Die Party beginnt
Da die Sowjetunion ein atheistischer Staat war, wurden die meisten der jahrhundertealten russischen Heiratsbräuche durch neue sowjetische säkulare Traditionen ergänzt oder sogar ersetzt.
Ab den 1960er Jahren gab es eine typisch sowjetische Hochzeitstradition, die in den meisten Familien gelebt wurde. Ein Hochzeitstag, der diesen Traditionen folgte, sah in etwa so aus: der Bräutigam holte die Braut zusammen mit seinem Trauzeugen in einem geschmückten Taxi oder Privatfahrzeug zu Hause ab.
Der Schmuck der motorisierten Hochzeitskutsche konnte manchmal durchaus ungewöhnlich sein, etwa, in dem eine Puppe im Hochzeitskleid auf der Motorhaube befestigt wurde. Die Puppe gehörte früher der Braut.
Trauzeuge Andrej vom Foto unten erklärt, dass die Brautfamilie und deren Freunde und Nachbarn alles versuchen würden, um zu verhindern, dass ein solch geschmücktes Auto die Braut erreichte. Der Bräutigam musste die Braut entweder durch einige Flaschen Champagner freikaufen oder Lieder singen, um zu ihr vorgelassen zu werden.
ZAGS
Nach der kommunistischen Revolution war nicht mehr die Kirche für die Eheschließung zuständig. Diese Aufgabe übernahm nun das ZAGS, die Abteilung für öffentliche Dienste. Hier wurden die neu gegründeten Familien registriert.
Zur Eheschließung war neben dem zukünftigen Ehepaar die Anwesenheit zweier Zeugen erforderlich. Sie setzten ebenfalls ihre Unterschrift unter die Heiratsurkunde.
Andrej erinnert sich daran, dass es ein Privileg war, Trauzeuge sein zu dürfen. Sie waren die wichtigsten Personen nach dem Brautpaar. Sie trugen oft ein rotes Band quer über der Brust, um die besondere Rolle zu unterstreichen.
Die kommunistisch-sozialistische Ideologie machte auch vor dem sowjetischen Standesamt nicht Halt. In nahezu jedem ZAGS wurden das zukünftige Ehepaar von einer Lenin-Büste oder zumindest einem Lenin-Porträt begrüßt.
Stadtrundfahrt
Nach der Registrierung beim ZAGS machten das Brautpaar und ihre Trauzeugen Fotos vor den Wahrzeichen der Stadt. Zu den beliebtesten Motiven gehörte eine Aufnahme der Brautleute, wie sie Blumen an einem der Denkmäler des Großen Vaterländischen Krieges niederlegten.
Das war keine Pflicht, jedoch oft eine Selbstverständlichkeit, denn in fast jeder sowjetischen Familie gab es einen Gefallenen oder Veteranen.
Ein Mann mit Akkordeon
Wenn das Hochzeitspaar nach der Registrierung und der Stadtrundfahrt noch weiter feiern wollte, versammelte man sich in einem Restaurant oder einer Privatwohnung. Einer durfte dabei nicht fehlen, erinnert sich Vera: der Mann mit dem Akkordeon. Dieser Alleinunterhalter war nicht ganz günstig, aber Hauptsache, die Gäste amüsierten sich.
Hochzeitsgeschenke: Hausrat und eine Wohnung
Irina, die Braut auf dem Foto unten, erzählt: „Zu den typischen Geschenken zählte alles, was die junge Familie brauchte, wie Bettwäsche, ein Teeservice, einen Wecker oder Pflanzen. Die meisten Gäste gaben jedoch Geld, denn in den Läden gab es kaum etwas zu kaufen. Ich erinnere mich, dass wir fast alles Geld, das wir geschenkt bekamen, für den Akkordeonspieler ausgegeben haben. Die Mutter meines Mannes hatte Dutzende ihrer Kollegen eingeladen. Wir kannten die gar nicht. Aber sie hatten exklusive Speisen wie Kaviar, Lachs oder Wurst mitgebracht.“
Das großzügigste Geschenk kam jedoch manchmal vom sowjetischen Staat. Wenn ein Pärchen gefragter Spezialisten heiratete, rückten Sie auf der Warteliste für ein Zimmer in einer Kommunalka oder sogar für eine eigene kleine Wohnung weiter nach vorne.
Die sowjetische Hochzeit dauerte meist zwei Tage. Am zweiten Tag wurde im kleineren Kreis mit Freunden und Verwandten weitergefeiert. Danach gingen die Jungvermählten entweder auf Hochzeitsreise - sorgfältig organisiert und von den Eltern bezahlt - oder kehrten zur Arbeit zurück, um weiter am Aufbau des Sowjetstaates mitzuwirken.