Wie die kleinen indigenen Völker des Altais leben (FOTOS)

Nikolai Rastorguev Foundation
Die Nachkommen der alten Nomadenvölker pflegen ihre Sprache und Traditionen und glauben an die Heilkraft der Taiga, obwohl sie längst zum Christentum konvertiert sind.

Ethnographen nennen die Republik Altai in Sibirien einen „Schnittpunkt der Zivilisationen“: Viele indigene Völker, Nachkommen alter Nomadenvölker, leben noch immer hier. Wissenschaftler wissen aufgrund der Unzugänglichkeit des Gebietes sehr wenig über die Existenz vieler dieser Ethnien. Der Altai ist voller Berge und Wälder, und die Siedlungen hier liegen viele Kilometer voneinander entfernt. Wahrscheinlich erlaubte dies es den Menschen, die Erinnerung an ihre Wurzeln zu bewahren. 

Im Sommer 2019 unternahm das Team der Stiftung zur Unterstützung von Kino, Radio und Multimedia von Nikolai Rastorgujew eine ethnographische Expedition in den Altai, um von den Anwohnern zu erfahren, wie es ihnen gelingt, ihre Sprache, Bräuche und Glaubensvorstellungen zu bewahren.

Das wichtigste Konzept für die indigenen Altai-Völker ist der Seok (zu Deutsch Knochen), also der Clan. Sie bewahren die Erinnerung an ihre Seoks und pflegen die damit verbundenen Traditionen. Zum Beispiel ehren sie ihre Ältesten und führen gemeinsam Beerdigungen und Hochzeiten durch. Und es existiert immer noch ein Eheverbot für junge Menschen aus dem gleichen Clan.

Die Altai-Völker der Telengiten und Teleuten, die im Süden der Republik an der Grenze zur Mongolei leben, sind die Nachkommen des alten Turkstammes der Tiele.

Kraj Bidinow, verdienter Lehrer Russlands und Schriftsteller, gründete bereits 1966 einen Zirkel für die Heimatgeschichte des Altai und eröffnete dann im Dorf Kokorja nahe der russisch-mongolischen Grenze ein Museum für die Geschichte der Telengiten. „Wenn du die Geschichte deines Volkes nicht kennst, bist du ein Niemand“, sagt er. „Unsere Väter und Großväter pflegten die Riten ihrer Vorfahren und lehrten ihre Kinder, ihr Land zu respektieren. Für uns ist der Altai nicht nur unsere Heimat, der Altai ist ein Gott und Schöpfer. Man muss sich den Gesetzen der Natur unterordnen.“

Der traditionelle Glaube der Altai-Völker schrieb vor, die Geister der Natur zu verehren. In der Wissenschaft wird er als Tengrismus bezeichnet. Die Altai-Berge sind ein lebendiger Geist und die Erde verfügt über Erinnerung und Vernunft. Obwohl die Altaier stark vom russisch-orthodoxen Christentum beeinflusst sind (die Völker wurden im 19. Jahrhundert getauft), wird der Schamanismus in den Dörfern immer noch praktiziert. Die Schamanen führten ihre Rituale auch in der Sowjetzeit durch, obwohl sie dies heimlich tun mussten. „Ein Schamane kann jedem helfen – er ist ein Mensch, der mit einem übernatürlichen Charakter ausgestattet ist. Er dient dem Menschen und verbindet die untere mit der oberen Welt. Er kann zu Hause sitzen und dabei die ganze Welt mental bereisen. Aber mit einem Schamanen kann man nicht streiten“, erklärt Bidinow.

Wjatscheslaw Tscheltujew ist ein angestammter Schamane. „In meiner Familie sind alle Schamanen. Das kann man nicht erlernen, es gibt dafür keine Schule“, sagt er. „Als ich 16 – 17 Jahre alt war, begann ich, Warnungen [von den Geistern] zu erhalten. Damals wusste ich noch nichts und hatte Angst davor. Ich hatte sogar Angst zu schlafen, weil alles in der Nacht zu mir kam. Früher wäre ich längst in der Psychiatrie gelandet, denn ich kannte die ganze Zukunft und warnte die Menschen davor.“

Dobrynja Satin ist ein traditioneller Altai-Musiker. „Mein Instrument wird Topschur genannt und ist ein Attribut des Kajtschi, des Erzählers, der das Altai-Epos vorträgt. Es hilft dem Erzähler, in eine Art Trance zu fallen. Unsere Epen sind sehr lang. Vor dem Vortrag bittet der Erzähler sein Instrument, ihm zu helfen, und dann trägt ihn das Topschur in jene Welt.“

Im Norden des Altais leben die Kumandiner, Tubalaren und Tschelkanen, türkischsprachige Völker ugrofinnischer Herkunft. Sie nennen sich selbst „Menschen der Taiga“. Das Volk der Tschelkanen pflegt immer noch die traditionelle Form des Fischfangs.

Maria Kysajewa: „Unsere tubalarischen Vorfahren waren Ackerbauern. In der Sowjetzeit wurde ein Plan vorgegeben: So und so viel Kartoffeln, Rüben und Kirschen mussten an die Kolchose abgegeben werden“, erinnert sie sich. „Und wenn es einen Unfall gab, baten sie die Berge um Hilfe. Meine Vorfahren glaubten an die Taiga, und ich tue es auch.“

Iwan Tscherlojakow ist Geschichts- und Gesellschaftskundelehrer im Dorf Tondoschka, 120 km östlich von Gorno-Altaisk, der Hauptstadt des Altai. „Unser Dorf ist ein Ort, an dem die Vettern eng zusammenleben. Die Vettern glauben, dass sie die Nachkommen der Menschen sind, die der Sintflut auf Flößen entkommen sind. Sie erreichte den Gipfel des Salopa, und als das Wasser sank, ließen sich die Vettern auf den Berghängen nieder.“ Tscherlojakow sagt, dass die getauften Altai-Völker ein ziemlich kompliziertes Schicksal hatten. „Für die Russen blieben sie Altaier, aber für die Altaier waren sie keine von ihnen mehr. Und deshalb wollten die getauften Altaier zeigen, dass sie russischer sind als die Russen selbst. Und die Russen machten sich über sie lustig.“

Neben den kleinen indigenen Völkern gibt es im Altai mehrere Gemeinschaften von Altgläubigen, darunter im  Ujmontal in dem die Marals, die Altai-Wapitis, gezüchtet werden.

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