„Potjomkinsche Dörfer“ ist im Deutschen ein Synonym für „Vorspiegelung falscher Tatsachen“. Einer Legende nach hat Grigori Potjomkin, der Mann, der die Krim zu einem Teil der Russischen Reichs gemacht hat, anlässlich des Besuchs von Kaiserin Katharina der Großen auf der Halbinsel, angeordnet, entlang der Route der Kaiserin provisorische Dörfer zu errichten.
Neu gebaute, frisch gestrichene Häuser bzw. angeblich nur deren Fassaden, in denen glückliche Bauern wohnten (die aus Dörfern in Zentralrussland dorthin gebracht worden waren) sollten über die traurige Realität auf der Krim, Armut und Verfall allerorten, hinwegtäuschen, so der Mythos.
Wir gehen der Entstehung dieses Mythos auf den Grund.
Reise von Katharina der Großen auf die Krim
Hermann HoppeDer Mythos der „Potjomkinschen Dörfer“ entstand schon vor der Krimreise von Katharina der Großen. Georg von Helbig, der Sekretär der sächsischen Botschaft am Hof der Kaiserin, kam 1787 nach Russland, nahm aber nicht an der Reise teil. Zwischen 1797 und 1800 veröffentlichte Helbig eine Biographie über Grigori Potjomkin, in der er auch die Geschichten niederschrieb, die er über Potjomkin gehört hatte. Er schrieb über künstliche Dörfer, Weizensäcke, die tatsächlich mit Sand gefüllt waren, und riesige Viehherden, die in Wahrheit kleine Herden waren, die der Kaiserin mehrfach vorgeführt wurden.
Johan Albrecht Ehrenström, ein finnischer Politiker, der 1788 nach Russland kam, erwähnte in seinen Memoiren (Jahre später) ebenfalls die Herden und Dörfer, die nur aus einer Holzfassade bestanden. Der Marquis de Custines setzte diesen Legenden in den 1840er Jahren in seinem weltberühmten Werk „Russland im Jahre 1839“, erneut ein Denkmal.
Grigori Potjomkin
I. Nosow/SputnikCharles-Joseph de Ligne (1735-1814), der zur Entourage der Kaiserin gehörte, bezeichnete die Gerüchte über falsche Dörfer dagegen als absurd. Aber de Ligne war ein langjähriger Mitarbeiter von Potjomkin, so dass seine Informationen möglicherweise unzuverlässig sind. Aber anzweifeln könnte man auch die Aussagen des finnischen und sächsischen Politikers, die vielleicht die Zarin und ihre Politik verunglimpfen wollten. Wer sagte nun die Wahrheit?
„Katharinas Meilenstein“
Vodnik/(CC BY-SA 3.0)Die Gerüchte, dass es auf der Krim falsche Dörfer geben würde, kursierten bereits vor der Abreise der Kaiserin. Alexander Panschenko, ein russischer Historiker, merkt an, dass Katharinas Sekretär Alexander Chrapowitski im April 1787 in sein Tagebuch schrieb, dass Katharina, die mit ihrem Gefolge gerade in Kiew weilte, es plötzlich eilig gehabt hätte, nach Neurussland zu kommen, dem Gebiet, zu dem auch die Krim gehörte: „Ohne Verständnis für Potjomkin, der unvorbereitet war und die Abreise verzögern wollte.“ Hat Potjomkin deshalb für Katharina eine Inszenierung vorbereitet? Ja, das hat er tatsächlich. So hat er beispielsweise eine Militäreinheit ausschließlich zur Unterhaltung der Kaiserin gegründet.
Es wurden Unsummen für Feuerwerk ausgegeben. Sogar Kaiser Joseph II. (1741-1790), der unter dem Namen „Graf Falkenstein“ an der Krimreise teilnahm, war beeindruckt, als Katharinas Monogramm von 55.000 Lichtern gezeichnet wurde.
Und ja, Potjomkin befahl auch, Dörfer zu schmücken. Louis Philippe, Comte de Ségur (1753-1830), der ebenfalls dabei war, schrieb: „Städte, Dörfer, Landgüter und manchmal auch einfache Hütten waren so mit Blumen, bemalten Fassaden und Bögen geschmückt, dass sie wie Städte erschienen und wie Märchenschlösser mit atemberaubenden Gärten…”
Potjomkins Investitionen in die Entwicklung der Krim waren beeindruckend. Guglielmo Costantino Ludolf (1759-1839), ein italienischer Diplomat, schrieb: „Vielleicht denken Sie, Cherson ist eine Wüste, denken Sie um… Vor acht Jahren gab es hier fast nichts… Fürst Potjomkin hat acht Millionen Rubel in den Aufbau dieser Stadt investiert.“
Wir können daraus schließen, dass während der Reise keine „Potjomkinschen Dörfer“ gesehen wurden. Die Ausländer waren beeindruckt von den Summen, die Potjomkin für die Entwicklung der Krim ausgegeben hatte. Selbst Joseph II. verbeugte sich, nachdem er von Katharina der Großen gefragt worden war, ob ihm das, was er gesehen habe, gefallen habe, nur schweigend vor der Kaiserin. Wer profitierte also von den Gerüchten?
Grabstätte von Grigori Porjomkin in Cherson
Nataliya Shestakova/(CC BY-SA 4.0)Katharinas Krimreise sorgte in Istanbul für hochgezogene Augenbrauen. Die Krim war vor nicht allzu langer Zeit noch ein Satellitenstaat der Türkei. Die Türken waren diejenigen, auf die die Propaganda tatsächlich zielte. Sowohl die sächsischen als auch die finnischen Diplomaten, die die Gerüchte über den Bau von Holzdörfern durch Potjomkin in Umlauf gebracht hatten, wollten, dass das türkische Militär glaubt, das Russische Reich sei in Wahrheit ein schwacher Staat und könne leicht niedergeschlagen werden.
Der britische Gesandte für die Türkei, Sir Robert Ainslie, versicherte der türkischen Regierung, dass Großbritannien das Osmanische Reich im Falle eines Krieges mit Russland unterstützen werde. Die Türkei forderte daher die Rückgabe der Krim und erklärte Russland, das dieses Ansinnen zurückwies, den Krieg. Dieser Konflikt (1787-1791) verlief für das Osmanische Reich sehr schlecht. Kein einziger Sieg über Russland konnte errungen werden.
Tod von Grigori Potjomkin in der Steppe
gemeinfreiDie Briten dachten gar nicht daran, die Türkei zu unterstützen. Sir Robert Ainslie schied in den letzten Kriegsjahren aus dem Dienst. 1791 unterzeichneten Russland und die Türkei den Vertrag von Jassy, der die Krim als Teil des russischen Reiches bestätigte. Es stellte sich heraus, dass der Mythos über „Potjomkinsche Dörfer“ für Grigori Potjomkins größte Leistung, die Annexion der Krim, von Vorteil war. Potjomkin starb während der Verhandlungen zum Vertrag von Jassy, der seinen Erfolg festschrieb.
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