Wie Nikolaus II. den Angriff eines japanischen Fanatikers überlebte

Nagasaki City Library Archives
Warum schlug der japanische Polizist Tsuda 1891 mit einem Säbel auf Russlands damaligen Thronfolger ein? War dies ein Grund für den russisch-japanischen Krieg 13 Jahre später?

Vom letzten russischen Zaren und seiner Familie ist physisch fast nichts mehr übrig. Nach ihrer brutalen Ermordung wurden ihre Leichname verbrannt. 1991 wurden in der Nähe von Jekaterinburg die mutmaßlichen sterblichen Überreste der Zarenfamilie entdeckt und nach St. Petersburg gebracht. Doch der genetische Beweis steht noch immer aus. Wo könnte man DNA der letzten Romanows herbekommen? 

Es gibt eine Möglichkeit: In der Eremitage existiert ein Hemd mit dem Blut Nikolaus II. Er trug es, als er Opfer eines blutigen Angriffs durch einen japanischen Polizisten wurde. 

Die Reise nach Osten 

Traditionell bereisten junge russische Adelige das Ausland. 1890 bis 1891 zog es den Großherzog Nikolaus Alexandrowitsch, den zukünftigen Zaren Nikolaus II., gen Osten. Es war die Idee seines Vaters, dass der Thronerbe nicht wie üblich Europa, sondern die östliche Welt bereisen sollte. Als letzte Station war Japan vorgesehen. Nikolaus wurde begleitet von Prinz Georg von Griechenland und Dänemark, einem entfernten Verwandten.  

Zukünftiger Zar Nikolaus II. in Nagasaki, 1891

Als er nach Ägypten, Indien, Singapur und China in Japan ankam, wurde er dort schon sehnsüchtig erwartet. Es war der erste Besuch eines ausländischen Thronfolgers in dem Land. Doch die Haltung der Japaner gegenüber Russland war zwiespältig. Ein halbes Jahr vor Nikolaus’ Ankunft, im November 1890, hatte es eine Attacke gegen die russische Botschaft gegeben.  Nach seiner Ankunft wurde Nikolaus jedoch die größtmögliche Ehre zuteil. Während seines Aufenthalts wurde er von Prinz Arisugawa Takehito begleitet, einem Mitglied der kaiserlichen Familie Japans. Doch all das konnte ihn nicht davor bewahren, selbst Opfer einer schrecklichen Attacke zu werden. 

Prinz Arisugawa Takehito

Der Vorfall in Ōtsu 

Es war ein Montagmorgen, der 28. April 1891, als die Prinzen Nikolaus, Georg und Arisugawa Takehito auf dem Weg nach Kyoto durch die Altstadt von kamen. Die Straßen waren schmal, so dass keine Pferdekutsche, sondern Rikschas die Gäste transportierten. Als die Prozession aus rund 50 Rikschas mit Nikolaus, seinen Freunden, dem Gefolge und japanischen Offiziellen durch Ōtsu kamen, griff einer der Polizisten, die die Entourage bewachten, den russischen Thronfolger plötzlich mit seinem Säbel an. Nikolaus wurde zweimal am Kopf getroffen, bevor er aus der Rikscha sprang und um sein Leben rannte. Prinz Georg schlug nach Tsuda, so der Name des Mannes, mit einem Bambusrohr (in anderen Versionen heißt es, er wehrte damit einen Schlag ab), doch er konnte ihn nicht stoppen. Erst zwei Rikschas gelang es, Tsuda aufzuhalten. 

Eine Straße in Ōtsu, in der der Angriff stattgefunden hat

Die Folgen  

Unmittelbar nach dem Vorfall wurden Nicholas Wunden an Ort und Stelle versorgt. Der Großherzog erlitt eine neun Zentimeter lange Wunde am Hinterkopf, die bis auf den Knochen reichte und eine ähnliche zehn Zentimeter lange Verletzung an der Stirn. Ein Stück Knochen war abgesplittert. Außerdem trug er Verletzungen an der Handfläche und am Ohr davon. Doch Nikolaus gab an, dass er sich gut fühle. Hastig wurde er zum Hafen von Kobe gebracht, wo die Wunden von russischen Ärzten an Bord des Kreuzers „Pamjat Asowa genäht wurden. 

Diese Verletzungen waren übrigens die Ursache für die heftigen Kopfschmerzen, die den künftigen Zaren den Rest seines Lebens plagen sollten. 

Japan nach der Attacke  

Die japanische Gesellschaft war schockiert und angewidert von dem, was Tsuda getan hatte. Aus Angst, dass der Vorfall die Beziehungen zwischen den beiden Ländern belasten könnte, reiste Kaiser Meiji selbst umgehend zum Großherzog. 

Als Zeichen des Respekts für den verwundeten russischen Thronfolger blieben am darauffolgenden Tag Theater, Handelsplätze und öffentliche Einrichtungen geschlossen. Kaiser Meiji äußerte die Hoffnung, dass Nikolaus nicht beleidigt sein und die Reise durch Japan fortsetzen würde. Doch in St. Petersburg entschied Zar Alexander III., dass der Großherzog umgehend die Heimreise antreten solle. Er verließ die „Pamjat Asowa nicht mehr. Am 6. Mai feierte er an Bord seinen 23. Geburtstag und reiste am nächsten Tag zurück nach Russland. 

Die Rikschafahrer Kitagaiichi Ititaro (l.) und Mukokhata Dzisaburo (r.), die Tsuda festnahmen

In Japan war man sehr betroffen über Tsudas Tat. Etwa 24 000 Beileidstelegramme bekam Nikolaus II. an Bord des Schiffs. Innenminister Saigō Tsugumichi und Außenminister Aoki Shūzō übernahmen die Verantwortung für die Sicherheitslücke und traten zurück.

Wer war Tsuda? Was hatte er vor? 

Es blieb weitgehend unklar, warum Tsuda Sanzō den Großherzog attackierte. Es wird angenommen, dass er sich als Samurai betrachtete und ein fanatischer Patriot war, der die Ära vor Meiji zurücksehnte, als Ausländer in Japan verhasst waren. Tsuda widerte die Ehrerbietung gegenüber den russischen Besuchern an und er war wohl zudem empört, dass Nikolaus beim Besuch eines buddhistischen Tempels seine Schuhe angelassen hatte. 

Zudem war er überzeugt, dass der Großherzog und Prinz Georg Spione seien, die eine Invasion Japans vorbereiteten. All das vernebelte Tsudas Verstand und führte zu dem Angriff auf den Thronfolger Russlands. 

Ein japanisches Gericht verurteilte Tsuda zu lebenslanger Zwangsarbeit. Die russische Regierung zeigte sich mit dieser Entscheidung vollauf zufrieden. Obwohl Nikolaus später in sein Tagebuch schrieb, er hege keinen Groll gegen die Japaner, weil „ein Eiferer etwas Ekelhaftes getan hat, fiel seinen Ministern auf, dass er gegenüber Japan vorsichtiger geworden war. Das Attentat wird häufig im Zusammenhang mit dem russisch-japanischen Krieg von 1904/1905 erwähnt. Einige Historiker glauben, dass es Niklaus nicht schwer fiel, seine Zustimmung zu geben, nachdem, was er zuvor in Japan erlebt hatte.

Tsuda Sanzō (1855-1891)

>>> Sechs russische Staatsführer, die die hinterhältigsten Attentate überlebten

>>> Vier Fakten über Russlands sieglosen Krieg gegen Japan

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!