Großer Einfluss: Was die Russen von den Mongolen und Tataren übernommen haben

Timur Alpatow/Аmediа; Mars Media Entertainment, 2018
Der Schlachtruf „Hurra!“, das Wort Bogatyr, Kavallerie, Kleidung oder das Regierungssystem: Die mongolisch-tatarische Herrschaft in Russland hat Spuren hinterlassen, denen wir bis heute immer wieder begegnen.

Im 13. Jahrhundert wurden die verschiedenen russischen Fürstentümer von Dschingis Khan (1165-1227), dem Mongolenführer, und dessen Nachfolgern unterworfen.  

Nicht lange nach der Eroberung Russlands zerfiel das mongolische Reich in getrennte Khanate.  Eines davon, die Goldene Horde, gegründet von Dschötschi (1184-1227), dem ältesten Sohn Dschingis Khans, übernahm die Kontrolle über die russischen Länder. Die russischen Fürsten waren gezwungen, in die Hauptstadt der Goldenen Horde in Sarai (nahe dem heutigen Wolgograd) zu reisen, und Jarliks, Befehle und Herrschaftserlaubnisse entgegenzunehmen. Im heutigen Russisch bedeutet das Wort so viel wie Etikett. Ein Jarlik gab dem Fürsten das Recht, sein eigenes Land zu regieren. 

Die Russen erkannten, dass sie sich vom mongolischen Joch nur befreien konnten, wenn sie die Taktiken der Unterdrücker anwendeten, sowohl in der Verwaltung als auch militärisch. Schließlich besiegten die russischen Fürsten 1380 in der Schlacht von Kulikow zum ersten Mal eine Armee der Goldenen Horde.

Ein Jahrhundert später verteidigte Großfürst Iwan III. von Moskau die Integrität des Staates, den er geschaffen hatte, indem er den Mongolen beim sogenannten Stehen an der Ugra gegenübertrat. Danach war die Abhängigkeit der russischen Länder von den Überresten der Horde nur noch weitgehend formal.

>>> „Stehen an der Ugra“: Wie Russland seine Unabhängigkeit erwarb

Organisation des Militärs, das Wort Bogatyr, Schlachtrufe 

Die russischen Infanterietrupps waren stark, aber es gab nur wenige schwer bewaffnete Kombattanten. Obwohl sie in der Lage waren, schnelle Überfälle abzuwehren und Städte vor sporadischen Angriffen zu schützen, waren die mit Spießen und Äxten bewaffneten russischen Streitkräfte im freien Feld überfordert. Dort trafen sie auf die gut organisierte Armee der Mongolen. Doch das war nicht der Hauptgrund für ihre Niederlage.

Die Russen verloren gegen die Mongolen, weil sie sich nicht einig waren. Die Fürsten und ihre Leibwache (Druschina) waren nicht nur geografisch verstreut und wussten nicht, wie sie sich schnell austauschen konnten. Soziale und militärische Probleme im alten Russland wurden in der Wetsche, einer Volksversammlung, gelöst. Für rasche Maßnahmen war diese Methode jedoch zu langsam und ineffektiv. In der ersten großen Schlacht gegen die Mongolen an der Kalka konnten sich die russischen Fürsten nicht auf eine koordinierte Strategie einigen. Zudem war es russische Tradition, dass ein Fürst seine Truppen in die Schlacht führte.

Die Mongolen gingen anders vor. Die Khans selbst beteiligten sich in der Regel nicht an Kämpfen. Die Heeresführer koordinierten die Streitkräfte mit Flaggen, Rauch- und Lichtsignalen sowie Trompeten und Trommeln. Im Falle eines Rückschlags waren es die Generäle, nicht die einfachen Soldaten, die die Verantwortung gegenüber den Khans trugen.

Die Russen mussten also von den Mongolen lernen, beginnend mit den Grundlagen. Der russische Schlachtruf „Hurra“ zum Beispiel stammt nach einer Theorie entweder vom mongolischen Uraghaa (vorwärts) oder vom tatarischen Ura (Angriff) ab, während das türkische Wort Bogatyr (Held) „mutig“ bedeutet (vor der mongolischen Invasion wurden mittelalterliche Recken in Russland Horobor oder Udalets genannt).

