Zwei Frauen in Tracht stehen sich gegenüber. Eine hält einen schwarzen Kajalstift und versucht sich damit etwas ins Gesicht zu malen, was ein wenig an das Lachen des Jokers aus dem Film „Batman” erinnert.
„Asja, mache es so…”, sagt die andere Frau auf Russisch und zieht mit ihren Fingern eine Linie von einer Wange zur anderen. Asja malt mit dem Kajal, wie es ihr gezeigt wurde. Schwarze Linien zieren nun ihr Gesicht. „Wow, eine echte Ainu”, sind beide Frauen zufrieden.
Die beiden sind nach Japan gereist, auf die Insel Hokkaido, wo es mehrere Reservate der Ainu gibt. Ainu sind ein sehr altes Volk. Einst besiedelten sie ein riesiges Gebiet am Pazifik, einschließlich des heutigen Japans, dazu die Insel Sachalin, die Kurilen und den südlichen Teil der Halbinsel Kamtschatka.
Heute leben nach offiziellen Angaben in Japan nur noch rund 25.000 Ainu, in Russland nur noch einige Dutzend.
In Russland ist das Ainu-Volk weitgehend unbekannt. Früher lebte es im Fernen Osten, ihre Geschichte ist von Verfolgung geprägt und 1979 wurden sie aus dem offiziellen Register ethnischer Gruppen in Russland gestrichen. Viel mehr weiß man nicht über sie.
Dennoch gibt es noch Ainu in Russland, wie diese beiden Frauen, die von einem russischen Ethnologen mit der Kamera begleitet wurden, und nun einer Ainu aus Hokkaido höflich erklären, dass sie wüssten, wie sie in ihrem Kostüm eine korrekte Falte machen. Sie bräuchten dabei keine Hilfe.
Das „Joker-Lächeln” ist ein Lippen-Tattoo, ein charakteristisches Merkmal der Ainu-Frauen. Früher wurden den Mädchen ab dem siebten Lebensjahr die Mundwinkel mit einem Zeremonienmesser eingeschnitten und mit Kohle eingerieben. Jedes Jahr gab es einen neuen Schnitt, den letzten machte der Ehemann bei der Hochzeit. Die Frauen trugen auch Tattoos an den Armen.
Heute werden niemandem mehr die Mundwinkel aufgeschnitten. Das Lächeln wird mit einem Stift aufgemalt und das auch nur zu besonderen Anlässen. Die letzte Frau, die nach den traditionellen Ainu-Regeln tätowiert war, starb im Jahr 1998 in Japan.
Die Männer hatten spezielle Stöcke, mit denen sie ihre langen Schnurrbärte bei den Mahlzeiten aus dem Gesicht halten konnten. Bereits im zweiten Jahrhundert v. Chr. wurden in einer Abhandlung aus China die „haarigen” Menschen erwähnt (rus). Der Russe Stepan Krascheninnikow, der als Entdecker Kamtschatkas gilt, bezeichnete die Ainu als das „wollige Volk der Kurilen”.
Es gibt ein weiteres merkwürdiges Detail: Die Ainu glichen zunächst eher Europäern statt Asiaten. Krascheninnikow fand, sie ähnelten russischen Bauern mit einer dunklen Hautfarbe, aber weniger Japanern, Chinesen oder Mongolen. Die Ursachen dafür liegen in der Geschichte der Ainu.
Es wird angenommen (rus), dass die Geschichte der Ainu 15.000 Jahre zurückreicht, sie sind älter als die Sumerer oder Ägypter. Manche sprechen daher nicht vom Ainu-Volk, sondern von der Ainu-Rasse. Es gibt zwei Theorien zu ihrer Herkunft.
Die „Nordtheorie” besagt, dass sie aus der nördlichen Gegend kamen, die später von Mongolen und Chinesen besiedelt wurde. Eine andere Theorie geht davon aus, dass die Ainu ursprünglich aus Polynesien stammten und stützen ihre Theorie mit der Erscheinung und den Bräuchen der Ainu, die es auch häufig in Ozeanien gibt.
Was man sicher weiß: Die Ainu waren die ersten Ureinwohner der japanischen Inseln. Diese Tatsache gefiel den Japanern nicht und sie haben das oft geleugnet. Die Japaner führten langjährige Gebietskämpfe mit den Ainu. Die Ureinwohner waren chancenlos gegen die Japaner, denn sie waren nicht in einem Staat organisiert und hatten auch keine Armee.
