Schulterschluss alter Feinde
Während das Dritte Reich im Westen noch die Kräfte sammelte, um den „Lebensraum des deutschen Volkes“ zu erweitern, war Japan im Osten bereits voll und ganz damit beschäftigt, ein Groß-Ostasien unter japanischer Herrschaft zu schaffen. 1931 fielen die Japaner in die chinesische Mandschurei ein, wo bald der Marionettenstaat Mandschukuo errichtet wurde. 1937 brach ein Krieg zwischen dem japanischen Reich und China aus, der Chinas Souveränität in Frage stellte. Die Sowjetunion beobachtete die japanische Expansion alarmiert und glaubte zu Recht, dass sie früher oder später zur Bedrohung für den Fernen Osten der UdSSR werden würde. Daher schloss die sowjetische Führung Frieden mit ihren langjährigen Feinden - der Regierungspartei Kuomintang der Republik China und ihrem Führer Chiang Kai-shek.
Die Feindseligkeit zwischen den beiden Ländern resultierte aus der Unterstützung, die die UdSSR den Kommunisten von Mao Zedong im Kampf gegen die Kuomintang über viele Jahre hinweg gewährt hatte. Die japanische Aggression zwang jedoch beide Seiten, sich an einen Tisch zu setzen.
Operation Zet
Als Ergebnis wurde eine Einigung über die Lieferung sowjetischer Militärausrüstung nach China erzielt. Im Rahmen der sogenannten Operation Zet erhielten die Chinesen unter anderem mehr als 80 Panzer, 700 Kraftfahrzeuge, mehr als 600 Artillerie-Waffen und etwa 400 Maschinengewehre.
Flugzeuge waren der wichtigste Teil der Lieferungen. Chinas veraltete Flugzeuge waren von der moderneren Luftwaffe der kaiserlichen japanischen Armee fast umgehend vernichtet worden. Die Japaner hatten die Lufthoheit und bombardierten nahezu ungehindert chinesische Städte. Um dem entgegenzuwirken stellte die UdSSR der Kuomintang in der Anfangsphase des Krieges mehr als 300 I-15- und I-16-Kampfflugzeuge sowie etwa 150 SB- und TB-3-Bomber zur Verfügung.
Schützenhilfe für China
Auf Ersuchen der chinesischen Regierung kamen zudem sowjetische Militärflugbesatzungen heimlich ins Land. Erfahrene Piloten waren nicht nur an der Ausbildung lokaler Soldaten beteiligt, sondern beteiligten sich auch aktiv an den Kämpfen gegen die Japaner.
Nachdem die japanische Luftwaffe über Nanking, der damaligen chinesischen Hauptstadt, erhebliche Verluste erlitten hatte und präzise und verheerende Attacken auf ihre Flugplätze in der Nähe von Shanghai durchgeführt wurden, merkten die Japaner, dass sie nun einem gefährlicheren und besser vorbereiteten Feind gegenüber standen. Die Lässigkeit, die zuvor ihre Handlungen bestimmt hatte, wich der Vorsicht. Doch auch das half ihnen nicht beim sowjetischen Überraschungsangriff auf Taiwan, damals als Formosa bekannt.
Eine wagemutige Operation
Der Angriff auf den Flugplatz Matsuyama in der Nähe der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh war für den 23. Februar 1938 als „Geschenk“ an die Japaner zum 20. Jahrestag der Roten Armee geplant. Zu dieser Zeit befand sich dort einer der größten Luftwaffenstützpunkte der kaiserlichen japanischen Luftwaffe. Tokio war sich sicher, dass er außerhalb der Reichweite des Feindes lag.
28 SB-Bomber mit chinesischen Luftwaffenmarkierungen sollten von Hankou in der Nähe von Wuhan, fast 1.000 km von Taiwan entfernt, abheben. Eine zweite Gruppe von zwölf Flugzeugen mit gemischten sowjetisch-chinesischen Besatzungen sollte von Nanchang aus starten.
