Wie die Italiener den Kreml bauten und den Russen halfen, sich vom tatarischen Joch zu befreien

Castelvecchio in Verona (l) und der Moskauer Kreml (r)

Castelvecchio in Verona (l) und der Moskauer Kreml (r)

Legion Media
Die Russen konnten nicht einmal richtige Ziegel herstellen, bevor sie italienische Ingenieure beschäftigten. Die Italiener beherrschten Krieg und Architektur gleichermaßen gut. Sie wurden fürstlich entlohnt und trugen zum Glanz und Ruhm des Moskauer Fürstentums bei.

Die wichtigste Waffe des Großfürsten Iwan III. von Moskau waren nicht seine Soldaten oder taktisches Geschick, sondern italienische Kanonen. In der historischen Auseinandersetzung mit den Tataren, angeführt von Ahmed, Khan der Großen Horde, am Fluss Ugra im Jahr 1480 setzte Iwans Armee Kanonen des italienischen Ingenieurs Aristoteles Fioravanti (ca. 1415 - 1485) ein, die die tatarische Kavallerie buchstäblich in Stücke hätte reißen können. Daher ließ sich Ahmed Khans Armee gar nicht auf einen heftigen Kampf ein, sondern zog sich in die Steppe zurück.

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Fürstliche Gehälter 

Aristoteles Fioravanti

Rodolfo ‚Aristoteles‘ Fioravanti kam 1475 nach Russland, als er bereits etwa 60 Jahre alt war. Er spezialisierte sich auf die Restaurierung und die Umsetzung von Glocken- und Befestigungstürmen sowie den Bau von Brücken.

1474 wurde Aristoteles in Europa von Semjon Tolbusin, Gesandter des Großfürsten von Moskau, für zehn Moskauer Rubel pro Monat ins Land geholt. Zu damaligen Zeiten hätte ein Leibeigener für einen Moskauer Rubel seine ganze Familie freikaufen können und dazu Haus und Land. 

Aristoteles‘ Salär war wahrscheinlich das höchste im Moskauer Staat. Doch Iwan brauchte ihn, um die Mariä-Entschlafens-Kathedrale wieder aufzubauen, das bedeutendste Gotteshaus des Moskauer Fürstentums, das bei einem Erdbeben teilweise eingestürzt war. 

Aristoteles ließ nach seiner Ankunft im Jahr 1475 den Rest der zerfallenen Kathedrale abreißen, konstruierte einen neuen Ziegelofen und erfand eine neue Mischung für Ziegelsteine. So entstand in Moskau die erste Ziegelei nach italienischem Vorbild. Aristoteles‘ Technik machte es möglich, die 35 Meter hohe Kathedrale mit fünf Kuppeln in nur zwei Jahren fertigzustellen (die Verzierungen brauchten weitere zwei Jahre).

Facettenpalast (l) und Mariä-Entschlafens-Kathedrale (r)

Aber Aristoteles war nicht der einzige italienische Architekt in Moskau. Vielleicht noch wichtiger ist Pietro Solari (um 1445 - 1493). Er kam 1490 aus Mailand nach Moskau und entwarf den Facettenpalast im Moskauer Kreml sowie sechs Türme des heutigen Moskauer Kremls, darunter den Uhrenturm, den Spasskaja-Turm, der zum charakteristischen Symbol des Kremls wurde. Andere Italiener, insbesondere Antonio Gislardi und Marco Ruffo, arbeiteten ebenfalls am Bau der Kremlmauern und -türme. Daher erinnern die Kremlmauern an Italien. 

Dies war jedoch nicht das einzige, womit sich Italiener im 15. und 16. Jahrhundert in Moskau beschäftigten. In fast jeder europäischen Armee dieser Zeit waren italienische Ingenieure begehrte Waffen- und Sprengmeister, schrieb der Historiker Mario Corti in einem Buch über Italiener im Dienste des russischen Militärs.  

Schweres Geschütz in Russland 

Gleichzeitig mit dem Bau der Mariä-Entschlafens-Kathedrale innerhalb der Mauern des Moskauer Kremls organisierte Aristoteles Fioravanti eine Waffenfabrik, in der Schießpulver und Waffen hergestellt wurden. 16 Falken - leichte Kanonen - waren die erste Produktion. Leicht zu handhaben und zu transportieren, schnell nachzuladen, waren sie im späten 15. Jahrhundert tödlich.