Beim Sieg der Russen in der Schlacht von Kulikow wurden die von Mamai angeführten Mongolen durch ein eindeutiges Kommando und schwere Kavallerie im Hintergrund besiegt. Diese stand nicht zufällig da und attackierte die Mongolen. Übrigens wurden auch die russischen Kavallerie-Kampftechniken von den Invasoren entlehnt.

Kavallerie 

Vor der mongolischen Herrschaft waren Pferde Luxus. Im 13. bis 15. Jahrhundert tauchten in den russischen Ländern professionell ausgebildete Kavalleristen auf. Sie rekrutierten sich aus der Druschina und stammten aus adeligen und wohlhabenden Familien. Nur diese konnten sich die Pferde und die besondere Kleidung leisten, die für den Status eines Kavalleristen erforderlich waren.

Bekleidung 

Metropolit Filipp und Iwan der Schreckliche

Vor der mongolischen Eroberung trugen Männer aus den verschiedenen Stämmen, die in den russischen Ländern lebten, lockere Hosen und ein Hemd, das in der Taille von einem Stoff- oder Ledergürtel gehalten wurde. Darüber trugen sie einen Umhang oder Überwurf, der mit Schnüren zusammengebunden war. Der Status wurde durch die Gürteldekoration, den Stoff des Umhangs und die Farbe demonstriert.

Für den Ritt hoch zu Ross, insbesondere im Kampf, waren solche Kleidungsstücke nicht besonders geeignet. Also übernahm man den Kaftan der Mongolen. Dieser war sehr fest, bestand aus zwei Schichten und wurde mit Haken geschlossen.  

Der russische Fürst Alexander Newski vor Batu Khan

Viele andere Kleidungsstücke wurden von den tatarischen Stämmen übernommen, die den Mongolen untergeordnet waren. Die tatarischen Namen für die neuen Kleider der Russen sind die Wurzel vieler russischer Wörter: Kolpak (Mütze), Schtany (Hose), Baschmak (Schuh) und viele mehr. 

Haltestationen 

Um ihr gigantisches Territorium zu verwalten, schuf Dschingis Khan (oder seine Nachkommen) ein Netzwerk von Stationen, in denen Boten und Kuriere die Nacht verbringen und ein frisches Pferd bekommen konnten. Nach der Unterwerfung der russischen Länder wurden im gesamten Gebiet Bereitstellungsposten eingerichtet. Die örtliche Bevölkerung war verpflichtet, die Stationen zu betreiben, Wagen zu reparieren und frische Pferde bereitzustellen.

Diese Stationen gab es in Russland in verschiedenen Formen bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts. Das von den Mongolen eingeführte System trug auch zur Lösung des Problems der Regierung eines Staates von solch enormer Größe bei und wurde zu einer der Säulen der russischen Regierungsform.

Verwaltung 

Die mongolisch-tatarische Invasion setzte der oben erwähnten Wetsche ein Ende. Es diente den Interessen der Mongolen, dass Russland weiterhin alleine von Fürsten, die im Wesentlichen Marionetten der Mongolen waren, regiert wurde.

Auch Verwaltungsgewohnheiten wurden von den Mongolen übernommen. So gab es offizielle Dokumente, die das Recht der Fürsten und Klöster bestätigen, über das Land und die Bauern zu herrschen. Das Währungs- und Zollsystem wurde kopiert, das Wort Dengi (Geld) kommt vom türkischen Tenge (Münze). Die Erbherrschaft und die Dienstpflicht für die Bojaren (Adelige) gegenüber den Fürsten und zentralisiertes Inventar für die Soldaten und Militärführer sowie die Organisation ziviler und militärischer Verwaltungen: all das hat Spuren in Russland hinterlassen.

Kurz gesagt, der Einfluss mongolisch-tatarischer Praktiken auf das russische Machtsystem war umfassend.

>>> Wie wurde aus einem tatarischen Khan der Großfürst von Moskau?

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!