Der Kampf wurde schließlich von Semjon Budjonny, Kliment Woroschilow und weiteren Militäroberen beendet. Ochotnikows Schicksal schien besiegelt zu sein. Doch 1927 war Stalin noch nicht der allmächtige und gefürchtete „Vater der Nationen“, der er in den 1930er Jahren werden würde. Robert Eideman und der Militärkommandeur Iona Jakir, sowie der Stabschef der Roten Armee, Michail Tuchatschewski, stellten sich hinter die Kadetten. Stalin musste sich zurückhalten. Er war noch nicht mächtig genug für einen offenen Konflikt mit dem Militärkommando.

Josef Stalin

Ochotnikow kam ungeschoren davon. Nach seinem Abschluss an der Militärakademie leitete er sogar ein staatliches Institut für Flugzeugbau-Anlagen. 

1932 wurde er in der sogenannten Smirnoff-Affäre konterrevolutionärer Aktivitäten beschuldigt und aus der Partei ausgeschlossen. Wieder entging er der Hinrichtung. Er wurde nach Magadan im russischen Fernen Osten verbannt und leitete dort ein Kraftfahrzeug-Depot.

Dennoch wurde Ochotnikow eines der ersten Opfer von Stalins Großem Terror. Im August 1936 wurde er in Magadan erneut verhaftet, diesmal unter dem Vorwurf, einen Mordanschlag auf Stalin und Woroschilow geplant zu haben und wegen Spionage und Verrats. Er wurde nach Moskau gebracht und dort am 8. März 1937 hingerichtet. Ob er auf Stalins persönlichen Wunsch hin erschossen wurde, ist nicht bekannt. 

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