Iwan brachte Aristoteles in den Krieg gegen die Republik Nowgorod. 1479 kontrollierte Fioravanti persönlich eine Artillerieeinheit, die die Stadt unaufhörlich bombardierte und den Feind zur  Kapitulation zwang: „Die Kanonen feuerten pausenlos. Aristoteles war ein Meister seines Fachs“, heißt es in einer russischen Chronik.

Fioravanti brachte den russischen Soldaten den richtigen Zeitpunkt zum Abfeuern einer Kanone bei, erklärte ihnen, wie sie ein Dauerfeuer organisieren und bildetete sie im Umgang mit verschiedenen Schusswaffen aus, so Mario Corti. In der Schlacht von Ugra war Fioravanti die treibende Kraft. Das letzte Mal, dass er erwähnt wird, war 1485. Er lebte zwar nur zehn Jahre in Russland, hinterließ aber ein großes Erbe.

1488, wahrscheinlich nach dem Tode von Aristoteles, schuf ein anderer italienischer Büchsenmacher namens Paolo De Bossis eine „große Kanone“ (wie eine russische Chronik es ausdrückt), die „Pawlin“ (auf Russisch „Pfau“, ähnlich ausgesprochen wie Paolos Name).

Sie war noch 1563 im Einsatz, während der Belagerung von Polozk durch Iwan den Schrecklichen. Ein anderer italienischer Büchsenmacher namens Jacobo kam 1490 nach Moskau und konstruierte mindestens 15 kleine Kanonen. Wir können definitiv sagen, dass im späten 15./frühen 16. Jahrhundert Italiener die russische Waffenproduktion dominierten. Aber sie blieben noch länger und halfen sogar Iwan dem Schrecklichen, das Kasaner Khanat zu besiegen.

Die Italiener gegen die Tataren

Der Sohn von Iwan III., Großfürst Wassili III. von Moskau, ließ sich ebenfalls von italienischen Architekten und Büchsenmachern unterstützen. Während seiner Regierungszeit wurde die prächtige Himmelfahrtskirche in Kolomenskoje von Pietro Annibale entworfen und gebaut und ebenso der Schutzwall um die Siedlung Kitai-Gorod in Moskau. 

Iwan der Schreckliche, der erste Moskauer Zar, setzte im Kampf gegen das Kasaner Khanat auf die Erfahrung der italienischen Ingenieure. Sie werden in der Kasaner Chronik, die zwischen 1560 und 1565 erstellt wurde und die einzige Quelle ist, die die Geschichte von Iwans Eroberung Kasans erzählt, erwähnt.

1552 versuchte Iwan der Schreckliche bereits zum vierten Mal, Kasan zu erobern. Diesmal brachte er die Italiener mit, die die Stadtmauer sprengen sollten. Die Chronik besagt, dass der Zar persönlich mit den Ingenieuren gesprochen und Ihnen erklärt habe, dass die Mauern des Kasaner Kremls sehr dick waren. Doch das stellte für die Italiener keine Herausforderung dar. Sie versprachen, die Mauern innerhalb weniger Tage niederzureißen. „Das muss passieren. Nur das oder das Aushungern der Verteidiger wird es ermöglichen, diese Stadt zu erobern“, heißt es in einer Chronik.  

Himmelfahrtskirche in Kolomenskoje

Die Italiener bauten zunächst vier Belagerungstürme, die höher als die Stadtmauer waren und von Bogenschützen benutzt wurden, um die Garnison des Kasaner Kremls anzugreifen. Dann errichteten sie mehrere Brücken über den Kremlgraben und ließen Tunnel bis zum Fundament der Mauern graben. Dort brachten sie Sprengstoff an. 

Dieser wurde gezündet, die Mauern brachen zusammen und Iwans Infanterie, die den Graben über die Brücken überqueren konnte, fiel in die Stadt ein. Iwan hatte seit 1547 versucht, Kasan zu erobern. Durch die Hilfe der Italiener ist es ihm schließlich gelungen. 

Nach der Epoche von Iwan dem Schrecklichen kamen die Italiener nicht mehr nach Moskau, weil die russischen Zaren aufgrund einer wirtschaftlichen und militärischen Krise es sich nicht leisten konnten, den Ingenieuren die von ihnen geforderten Gehälter zu zahlen. Ein Jahrhundert später stellte Peter der Große jedoch wieder italienische Schiffbauer und Waffenhersteller ein, um das neue Russland zu errichten. 

Die Mariä-Entschlafens-Kathedrale, die Himmelfahrtskirche und vor allem der Moskauer Kreml sind bis heute intakt und werden genutzt. 

Und seit 500 Jahren wissen auch die Russen, wie man gute Ziegel herstellt.

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