Warum gab es im Zweiten Weltkrieg keinen Angriff der Japaner gegen die UdSSR?

Khomenko, Troshkin/Sputnik
Wenn die Japaner im Zweiten Weltkrieg gegen die UdSSR gekämpft hätten, wäre der Krieg vielleicht anders ausgegangen. Doch nach einer deutlichen Niederlage im Jahr 1939 hielten sich die Japaner zurück.

„Jeder Tag verlief gleich. Im Morgengrauen begannen die Japaner, uns zu attackieren und hörten erst bei Einbruch der Dunkelheit wieder auf”, erinnert sich Iwan Karpenko. Während der Kämpfe von Chalchin Gol zwischen Japan und der UdSSR führte er ein Maschinengewehr-Kommando an. „Wir haben keine Gefangenen gemacht. Jeden Tag haben wir eine Stunde lang die Toten eingesammelt und so machten es auch die Japaner.” 

Die Schlacht von Chalchin Gol war ungewöhnlich. Fünf Monate lang (Mai bis September 1939) gab es heftige Panzer- und Luftgefechte im Fernen Osten mit tausenden Toten. Doch eine offizielle Kriegserklärung hatte es nie gegeben. Dennoch war es eine schicksalhafte Auseinandersetzung, die den Verlauf des Zweiten Weltkrieges maßgeblich beeinflusst hat. Denn die Japaner entscheiden sich 1941 gegen einen Angriff auf die UdSSR. 

In Chalchin Gol hielt sich auch Georgi Schukow auf, der später die Rote Armee beim Sieg gegen die Deutschen anführte. Er wurde schon damals als brillanter Heeresführer gefeiert. 

Japanische Expansion

Japanische Soldaten kriechen vor zerstörten sowjetischen Panzern.

Bis 1939 erweiterten die Japaner ihr Reich und ihren Einflussbereich über ihre Hauptinseln hinaus. Sie besetzten Korea und gründeten den Marionettenstaat Mandschuko (Mandschurei) in Nordchina. Damit grenzte Japan nun direkt an die UdSSR und ihren Verbündeten, die Mongolei. 1936 verbündete sich Japan mit Nazideutschland und unterzeichnete den gegen die UdSSR gerichteten Antikominternpakt.

Die sowjetisch-japanischen Beziehungen verschlechterten sich zusehends. Schon 1938 trafen beide Parteien erstmals auf dem Schlachtfeld aufeinander – in der Nähe des Chasan-Sees an der sowjetisch-mandschurischen Grenze. Die UdSSR konnte sich durchsetzen. Ein Jahr später unternahm die Kwantung-Armee einen weiteren Versuch - diesmal einen Angriff auf die Mongolei.

Missverständnis oder Provokation?

Mongolen kämpfen am Chalchin Gol.

Der Chalchin Gol ist ein Fluss in der Mongolei, der laut den Japanern die Grenze zwischen der Mongolei und Mandschuko markieren sollte, während die Mongolei und ihr mächtiger Verbündeter, die UdSSR, darauf bestanden, dass die Grenze mehrere Meilen weiter östlich des Flusses lag. „1938 schickten die Japaner einen Kartografen in das Gebiet. Dieser erklärte nachher, die Grenze liege inmitten des Chalchin Gol”, berichtet der japanische Historiker Koto Kasakhara bei Lenta.ru. Er glaubt, dass die Ereignisse auf einem großen Missverständnis beruhten. Sowjetische und später russische Historiker halten ein kartografisches Missverständnis für ausgeschlossen. Das sei nur ein Vorwand für eine weitere Expansion Japans gewesen. „Tokio war verärgert darüber, dass die UdSSR China unterstützte [das gegen Japan kämpfte]. Daher entschlossen sich die Japaner zur Provokation. Sie wollten ihre Stärke demonstrieren und die Sowjetunion dazu bringen, die Unterstützung Chinas aufzugeben”, steht in der „Geschichte der internationalen Beziehungen” (herausgegeben von Anatoli Torkunow, Rektor des Moskauer staatlichen Instituts für internationale Beziehungen – Anmerkung der Redaktion). 

Kampf im Nirgendwo 

Ein sowjetischer Offizier hält eine Fahne auf dem Remisow-Hügel, dem Ort der schwersten Kämpfe.

