44 Jahre vor „Crew Dragon“: Die unfreiwillige Wasserlandung eines Sowjetraumschiffs

Nach der Wasserlandung der SpaceX-Raumkapsel im Golf von Mexiko / Rettung des Raumschiffs Sojus-23, das auf dem Tengissee in Kasachstan landete

Nach der Wasserlandung der SpaceX-Raumkapsel im Golf von Mexiko / Rettung des Raumschiffs Sojus-23, das auf dem Tengissee in Kasachstan landete

Reuters, archive pjoto
Am 2. August landete die bemannte Raumkapsel „Crew Dragon“ erfolgreich im Atlantik. Die letzte Wasserlandung, wenn auch unfreiwillig, machte 44 Jahre zuvor das sowjetische Raumschiff Sojus-23.

Der Flug und das gescheiterte Andockmanöver 

Am 14. Oktober 1976 startete das bemannte Raumschiff Sojus-23 vom sowjetischen Weltraumbahnhof Baikonur (jetzt in Kasachstan gelegen und an Russland vermietet). Die Besatzung bestand aus Kommandant Wjatscheslaw Sudow und Flugingenieur Waleri Roschdestwenski. Der Auftrag lautete, an der Raumstation Saljut-5 anzudocken und wissenschaftliche und technische Arbeiten durchzuführen.

In seinem Buch über Raumfahrtkatastrophen, die als Verschlusssache gehandhabt wurden, schreibt Michail Rebrow, dass von Bord der Saljut-5 ein unangenehmer Geruch und Fehlfunktionen gemeldet worden waren. Die Sojus-23-Besatzung sollte eine umfassende Inspektion der Station durchführen und diese Probleme beheben.  

14. Oktober 1976. Nachtstart der Trägerrakete mit dem Raumschiff Sojus-23 im Kosmodrom Baikonur.

Der Flug zur Sojus-5 dauerte zwei Tage, der Treibstoff hätte für höchstens drei Tage gereicht. Am 16. Oktober traten während eines Andockversuchs Probleme auf - das automatische Igla-Annäherungssystem funktionierte nicht richtig. Die programmierten Daten zum Raumschiff und der Station passten nicht zusammen. 

Es war also unmöglich, Sojus-23 gefahrlos an die Station anzudocken, und der Kommandant beschloss, zur Erde zurückzukehren.

Wasserlandung und neue Probleme 

Die Landung musste schnell erfolgen, solange noch genügend Treibstoff vorhanden war. Die Bodenkontrolle bestimmte als Landeplatz die Stadt Arqaliq in Kasachstan. Als das Raumschiff über dem südlichen Afrika mit dem Sinkflug begann, schickte das Bodenkontrollzentrum Hubschrauber mit Rettungskräften in das für die Landung vorgesehene Gebiet. 

Doch wegen eines Schneesturms landete Sojus-23 statt im ausgewiesenen Landebereich bei Temperaturen von –20 Grad zwei Kilometer vom Ufer entfernt auf dem Tengissee in Kasachstan.

Wegen des schlechten Wetters konnten die Hubschrauber das Raumschiff nicht sofort erkennen. Einer der Helikopter hatte keine aufblasbaren Beiboote an Bord, sie waren bei der hastigen Abreise vergessen worden. Der andere war sowohl mit Booten als auch mit Neoprenanzügen ausgestattet und die Retter eilten zum See. 

Besatzungsmitglieder des Raumschiffs Sojus-23. Wjatscheslaw Sudow und Walerij Roschdestwenski auf dem Roten Platz

Zwei Boote blieben im Eis des gefrorenen Sees stecken. Die externen Anschlüsse der Raumkapsel kamen mit Salzwasser in Kontakt. Das führte dazu, dass der Reservefallschirm der Kapsel automatisch aktiviert wurde und die Kapsel umkippte. Die Ausstiegsluke befand sich nun unter Wasser. 

