Wie sich russische Leibeigenschaft von Sklaverei unterscheidet

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In britischen populärwissenschaftlichen historischen Abhandlungen über Russland werden „Leibeigenschaft“ und „Sklaverei“ oft synonym verwendet. Es ist allgemein üblich zu sagen, dass „die Sklaverei in Russland 1861 endete“. Dies ist jedoch ein schwerwiegender Fehler. Hier sind die Gründe.
  1. Leibeigene waren Personen, keine Sachen 

Russische Leibeigene wurden als Menschen betrachtet - allem, weil sie russisch-orthodoxe Christen waren. In der zaristischen russischen Gesellschaft, in der die Religion moralische Grundsätze bestimmte, galt es als Gotteslästerung, getaufte Personen als Sachen einzustufen. 

Es gab jedoch die Cholops, die nach dem alten russischen Gesetzbuch „Russkaja Prawda“ den Status von Sklaven hatten. Cholop wurde man durch Gefangennahme im Krieg oder indem man sich selbst als Ware anbot - sei aus Angst, ansonsten an Hunger zu sterben, oder wegen der Schuldenlast zusammenzubrechen, oder um die Familie zu retten. Cholops zahlten keine Steuern, daher war es eine Option für die Ärmsten, für Gescheiterte aber auch für sehr faule Menschen.

1723 verbot Peter der Große die Cholops. Die verbliebenen wurden zu Leibeigenen und musste nun auch Steuern entrichten. Wenn wir also von „richtiger“ Sklaverei sprechen, können wir festhalten, dass diese in Russland 1723 verboten wurde. Leibeigenschaft war dagegen eine andere Sache.

  1. Leibeigenschaft war ein gesetzlich geregeltes System der persönlichen Abhängigkeit 

Um es einfach auszudrücken: Russische Bauern brauchten Schutz vor Plünderungen durch Nomaden, die in den alten Zeiten Russlands sehr häufig vorkamen. Andererseits brauchten die Fürsten und Bojaren Nahrung und Vorräte, die von den Bauern produziert wurden. Ursprünglich lautete die Abmachung Ware gegen Schutz und war daher ein System gegenseitiger Abhängigkeit.

Als sich das Moskauer Zarenreich etablierte, führte es Kriege und benötigte mehr Ressourcen. Um die Leibeigenen zu kontrollieren, beschränkte der Staat ihre Mobilität. Ab 1497 konnten sie nur zu bestimmten Jahreszeiten den Feudalherren wechseln. Ab 1649 war es ihnen gänzlich untersagt, ihr Land und ihre Feudalherren zu verlassen. Getaufte Leibeigene durften nicht gekauft oder verkauft werden. Ab dem späten 17. Jahrhundert fand dennoch Menschenhandel statt. 

  1. Leibeigene wurden nicht all ihrer Menschenrechte beraubt 

Es ist wahr, dass die Leibeigenen im 18. und 19. Jahrhundert in ihren Menschenrechten sehr eingeschränkt waren. Es gab jedoch nie ein Gesetz, welches Leibeigene als Eigentum definierte. Rechtlich wurden sie als Personen behandelt. 

Obwohl der Staat 1746 offiziell allen Russen außer dem Adel verbot, Leibeigene zu besitzen, fanden reiche Priester und Kaufleute Wege, Leibeigene auf den Namen eines Adligen registrieren zu lassen und sie de facto zu besitzen. 

Die Leibeigenen arbeiteten hauptsächlich für ihren Herren. Für sich selbst etwas zu erwirtschaften blieb gar keine Zeit.  Ab 1722 mussten auch alle männlichen Bauern Wahlsteuer zahlen. Im Jahr 1730 wurde allen Bauern (einschließlich staatseigener Leibeigener, Leibeigener im Besitz des Adels und freier Bauern) der Kauf von Immobilien in Städten verboten. Ab 1731 war es ihnen verboten, Verträge abzuschließen, ab 1734 durften sie keine Tuchfabriken betreiben und ab 1739 durften sie keine Leibeigenen für sich selbst kaufen. 

