Trasse des Todes: Stalins Eisenbahnstrecke durch die Arktis

Witalij Iwanow/Global Look Press
Josef Stalin wollte eine Eisenbahn-Strecke durch das endlose weiße Nichts, die russische Arktis. Das Projekt überdauerte Stalins Tod nicht.

Der Große Vaterländische Krieg hatte den Sowjets gezeigt, dass die Arktis ein schutzloses Gebiet war. Der wichtigste nördliche Hafen der UdSSR, Murmansk, lag gefährlich nah in Reichweite des Feindes und hätte leicht zum Ziel von Angriffen und Eroberungsversuchen werden können. Josef Stalin wollte einen neuen Hafen, der etwas weiter von den Landesgrenzen entfernt lag. Um dorthin zu gelangen, wäre der Bau einer Eisenbahnstrecke erforderlich gewesen. Die Idee der Polarkreiseisenbahn war geboren. 

Der ursprüngliche Plan war, eine Route nach Kap Kammeny auf dem Jamal-Archipel zu errichten. Die Bauarbeiten von Hafen und Eisenbahnstrecke durch Gulag-Insassen begannen 1947. Die neue Eisenbahnstrecke sollte von der Petschora-Bahn abzweigen. Mehr als 700 Kilometer Schienen mussten gelegt werden. 

Das Projekt war nicht gut durchdacht. Schnell wurde klar, dass die Gewässer um Kap Kamenny zu flach für größere Schiffe waren, so dass ein Hafen dort keinen Sinn machte. Aber die Sowjetregierung wollte noch nicht aufgeben. Stalin entschied, dass der neue Hafen nach Osten verlegt werden könnte, und beschloss, Gleise von Igarka nach Salechard zu legen, eine Entfernung von etwa 1.260 Kilometern, einschließlich Fährpassagen über die Flüsse Ob und Jenissei. Also begannen die Bauarbeiten für die Projekte Nr. 502 und 503.

Handarbeit  

Die Arbeiten wurden fortgesetzt. Erneut waren es Gulag-Insassen, die für diese Aufgabe ausgewählt wurden. Die genaue Zahl ist unbekannt, aber verschiedene Quellen geben ihre Zahl zwischen 80.000 und 100.000 an.

Der Löwenanteil der Arbeit wurde ohne Maschinen erledigt. Graben war die schwierigste Aufgabe. Gefangene mussten Sümpfe ohne spezielle Ausrüstung trockenlegen. Da der Boden für jede Art von Aufbau ungeeignet war, brachen die Konstruktionen häufig in sich zusammen und die Arbeit musste von vorne beginnen. 

Die frühere Direktorin des Museums in Salechard, Ljudmila Lipatowa widmete sich viele Jahre dem Studium der Geschichte des Eisenbahnbaus und des Schicksals der Arbeiter. Eine Erzählung handelt von einer Frau, die eine einfache Buchhalterin in der Ukrainischen Sowjetrepublik war. Eines Nachts gelangten Ratten in den Safe und fraßen das Geld. Sie wurde des Diebstahls beschuldigt und ins Lager geschickt. So wurde sie eine der Eisenbahnarbeiterinnen. 

Lipatowa fand heraus, dass viele der Arbeiter Menschen waren, die aus politischen Gründen vor Gericht gelandet waren. 

Trotz der zahlreichen Schwierigkeiten wurde weiter gebaut. Die Menschen hatten sich im Winter an die tödlichen Fröste und im Sommer an die Horden von Mücken gewöhnt.

Eine Vielzahl von Schienen und Schwellen aus der gesamten UdSSR wurden zu den Werken transportiert - sowohl neue als auch alte, die noch aus dem russischen Reich stammten. Es gab auch eine seltsame ausländische Eisenbahn, die nach dem Ersten Weltkrieg in Russland gelandet war. Und obwohl es aus den Gulags genug Arbeiter für die Grabungen gab, fehlten Spezialisten und Ausrüstung. So kamen häufig ausrangierte Panzer statt Traktoren zum Einsatz. Die Türme wurden abmontiert. Die „Spezialisten“ für die Bedienung der Maschinen wurden erneut aus den Reihen der Gefangenen ausgewählt. 

Ein unerfüllter Traum 

Im Frühjahr 1953 wurde der Bau abrupt eingestellt. Stalin war gestorben und der Ministerrat der UdSSR entschied, alle Arbeiten an der Eisenbahn zu beenden. Dann erklärte Lawrenti Beria, der Minister für innere Angelegenheiten und Staatssicherheit wurde, für die Arbeiter eine Amnestie. Rund eine Million Gefangene wurden freigelassen. Teile der Eisenbahn wurden demontiert. Der größte Teil blieb jedoch bestehen. An den Orten, an denen noch am Tag zuvor geschäftiges Treiben herrschte, war nun Stille. 

Sechs lange Jahre hatten unzählige Menschen umsonst gearbeitet. Von dem gewaltigen und teuren Projekt blieb nur ein kleiner Abschnitt der Eisenbahnstrecke zwischen Tschum und Labytnagi übrig, der vom Eisenbahnministerium genehmigt wurde. In der Zwischenzeit hatte das Kommunikationsministerium eine Telefonleitung eingerichtet. Alle anderen Pläne wurden jedoch verworfen und aufgegeben. Die Eisenbahn wurde zum Freilichtmuseum.

Später, nachdem das Projekt völlig aufgegeben worden war, gab es Vermutungen, dass die wahre Motivation dahinter nicht darin bestanden habe, einen Weg zum Hafen zu schaffen. Einige Forscher glaubten, dass Stalin versuchte, so viel Land wie möglich mit der Eisenbahn zu verbinden. Andere waren überzeugt, dass er alle Nickelminen im Norden mit Fabriken im Westen verbinden wollte. Was auch immer sein Beweggrund war, sein Traum erfüllte sich nicht. Der Boden sackte ab, die Schienen rosteten und die Spurrillen überwucherten mit Sträuchern und Bäumen. Die Menschen in der Sowjetunion erinnerten sich für immer an das Projekt als „Straße des Todes“ oder „Stalinbahn“.

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