„Zwei Stunden nach dem Auslösen des Reservefallschirms zeigte die Besatzung die ersten Symptome von Sauerstoffmangel. Kohlendioxid hatte sich angesammelt, die Kosmonauten drohten zu ersticken. Sudow und Roschdestwenski, die in permanentem Austausch mit den Rettungskräften standen, atmeten schwer. Durch das Mikrofon hörte man sie keuchen. Ihre Stimmen waren kaum zu verstehen“, steht in der Web-Enzyklopädie von Aerospace Equipment Testers, auf der eines der Mitglieder der Rettungsaktion, der Ausbilder Josef Dawidow zu Wort kommt.

Eine geglückte Rettung 

Es hörte bald auf zu schneien, doch es wurde noch etwas kälter. Die Temperatur sank auf -22 ° Grad. Die Retter und Hubschrauberbesatzungen entzündeten ein Feuer, um sich warm zu halten. Dann berichtete Roschdestwenski mit krächzender Stimme, dass Sudow das Bewusstsein verloren habe.

Nur ein einziges Boot erreichte die Sojus-23. An Bord war der Kommandeur des Mi-6-Hubschraubers, Kapitän Nikolai Tschernawski. Doch er litt selbst unter der eisigen Kälte und war wegen der Position der Kapsel nicht in der Lage, den Kosmonauten zu helfen. 

Kurz vor Tagesanbruch erreichte ein weiterer Rettungshubschrauber die Szenerie. Er war aus Karaganda gekommen. Das Kommando hatte Rettungshubschrauberpilot Lt.-Col. Nikolai Kondratjew. An Bord befand sich ebenfalls der TASS-Fotograf Albert Puschkarew. 

Es war dieser Hubschrauber, dem es nach Anweisungen von Dawidow gelang, ein Kabel an der Kapsel zu befestigen und sie an Land zu ziehen.  

„Dann erschien durch die Luke das blasse, erschöpfte Gesicht von Wjatscheslaw Sudow. Er lächelte. Man half ihm an Land und da wurde Roschdestwenski evakuiert. Er war schon immer ein blasser Typ, doch nun war er weiß wie eine Wand und hatte schwarze Ränder unter den Augen. Beide zitterten vor Kälte und klapperten mit den Zähnen“, erinnert sich Dawidow. 

Wjatscheslaw Sudow und Walerij Roschdestwenski nach der Landung auf der Oberfläche des Tengissees in Kasachstan

Dawidow erzählt, dass in diesem Moment der TASS-Fotograf Puschkarew auf die Kapsel zulief. Und obwohl es höchste Zeit war, die Kosmonauten zur Behandlung ins Krankenhaus zu bringen, fragte er, ob man ihnen für ein Foto aufhelfen könne. Außerdem sollten sie lächeln, damit sie aussahen wie „Kosmonauten statt Versager“.  

Die Rettungsaktion hatte zwölf Stunden gedauert. Weder Sudow noch Roschdestwenski reisten je wieder ins All.  

Walery Roschdestwenski diente bis 1992 im Kosmonauten-Trainingszentrum. Er war ein begeisterter Ruderer. Bei seiner Pensionierung hatte er den Rang eines Oberst inne. Er starb 2011. 

Wjatscheslaw Sudow war bis 1991 in verschiedenen Funktionen im Bodenkontrollzentrum tätig. Zugleich war er Moderator der TV-Show „Znai i Umei“ [Know-how] im Zentralfernsehen. Er ist jetzt 78 Jahre alt und im Ruhestand.

Wjatscheslaw Sudow (r.) und Walerij Roschdestwenski im Juri-Gagarin-Kosmonautentrainingszentrum

Im Jahr 2019 sagte Sudow in einem Interview mit einer Nachrichtenseite aus Nischni Nowgorod, er sei erfreut, dass die Ära des Weltraumrennens vorbei sei.

„Wir arbeiten gemeinsam an der Internationalen Raumstation, an deren Entwicklung 14 Länder beteiligt waren. Dies ist ein positiver Schritt, um sicherzustellen, dass die Menschheit in Frieden lebt. Wenn die Menschen dort sind, bekommen sie von den negativen Ereignissen auf der Erde nichts mit“, so Sudow. 

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