Der Angriff auf Matsuyama war für die damalige Zeit beispiellos. Die 28 Bomber ohne Begleitschutz brauchten sieben Stunden, um tausend Kilometer zu fliegen. 200 Kilometer davon ging es über Gewässer. Die Gruppe aus Nanchang musste wegen eines Navigationsfehlers zur Basis zurückkehren.
Um Treibstoff zu sparen und die Flugreichweite zu erhöhen, flog die Luftbombergruppe Hankou in einer Höhe von rund 5.000 Metern. Ohne Sauerstoffmasken waren die Flugbesatzungen während des gesamten Fluges an den Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit. Sauerstoffmangel machte ihnen zu schaffen. „Dein Herz rast, dein Kopf dreht sich und du fühlst dich schläfrig … Du hast nur Deinen Willen, auf den Du Dich verlassen kannst“, beschrieb einer der Piloten.
Überraschungsangriff
Als die sowjetischen Flugzeuge Taiwan erreichten, flogen sie nördlich der Insel und trafen Matsuyama, während sie scharf abdrehten und mit gedrosselten Motoren flogen. Sie warfen insgesamt 280 Bomben auf den Flugplatz. Vierzig feindliche Flugzeuge wurden zerstört. Die noch nicht zusammengebauten Maschinen in Containern wurden dabei nicht mitgezählt. Die Hangars und auch der Treibstoffvorrat für drei Jahre wurden ein Opfer der Flammen.
Die Japaner waren so überzeugt gewesen, dass ihr abgelegener Flugplatz völlig sicher war. Keines ihrer Kampfflugzeuge schaffte es überhaupt, aufzusteigen. Die Flugabwehr reagierte zu spät. Da hatte die sowjetische Luftlandegruppe bereits Kurs auf das Festland genommen.
Triumph der Amerikaner?
Die sowjetischen Flieger kehrten ohne Verluste nach Hankou zurück, um als Helden begrüßt zu werden.
Obwohl die Führung des Landes die Umstände des Angriffs kannte, waren die Details in der chinesischen Öffentlichkeit unbekannt. Über den Status der sowjetischen Piolten in China wussten die Chinesen nichts.
Der erfolgreiche Angriff wurde schließlich einer Gruppe internationaler (hauptsächlich amerikanischer) Freiwilliger unter der Leitung des amerikanischen Piloten Vincent Schmidt zugeschrieben. Die Gruppe, die offiziell als 14. Geschwader der chinesischen Luftwaffe bezeichnet wurde, war im Wesentlichen ein Vorläufer der bekannten Flying Tigers – der freiwilligen Kampfflugzeugeinheit, die im April 1941 aus den USA ins Land kommen sollte.
Der „Hong Kong Telegraph“ beschrieb am 25. Februar, wie der „unerschrockene Veteran vieler Kriege“, Vincent Schmidt, den „ersten gewagten Angriff auf japanischen Boden“ angeführt hatte, an dem zusätzlich auch chinesische und russische Flieger teilgenommen hatten.
Die sowjetische Seite schwieg über die wahren Ereignisse. Diese Entwicklung spielte ihr sogar in die Karten. Einige Tage später kam aber die Wahrheit ans Licht. Die Japaner berichteten offiziell, dass nur sowjetische SB-Bomber an dem Überfall auf Matsuyama beteiligt waren. Vincent Schmidt ärgerte sich und fühlte sich als Lügner diffamiert. Er reichte seinen Rücktritt ein und ging nach Hongkong. Am 1. März wurde sein 14. Geschwader aufgelöst.
Die sowjetischen Piloten kämpften weiter in China, bis sich die Beziehungen zwischen der Kuomintang und Maos Kommunisten 1940 erneut verschlechterten. Während der gesamten Kriegszeit sandte die UdSSR 3.665 Piloten und technische Spezialisten nach China, von denen 211 ihr Leben verloren.