Dies spiegelte die Tatsache wider, dass die Bauern schnell unternehmerische Fähigkeiten entwickelten. Ab 1760 durften Feudalherren ihre Leibeigenen wegen Fehlverhaltens und Verbrechen nach Sibirien verbannen. Sie durften sie zudem körperlich züchtigen. 

  1. Der Staat schützte Leibeigene vor ihren Feudalherren  

Die Feudalherren vertraten ihre Leibeigenen in rechtlichen Angelegenheiten. Die Grundbesitzer erhielten die Bauernsteuern. Aber denjenigen, die das gesamte Geld ihrer Bauern einzogen, drohte nach 1742 der Verlust ihrer Leibeigenen.  

1721 verbot Peter der Große den Verkauf einzelner Leibeigener und die Trennung von Familien. 1771 verbot Katharina die Große Auktionen für den Verkauf von Leibeigenen. Die Zarin kümmerte sich um die Leibeigenen - aber nur, um im Kriegsfall gerüstet zu sein und weil Russland in Europa aufgrund der noch bestehenden Leibeigenschaft kritisch betrachtet wurde. 

Dennoch zeigte der Menschenhandel unter Katharina der Großen sein hässliches Gesicht: Kinder, insbesondere jungfräuliche Mädchen, wurden aus ihren Familien genommen und verkauft. Der Handel konnte nicht eingedämmt werden, obwohl das Verbot des Verkaufs von Leibeigenen ohne Land erst 1833 und dann 1842 erneuert wurde. 

Nach 1823 verbot der Staat den Grundbesitzern, Leibeigene an andere Stände (Kaufleute oder Priester) zu verleihen. Doch das Gesetz wurde nur halbherzig umgesetzt.  

  1. Leibeigenen ging es trotz allem meist besser als Sklaven  

Ein Gesetz vom 19. Januar 1769 stellte die Tatsache wieder her, dass alles Land, auf dem Leibeigene lebten, Eigentum der Grundbesitzer war. Aber es wäre ein Fehler zu sagen, dass Leibeigene nichts besaßen. Ihre privaten Werkzeuge, Häuser, Kleidung, Vieh und einfache Transportmittel gehörten ihnen, nicht ihren Feudalherren. 

Ein kroatischer Missionar, Juri Krischanitsch (1618-1683), schrieb, dass es Leibeigenen in Russland viel besser ging als in europäischen Ländern. Und im 18. und 19. Jahrhundert haben Historiker herausgefunden, dass russische Leibeigene eine 2,6-mal kürzere Arbeitszeit hatten als Sklaven in den USA. Das lag vor allem an der großen Zahl von Feiertagen, an denen in Russland jeder, einschließlich Leibeigener, frei hatte.

Selbst in den dunkelsten Zeiten der Herrschaft Katharinas konnten Leibeigene kollektive und individuelle Beschwerden bei der Zarin einreichen. Ab 1812 durften die Bauern erneut am Handel teilnehmen und Verträge abschließen. Im Jahr 1818 erhielten die Bauern, einschließlich der Leibeigenen, das Recht, Mühlen und Fabriken zu errichten. 1848 erhielten sie das Recht, Grundstücke und Immobilien zu besitzen (mit Zustimmung ihrer Feudalherren). 

Dennoch wurden sie ihres wichtigsten Schatzes beraubt: das Land, auf dem sie arbeiten durften. Selbst die Emanzipationsreform von 1861 erlaubten ihnen nicht sofort, Eigentümer zu werden. Nur die fleißigsten und talentiertesten konnten sich einen angemessenen Lebensunterhalt leisten. Sie unterschieden sich zur damaligen Zeit insofern nicht von den meisten Bauern in Europa.  

>>> Der lange Weg zur Freiheit: Die Abschaffung der Leibeigenschaft im zaristischen Russland

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