Igor Sikorski: Ist der Luftfahrtpionier Russe oder Amerikaner?

Geschichte
NIKOLAJ SCHEWTSCHENKO
Marine One, der Hubschrauber der US-Präsidenten, stammt aus der Feder des russischen Konstrukteurs Igor Sikorski. Die Amerikaner betrachten ihn als Landsmann.

Der zukünftige Vater der Luftfahrt wurde 1889 in Kiew, damals Russland, als Sohn des legendären russischen Psychiaters Iwan Sikorski und seiner Frau Maria Sikorskaja geboren. Igor Sikorskis Mutter war sehr kunstinteressiert und fasziniert von Leonardo da Vinci, auch von seiner Idee eines Hubschrauberprototyps und gab diese Faszination offenbar an ihren Sohn weiter.  

Der junge Sikorski war so beeindruckt, dass er im Alter von 12 Jahren seinen ersten Spielzeughubschrauber entwarf. Der Motor wurde von einem Gummiband angetrieben. 

Als Sikorski älter wurde, beschäftigte er sich weiter mit seinen Interessen, studierte jedoch eher Fächer, die damit nichts zu tun hatten. Er studierte zunächst in St. Petersbug, dann in Frankreich. Der echte Durchbruch gelang ihm erst nach seiner Rückkehr nach Kiew im Jahr 1910. 

In diesem Jahr baute Sikorski einfache Flugzeuge und testete sie auch selbst, ohne viel über die dahinter stehende Theorie zu wissen. Für ihn war der einzige Weg vorwärts Versuch und Irrtum.

Obwohl Flugzeuge einfacher zu konstruieren waren, gab Sikorski die Idee, ein Fluggerät zu entwickeln, das vertikal aufsteigen konnte, nicht auf. Er wollte da Vincis Fantasien verwirklichen. 

Einmal entwarf er einen Schlitten, der von einem Motor und Propellern angetrieben wurde und angeblich Geschwindigkeiten von bis zu 40 km/h erreichen konnte. Er wollte herausfinden, welche Holzart sich am besten für den Propellerbau eignete. Zur Freude der ganzen Stadt Kiew machte er aus den Versuchen ein öffentliches Event. Die Einheimischen, auch der Gouverneur, durften mit an Bord. 

Sikorski wurde zur lokalen Berühmtheit. Kurze Zeit später bekam er ein Stellenangebot, dass er nicht ablehnen konnte. 

Ein Geschenk des Zaren 

1912 startete Sikorskis Karriere. Dem 23-jährigen Ingenieur wurde eine Stelle bei Russo-Balt angeboten, einem berühmten russischen Unternehmen, das Pionierarbeit auf dem Gebiet Automobile und Flugzeuge im Russischen Reich leistete. 

In nur einem Jahr gelang es Sikorskis Team das erste viermotorige Flugzeug der Welt zu konstruieren und zu bauen. Am 10. Mai 1913 war der erfolgreiche Jungfernflug der „Sikorski Russki Witjas“, auch „Russischer Recke“ genannt.  

Dieses Ereignis war so bahnbrechend, dass es die Aufmerksamkeit von Zar Nikolaus II. auf sich zog, der persönlich erschien, um das neue Flugzeug anzuschauen. Beeindruckt von Sikorskis Arbeit schenkte der Zar ihm eine goldene Uhr. 

Fünf Jahre später nannten die neuen bolschewistischen Machthaber Sikorski einen Verräter. Er war gezwungen, aus Russland zu fliehen. 

Ein Weltuntergang 

Die Revolution von 1917 war für Sikorski eine Art Weltuntergang, da sein Talent zur Entwicklung neuer Flugzeuge nicht mehr gefragt war. Die Bolschewiki interessierten sich mehr für die Kavallerie als militärische Macht, die sich im Bürgerkrieg gegen die Weiße Armee als nützlich erwies.

Sikorski hatte sein ganzes Vermögen in die Fabrik investiert. Als diese verstaatlicht und in eine Produktionsstätte für Panzer umgewandelt wurde, verlor er alles. Anfang 1918, als der bolschewistische Terror in vollem Gange war, warnte ein ehemaliger Kollege, der jetzt für die Bolschewiki arbeitete, Sikorski: „Die Situation ist sehr gefährlich. Ich habe deinen Hinrichtungsbefehl gesehen.“ Sikorski war pleite und verängstigt. Er floh Richtung Westen. 

Amerikanischer Held 

Nach einem kurzen Aufenthalt in Frankreich zog Sikorski 1919 in die USA. Er entschied sich für die USA nicht nur, weil sie zu dieser Zeit ein Hafen für viele Einwanderer waren, sondern auch, weil er überzeugt war, dass Flugzeuge und Hubschrauber in diesem riesigen Land nützliche Transportmittel sein würden.

1923 gründete er die „Sikorski Aero Engineering Corporation", eine winzige Firma in Roosevelt, New York. Es lief nicht gut. Der russische Komponist Sergei Rachmaninoff bewahrte sie vor dem Bankrott. Er war nach der Revolution ebenfalls aus Russland in die USA geflohen und hatte mehr Glück gehabt, rasch ein Vermögen aufzubauen, als Sikorski. 

Die 5.000 US-Dollar (das entspricht heutzutage rund 76.000 US-Dollar bzw. 64. 000 Euro), die Rachmaninoff Sikorski geliehen hatte, plus einige zusätzliche Gelder, die der Erfinder selbst gesammelt hatte, halfen der Firma aus der Krise. Im Jahr 1924 brachte sie die Sikorski S-29-A auf den Markt, eines der ersten in den USA montierten zweimotorigen Flugzeuge, das bis zu 14 Passagiere befördern und Geschwindigkeiten von bis zu 185 km/h erreichen konnte.  

Bald darauf begann die Firma mit der Konstruktion und Produktion von Flugzeugen, die auf dem Wasser landen konnten. Beispielsweise wurde die Sikorski S-42 von der Firma Pan American Airways auf Transatlantikflügen eingesetzt.

Inspiriert vom Erfolg seiner Flugzeuge kehrte Sikorski zu seinem Kindheitstraum zurück: dem Entwurf eines vertikal aufsteigenden Fluggerätes, das die Welt heute als Hubschrauber kennt. 

Sikorski, seit 1928 Staatsbürger der USA, erzielte auf diesem Gebiet große Erfolge. Am 14. September 1939 startete der Vought-Sikorski VS-300 erstmals an der Leine. Der erste freie Flug fand acht Monate später, am 24. Mai 1940, statt.

Der Erfolg inspirierte Sikorski 1942 zum Bau des Sikorski R-4, eines brandneuen Zweisitzer-Hubschraubers, der die weltweit erste Maschine dieser Art in großem Maßstab war und auch von der US-Luftwaffe eingesetzt wurde.  

Seitdem entwarf Igor Sikorski noch rund 30 Modelle von Flugzeugen und Hubschraubern. Er wurde zur lebenden Legende, die 1966 in die International Air & Space Hall of Fame aufgenommen wurde.

1957 bestellte auch das Weiße Haus einen Hubschrauber bei Sikorski. Der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower benötigte eine effizientere Fortbewegungsmöglichkeit auf Kurzstrecken. Bis 2006 hatte das Weiße Haus 19 Hubschrauber von Sikorski im Einsatz für den Präsidenten und den Vizepräsidenten.

Igor Sikorski starb am 26. Oktober 1972 in seinem Haus in Easton, Connecticut. Er hat sich immer nach seinem Geburtsland Russland gesehnt, doch die Heimat hat er nie wiedergesehen.

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