Japanische Soldaten, die zusammen mit der mandschurischen Armee agierten, rückten im Mai 1939 in das von der Mongolei besetzte Gebiet vor und sahen sich fast keinem Widerstand ausgesetzt. Die Mongolen und vor allem die Sowjets brauchten Zeit, um ihre Streitkräfte zu konzentrieren und zurückzuschlagen. 

Der Ort, an dem die beiden Mächte aufeinandertreffen sollten, war weit entfernt von den sowjetischen Militärstützpunkten, so dass es anfangs Probleme mit Transport und Logistik gab. Die Kämpfe waren für das 57. Armeekorps der UdSSR kein großer Erfolg. Als der Konflikt ausbrach (Mai/Juni), beherrschte die japanische Luftwaffe den Himmel. Die sowjetischen Streitkräfte waren zu schlecht organisiert, um die Angriffe abzuwehren. „Chalchin Gol hat viele Schwachstellen in der Roten Armee offenbart. Die Soldaten waren unvorbereitet. Sie hatten kaum Nahkampferfahrung. Es war leicht, sie niederzukämpfen”, so der Historiker Waleri Wartanow.  

Japanische Piloten

Die Sowjets hatten zudem Schwierigkeiten, ihre Bewegungen zu koordinieren. Entscheidungen wurden im 6.000 Kilometer westlich gelegenen Moskau getroffen. 

Schukow tritt auf den Plan 

Josef Stalin setzte schließlich auf die richtigen Männer, um eine Wende einzuleiten: General Grigori Stern, der die gesamte Infrastruktur überwachte, um die Front mit Nachschub und Verstärkung zu versorgen (4.000 Fahrzeuge mussten 800 Kilometer zu den nächsten sowjetischen Stützpunkten fahren), Jakow Smuschkewitsch, Befehlshaber der sowjetischen Luftstreitkräfte, der die unerfahrenen Piloten bereit machte für einen erfolgreichen Luftkampf gegen die Japaner, und General Georgi Schukow, der das Oberkommando übernahm. 

Grigori Stern, Marschall der Mongolischen Volksrepublik Tschoibalsan Chorloogiin Tschoibalsan und Georgi Schukow am Kommandoposten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Schukow zum Nationalhelden geworden, weil er gegen die Nazis siegreich war. Doch auch an Chalchin Gol erinnerte er sich gut und gerne: „Ich liebe diese Operation immer noch.” Sein Ansatz war riskant und umstritten. Als zum Beispiel die Japaner am 2. Juli den Fluss überquerten und die Sowjets von einer Umzingelung bedroht waren, befahl Schukow einen raschen Angriff der 11. Panzerbrigade, ohne Unterstützung. Obwohl 70 Prozent der sowjetischen Panzer zerstört wurden, erfüllten sie ihre Aufgabe und drängten den Feind auf die andere Seite des Flusses zurück. 

Im August starteten die Sowjets eine Gegenoffensive. Zu diesem Zeitpunkt waren nach Angaben des Kriegshistorikers Alexander Schischow 57.000 sowjetische und 75.000 japanische Soldaten in die Schlacht verwickelt. Es wurde hart und erbarmungslos gekämpft. Die Japaner begingen lieber Selbstmord, statt dem Gegner in die Hände zu fallen. 

Doch Schukows Taktik und die Überlegenheit durch die Zahl der sowjetischen Panzer und Flugzeuge führten dazu, dass die japanische 6. Armee am 4. September besiegt und zur ursprünglichen Grenze zurückgedrängt werden konnte.

Georgi Schukow

Folgen

Am 15. September 1939 unterzeichneten die UdSSR und Japan ein Waffenstillstandsabkommen. Erst 1945, nach der Niederlage der Deutschen, sollten beide Länder erneut militärisch aufeinandertreffen. Interessanterweise hat Japan auch in den härtesten Zeiten des Zweiten Weltkriegs nie versucht, die UdSSR anzugreifen. „Die Ereignisse von Chalchin Gol hatten das Schwert des Samurai zwar gut geschärft und es schwebte über unseren Köpfen, doch es wäre nie herabgefallen”, ist Waleri Wartanow überzeugt. Die Niederlage in der Mongolei ernüchterte die japanische Regierung und sie suchte sich neue Ziele in Indochina und im Pazifischen Ozean. Dort standen sie schließlich einer anderen Supermacht gegenüber - den USA . Und wieder sollten die Japaner nicht siegreich sein. Doch das ist eine ganz andere Geschichte. 

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