Diese drei indigenen Völker in Russland leben ganz nach den Traditionen ihrer Ahnen

Geschichte
NIKOLAJ SCHEWTSCHENKO
Diese Menschen fertigen ihre Unterkünfte und Kleidung aus Tierfellen, sie leben von der Jagd und können sich teilweise frei über die russischen Grenzen hinaus bewegen.

Nenzen

Die Nenzen sind eines der zahlenmäßig größten indigenen Völker in Russland. Sie leben von der Rentierzucht und scherzen mit ihren Göttern.  

Laut der Volkszählung von 2010 gibt es 44.640 Nenzen. Sie leben in Tundra-Regionen und wandern über die weiten Freiflächen an der Küste des Arktischen Ozeans von der Kola-Halbinsel zum Autonomen Kreis Taimyr. Wie ihre Vorfahren kleiden sie sich in Tierfelle, nutzen Rentierschlitten als Transportmittel und bauen auch Zelte aus Rentierfellen. 

Diese nennen sie Tschum. In der Mitte steht ein gusseiserner Ofen, der Burschhuika. Das Schüren des Feuers ist die Pflicht der Nenzen-Frauen schon von klein auf.

„Die Frauen sind für die Wohnstätte verantwortlich und haben dort ihren eigenen Bereich. Sie sind sehr geschickt im Umgang mit dem Feuer. Schon kleine Mädchen werfen Kohlen mit der Hand in die Flammen und fachen das Feuer an. Es werden vielfältige Brennmaterialien genutzt, von Schwarzmoos bis zu Zwergbirken“, berichtet Andrei Golownew, ein Ethnograf, der einen Dokumentarfilm über die Nenzen gedreht hat. 

Die Männer ruhen sich währenddessen in ihrer Hälfte des Zelts aus. Die Bereiche der Männer und Frauen sind strikt getrennt. Wenn eine Frau versehentlich den Männerbereich betreten hat, muss ein reinigendes Rauchritual zelebriert werden. Dazu werden Stücke von Biberhaut in ein Gefäß mit glühenden Kohlen gelegt. Die Frau stellt sich in den entstehenden Rauch und wird so gereinigt und tut Buße für ihr Fehlverhalten. 

Zu ihren Göttern pflegen die Nenzen ein entspanntes Verhältnis. „Für sie stehen Menschen und Götter in einem gleichberechtigten Dialog. Sie scherzen sogar mit ihnen“, so Golownew. 

Die Fortschritte der Zivilisation haben auch bei den Nenzen Einzug gehalten. Viele besitzen Mobiltelefone und sogar Schneemobile. Dennoch halten sie sich bis heute an den traditionellen Lebensstil ihrer Vorfahren. Ihre angestammten Berufe sind Rentierzucht und Fischfang. 

Eskimos

Es gibt weltweit rund 150.000 Eskimos, von denen jedoch nur 1.738 in Russland leben. Sie siedeln an der Küste von Tschukotka, jagen Walrosse und besuchen ihre Verwandten jenseits der Grenze in den Vereinigten Staaten.

In Russland lebende Eskimos sind als sibirische oder asiatische Eskimos bekannt. Sie sind eng mit den Eskimos in den Vereinigten Staaten verwandt. 

Eskimos in Tschukotka lebten lange Zeit isoliert. „Der russische Einfluss in Tschukotka machte sich erst in den 1930er Jahren bemerkbar, als die Sowjets bis in die Gegend vordrangen. Vor der Revolution war der US-amerikanische Einfluss stärker. Erwachsene Eskimos sprachen Englisch und arbeiteten für US-Walfangunternehmen. Viele haben eine Weile in Städten an der Westküste der USA gelebt und besorgten sich dort westliche Waren wie Alkohol, Kaugummi, Waffen, Kleidung und Schmuck“, berichtet der Ethnologe Dmitrij Oparin.  

Die traditionell wichtigste Beschäftigung der Eskimos bleibt die Jagd. „Sie versammeln sich in Gruppen von drei bis zwölf Männern und jagen Walrosse, Wale, Robben, Seehasen und Füchse. Sie sind erfahrene Jäger, und diese Fähigkeiten werden von Generation zu Generation weitergegeben“, sagt Oparin. 

Viele Menschen glauben, Eskimos lebten noch immer in Iglus, doch tatsächlich wohnen die Eskimos in Russland in ihren Dörfern in gewöhnlichen Hütten. Sie bewahren die religiösen Traditionen ihrer Vorfahren und praktizieren Schamanismus.

Eine Besonderheit ist, dass die Ureinwohner von Tschukotka für Reisen nach Alaska kein US-Visum benötigen. Ein spezielles Abkommen zwischen Russland und den USA erlaubt die Einreise ohne Visum für Angehörige indigener Völker auf beiden Seiten der Grenze. 

Hezhen (Nanai)

Am Fluss Amur und seinen Nebenflüssen im russischen Gebiet Chabarowsk lebt ein weiteres kleines indigenes Volk – die Hezhen, in Russland Nanai genannt.

Laut lokaler Folklore stammen die Nanai von einem Taiga-Tiger und der Tochter des ersten menschlichen Paares ab. Eine andere, vielleicht wahrscheinlichere Variante, ist, dass die Hezhen aus China kommen. Ihre Ethnogenese sei jedoch sehr komplex, sagen Forscher.

Die Nanai verehren eine Sonnengottheit und beten bis zum Morgengrauen zu ihm. Sie glauben auch an die Geister ihrer Vorfahren. 

Männer jagen und fischen, während Frauen Felle und Fischhaut verarbeiten.

Die Nanai leben in enger Verbundenheit mit der Natur und ihr Glaube an die Geisterwelt ist sehr tief. „Bevor das Familienoberhaupt einen Baum fällt, nähert es sich dem Baum, steht lange davor und spricht mit dem Baumgeist. Er erklärt ihm, dass er ihn verletzen muss, er aber wiedergeboren werde. In diesem Falle als Boot für die Familie. Dann bittet er um Vergebung und die Erlaubnis des Baumes, ihn zu fällen. Er betont noch einmal, wie wichtig der Baum für ihn ist. Dann hält er inne und wartet auf ein Zeichen. Wenn zum Beispiel ein Vogel beginnt, zu zwitschern, ist das ein gutes Omen. Dann hat der Baum seine Zustimmung gegeben“, beschreibt die Historikerin Dr. Jewdokia Gaer, die aus der Region stammt. 

Für die Mädchen der Hezhen steht schon früh fest, wen sie einmal heiraten werden. „Wenn jemand eine Tochter hat und sein Nachbar oder Freund einen Sohn, sorgen die Eltern dafür, dass sie Ehemann und Ehefrau werden, wenn sie erwachsen sind“, so Gaer.

Zum Hochzeitstag hüllt sich die Braut in einen Mantel aus Seide. Der Stoff kommt aus China, wo die Hezhen viele Verwandte haben, von denen sie durch die Festlegung der russisch-chinesischen Grenze entlang des Amur getrennt wurden. 

Wie für die Ureinwohner von Tschukotka gilt auch für die Angehörigen indigener Völker in den an China angrenzenden Regionen Visafreiheit. Mit einer Einladung nach China bekommen sie die Einreiserlaubnis direkt am Grenzübergang.  

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