Kulturelle Entspannungspolitik: Als Bob Dylan mit Tolstois Fahrrad fuhr

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Der große amerikanische Musiker besuchte Russland zum ersten Mal im Jahr 1985 und trat in Moskau auf. Anschließend hatte er Gelegenheit, durch die Sowjetunion zu reisen. Einige seiner Lieder sind von den Werken der großen russischen Schriftsteller inspiriert.

Propaganda des Kalten Krieges und dessen Einfluss auf Dylan

Wie so viele 10-jährige amerikanische Kinder im Jahr 1951 war auch Bob Dylan ein Opfer der Propaganda des Kalten Krieges, wenn es um die Sowjetunion ging. In seiner Autobiographie mit dem Titel „Chronicles“ schrieb der große Barde darüber, wie Grundschulkinder in amerikanischen Kleinstädten lernten, die Russen als Bedrohung zu sehen.

„Uns wurde beigebracht, uns unter unseren Schreibtischen zu verstecken und in Deckung zu gehen, wenn die Sirenen ertönten, da die Russen uns mit Bomben angreifen könnten“, schrieb er. „Uns wurde gesagt, dass die Russen jederzeit aus Flugzeugen über unserer Stadt abspringen könnten. Es waren die gleichen Russen, mit denen meine Onkel erst einige Jahre zuvor gekämpft hatten. Jetzt waren sie zu Monstern geworden, die kamen, um uns die Kehlen zu durchschneiden und uns zu verbrennen.“ Dylan schien diesen Überzeugungen skeptisch gegenüberzustehen und nannte sie „eigenartig“ und eine „seltsame Fantasie“. 

Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges hatte jede angesehene Bibliothek oder private Büchersammlung, die ihren Namen verdiente, Titel von Russlands großen Autoren im Bestand. Ein Ausblick auf die 1960er Jahre: Wir sehen Dylan, der sich als Künstler in New York durchkämpft, in einem Raum voller Bücher mit Romanen von Gogol, Balzac, Maupassant, Dickens und Hugo.  

„Das russische Zeug im Regal hatte eine besonders dunkle Präsenz“, schrieb Dylan. „Es gab politische Gedichte von Puschkin, der als revolutionär galt.“ Der amerikanische Sänger entdeckte auch die Werke von Leo Tolstoi und Fjodor Dostojewski. 

„Auch Dostojewski hatte ein düsteres und hartes Leben geführt“, schrieb Dylan und erwähnte das Exil des russischen Schriftstellers in Sibirien, weil er im 19. Jahrhundert sozialistische Propaganda geschrieben hatte. „Er wurde schließlich begnadigt und schrieb Geschichten, um seine Gläubiger zu bedienen. Genau wie ich in den frühen 70ern, als ich meine Alben veröffentlichte, um meine Gläubiger zu bedienen.“  

Dylans 1975er Album „Blood on the Tracks“ wurde von einem anderen großen russischen Schriftsteller inspiriert. „Irgendwann würde ich ein ganzes Album aufnehmen, basierend auf (Anton) Tschechows Kurzgeschichten. Kritiker hielten es für autobiografisch, das war in Ordnung, schrieb er in seiner Autobiografie.

Reise in die Sowjetunion 1985: Zurück zu den Wurzeln 

Während er über Tolstoi schrieb, erwähnte Dylan seinen Besuch in Moskau und der Sowjetunion im Jahr 1985. Dieser Besuch, der von einem berühmten russischen Dichter namens Andrei Wosnessenski organisiert wurde, blieb von der Bevölkerung weitgehend unbeachtet. 

Dylan, dessen Großmutter aus Odessa stammte, war begeistert von der Idee, die Sowjetunion zu besuchen. Zusammen mit dem amerikanischen Dichter Allen Ginsburg wurde er eingeladen, am Vorabend der 12. Weltfestspiele der Jugend und Studenten bei einem Poetry-Konzert aufzutreten. 

Der amerikanische Barde durfte im Luschniki-Stadion vor einem ausgewählten Publikum spielen. Der Abend mit Wosnessenski und dem bekannten Dichter Jewgeni Jewtuschenko wurde jedoch ein Flop, da das Publikum hauptsächlich aus Komsomols (jungen Kommunisten) bestand.

Der russische Musiker Andrei Gorochow erzählte (rus), dass das Publikum Dylan nicht kannte und auch kaum Englisch verstand. Es zeigte sich wenig begeistert über den Auftritt. Dylan war frustriert und weinte sich später am Abend in Wosnessenskis Datscha in Peredelkino aus. 

Dylans erste Reise durch die Sowjetunion sollte nach dem Debakel in Moskau besser werden. Er besuchte Tolstois Landsitz Jasnaja Poljana. In seiner Autobiografie erwähnte der Künstler, dass er in der New Yorker Bibliothek in den 1960er Jahren, in der er die Werke Dostojewskis und Puschkins kennengelernt hat, auch auf ein Buch von Tolstoi gestoßen ist.  

„Es gab ein Buch von Graf Leo Tolstoi, dessen Nachlass ich mehr als zwanzig Jahre später besuchen würde - seinen Familienbesitz, auf dem er Bauern unterrichtete. Es befand sich außerhalb von Moskau, und hier ging er später hin, um friedlich zu leben.“ 

Jasnaja Poljana

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Dylan durfte etwas, obwohl er in der Sowjetunion keinen Prominentenstatus hatte, was heutzutage undenkbar wäre: „Ein Reiseleiter ließ mich mit seinem (Tolstois) Fahrrad fahren, schrieb der amerikanische Sänger. 

Dylan wollte unbedingt die Stadt Odessa besuchen, erhielt jedoch keine offizielle Erlaubnis, da die Stadt zu dieser Zeit für nicht-sowjetische Bürger geschlossen war. Er besuchte Tiflis, wo ihm die Öffentlichkeit einen lauten Empfang bereitete. Vermutlich gelangte er von dort aus nach Odessa. 

Andrei Gorochow dachte, Dylan würde nach dem Debakel in Moskau im Jahr 1985 nie mehr nach Russland zurückkehren. Doch der Musiker trat noch einmal im Juni 2008 in St. Petersburg auf. Dort erhielt er den lang ersehnten Beifall in dem Land, das ihn in vielerlei Hinsicht beeinflusst hat.

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