Wie wurde aus einem tatarischen Khan der Großfürst von Moskau?

1480 endeten das Tartarenjoch und die Herrschaft der Goldenen Horde über die Rus. 90 Jahre später bestieg jedoch erneut ein Tartare den Zarenthron? Wie konnte es dazu kommen?

Iwan der Schreckliche, der erste russische Zar, ernannte einst Simeon Bekbulatowitsch, einen tatarischen Adeligen, zum Großfürsten von ganz Russland. Ein tartarischer Khan auf dem Moskauer Thron? Wie konnte das sein, nach all den Jahren unter dem Joch der Goldenen Horde? Ein Jahr lang regierte Bekbulatowitsch, bevor Iwan der Schreckliche die Regierungsgeschäfte wieder übernahm. Was sind die Hintergründe? 

Der Ersatz-Zar   

Simeon Bekbulatowitsch

Sajin Bulat, ein Nachkomme von Dschingis Khans ältestem Sohn, war der Neffe von Fürstin Kotschenej, die Iwan der Schreckliche zur zweiten Frau gewählt hatte. Sie bekam nach ihrer Taufe den Namen Maria. 1561 begleitete Sajin Bulat die Fürstin nach Moskau.

Seit 1566 war er Khan von Kassimow und führte das Regiment der Moskauer Zarenarmee an. Er galt als zweitmächtigster Mann im Land. Wie war es für einen tartarischen Adeligen möglich, so bedeutend zu werden? 

1573 wurde Sajin Bulat getauft und nahm den Namen Simeon Bekbulatowitsch an. 1575 wurde er von Iwan IV. zum Großfürst von Russland ernannt, während der selbst sich nun Fürst Iwan Moskowskij nannte. Iwan lebte weiterhin in Moskau, jedoch nicht mehr im Kreml.   

Iwan der Schreckliche

Der Historiker Wolodichin schreibt, dass „keine Münzen mit Simeons Namen geprägt“ wurden. Zudem „verhandelten ausländische Diplomaten nicht mit ihm und er wurde nicht ins Militärregister eingetragen. Die Schatzkammer und die Insignien blieben Iwan IV. vorbehalten und unter dessen Kontrolle“, so Wolodichin. 

Iwan, so heißt es, habe sich zurückgezogen, weil einige der russischen Prinzen bei Hofe intrigierten und er deren Macht beschneiden wollte. Dies habe er einem Übersetzer der „Muscovy Company“, einer englischen Handelsgesellschaft für den Handel mit Russland, verraten. Er wollte aus dem Hintergrund heraus beobachten und agieren und konnte zudem jederzeit auf den Thron zurückkehren. Obwohl Simeon weder gekrönt noch gewählt worden war, respektierten ihn die Bojaren wegen seiner ansprechenden und respektablen Erscheinung. Auch galt seine Dynastie, die der Dschingisiden, als edler als die Rurikiden-Dynastie

Warum wurde Simeon Großfürst? 

„Die Baskaken“ von Sergei Iwanow. Die Baskaken waren Zivilbeamte der Goldenen Horde, die Steuern von Russen einnahmen.

Kurz nachdem Simeon Großfürst geworden war, trat Iwan mit einer Bitte an ihn heran. Er sprach Simeon als „Herrscher“ an und unterzeichnete demütig mit Iwan Wassilijewitsch. Iwan bat darum, die Macht der Bojaren zu beschneiden. „Befreie uns von denen, die wir nicht wollen“, schrieb er. 

Schon zuvor hatte er den verhassten Bojaren mit der Gründung von Opritschina einen schweren Schlag zugeführt, da er sie ihrer Ländereien beraubt hatte.  

Nun nahm er ihnen durch Simeon auch alle Privilegien. Und nicht nur ihnen, sondern auch allen Städten und Klöstern. Simeon war dennoch nur eine Marionette Iwans. Ohne seine Erlaubnis war dieser handlungsunfähig. Iwan war nun in der Lage, ohne Zustimmung des Bojaren alle seine Pläne durchzusetzen. Auch der Historiker Daniel Ostrowski erklärte die Berufung Simeons zum Großfürsten durch Iwan damit, dass dieser freier in seinen Handlungen sein wollte.  

Wie es endete  

Nachdem Iwan zurück auf dem Thron war, versprach er Simeon die Städte Twer und Torschok als Belohnung. Simeon wurde Großfürst von Twer, einer Festung an der westlichen Grenze des Moskauer Großfürstentums. Iwan brauchte dort einen militärischen Führer, denn der Livländische Krieg warf seine Schatten voraus. 

Nach Iwans Tod gab Simeon all seine Titel und Privilegien auf. Es heißt, er sei geblendet worden, um keine Ansprüche auf den Thron mehr zu erheben, doch das ist höchstwahrscheinlich nur eine Legende. 

Er ging erst 1613 zurück in die Stadt, in der er einst herrschte, und wohnte der Krönung des ersten Zaren der Romanow-Dynastie, Michail I., bei. 

Simeon starb 1616 in Moskau und wurde dort im Kloster Simonow neben seiner Gemahlin beigesetzt. 

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