Zudem blieb ihnen nur der Rückzug weiter nach Norden. Dennoch war im Mittelalter die Hälfte Japans von den Ainu bewohnt.
„Die Tragödie meines Volkes ist vielleicht nur mit der Tragödie der Ureinwohner Nordamerikas vergleichbar”, sagt (rus) Alexei Nakamura, Vorsteher der Gemeinschaft der Ainu auf Kamtschatka. Doch nicht nur in Japan wurden die Ainu vertrieben.
Im russischen Reich durften sie sich nicht Ainu nennen, weil die Japaner behaupteten, alle von ihnen bewohnten Länder seien Teil Japans. Die Ainu lebten sowohl auf japanischen als auch auf russischen Inseln.
Irgendwann war es verpönt und auch gefährlich, sich Ainu zu nennen. Man passte sich an, begann Russisch zu sprechen und konvertierte zum orthodoxen Christentum.
Für die Kommunisten waren die Ainu Japaner. Über die Jahre hatten sie durch Kreuzung japanische Züge ausgeprägt.
„Und so kam es, dass wir in Russland Japaner und in Japan Russen waren”, sagt Alexei Nakamura, der einen russischen Vornamen und einen japanischen Nachnamen trägt.
Ursprünglich kannten die Ainu keine Nachnamen - sie erhielten sie entweder von den Russen oder von den Japanern, und einige nahmen später slawische Nachnamen an.
Viele taten dies während der politischen Repressionen in der Stalin-Ära. Die staatlichen Sicherheitsorgane des NKWD [Vorläufer des KGB] verweigerten ihnen die sowjetische Staatsbürgerschaft, und wegen ihrer Verbindung zu Japan wurden sie massenhaft wegen Spionage, Sabotage und Kollaboration mit dem militaristischen Japan in Gefangenenlager deportiert.
„Nach dem Zweiten Weltkrieg durfte nicht einmal mehr über die Ainu gesprochen werden. Es gab einen Erlass des obersten Zensurwächters Glawlit über das Verbot, die ethnische Gruppe der Ainu in der Sowjetunion zu erwähnen”, erzählt (rus) der Historiker Dr. Alexander Kostanow.
Nach der Kapitulation Japans stellte sich 1946 die Frage nach der Rückführung der japanischen Bevölkerung aus dem russischen Hoheitsgebiet. „Die Ainu wurden nicht als ehemalige Untertanen des [russischen] Reiches angesehen. Sie wurden als Japaner betrachtet”, so Kostanow. Sie wurden fast ausnahmslos nach Hokkaido geschickt.
Bei der letzten Volkszählung in Russland im Jahr 2010 bezeichneten sich 109 Personen als Ainu. Auf Drängen der Regierung des Kamtschatka-Territoriums wurden sie jedoch nicht als Ainu registriert (rus).
Fünf Jahre später organisierten sich die Ainu als Non Profit Institution, die jedoch gerichtlich verboten wurde. Der Grund? Offiziell existieren keine Ainu.
„Das bedeutet, dass wir nicht das Recht haben, wie andere kleine ethnische Gruppen zu fischen oder zu jagen. Wenn wir mit einem kleinen Boot zur See fahren, sind wir Wilderer. Und die Strafe dafür ist hoch”, sagt Nakamura.
Auf Hokkaido gibt es die Organisation Utari, ein Netzwerk von Ainu-Bildungs- und Kulturzentren mit 55 Zweigstellen. In Russland haben die Ainu nichts. Alle Lehrbücher sind auf Englisch oder Japanisch und kommen aus dem Ausland.
„Wir waren immer kooperationsbereit, haben aber irgendwann aufgegeben. Immer wieder wurde die Frage der Kurilen diskutiert. Wir sollten politisch instrumentalisiert werden und uns dazu äußern”, berichtet Nakamura.
Laut dem statistischen Bericht „Die japanische Diaspora im Ausland" leben 2.134 Japaner in Russland. Zu ihnen gehören einige Menschen mit Ainu-Hintergrund, die jedoch einen japanischen Pass haben, um ohne Visum nach Japan reisen zu dürfen.
Es gibt so wenige Ainu, die Aufmerksamkeit suchen, dass sich nur noch Ethnologen für sie interessieren. Nakamura meint, dies sei wohl auch sein letztes Interview: „Niemand will uns.”
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