Oper und Stalinrede: Die ungewöhnlichsten Ereignisse in der Moskauer Metro

plucer.livejournal.com/CC BY-NC-ND 3.0
In der Moskauer Metro hielten während ihres 85-jährigen Bestehens nicht nur Züge. Wir berichten über die ungewöhnlichsten Veranstaltungen im Moskauer Untergrund.

1. Bibliothek, Entbindungsstation und Rednerpult während des Großen Vaterländischen Krieges

„Ich schaue fast täglich vorbei. Nicht weil dieser Bahnhof auf dem Heimweg liegt, sondern um Zeitung zu lesen oder andere Veröffentlichungen. ... Die einzigen Nachteile sind die zirkulierende Luft aus den fahrenden Zügen und der kontinuierliche Passagierstrom“, beschrieb der Ingenieur Bogdanow (Vorname unbekannt) die U-Bahn-Station Kurskaja im ersten Jahr des Großen Vaterländischen Krieges.

Die Majakowskaja-U-Bahn-Station im jahr 1941

Als der Krieg 1941 die Sowjetunion ereilte, existierten bereits drei U-Bahnlinien. Während der Bombenangriffe auf Moskau wurden die Stadtbewohner dorthin evakuiert. Kaum vorstellbar, aber während des Krieges verkehrte die U-Bahn weiter rund um die Uhr. Die Züge beförderten tagsüber Passagiere. Nachts wurden die Stationen zu Schutzräumen.

Die Stationen waren mit Toiletten und Trinkbrunnen sowie Feldbetten für Kinder und Erwachsene ausgestattet. Frauen mit Säuglingen, älteren Menschen und Behinderte verbrachten die Nacht in Zugabteilen. Dies geht aus historischen Dokumenten hervor, die auf der Website des Bürgermeisters von Moskau verfügbar sind.

Die Rede von Joseph Stalin am 6. November 1941

An einigen Stationen bestand die Möglichkeit zur medizinischen Behandlung. Sogar Entbindungen waren möglich. Es gab Einkaufsgelegenheiten und Friseure. Die Kinder wurden weiter unterrichtet, lernten Nähen und Zeichnen. Filmvorführungen, Konzerte und historische Ausstellungen unterhielten die Erwachsenen.

Sogar Stalin kam am 6. November 1941, um vor dem evakuierten Moskauer Abgeordnetenrat eine Rede im Bahnhof Majakowskaja zu halten. Vor seiner Ankunft wurde der Boden mit Teppichboden ausgelegt und ein Podium installiert. Das Porträt des Oberbefehlshabers wurde vor der Büste Lenins an die Wand gehängt. Der Rede folgte ein Buffet. Die Gäste wurden mit Bier, Gebäck und Sandwiches in Zugwaggons verwöhnt.

2. Italienische Oper

Die Moskauer U-Bahn fährt normalerweise bis 1 Uhr morgens. In der Nacht des 14. Mai 2016 versammelte sich eine Menschenmenge an der U-Bahn-Station Kropotkinskaja, wo der Bahnsteig in eine Mini-Bühne für einen 170-köpfigen Chor umgewandelt worden war.

Die Moskauer U-Bahn feierte ihr 81-jähriges Bestehen und die Mitarbeiter der U-Bahn wurden vom russischen Präsidentenorchester mit Dirigenten und fünf Opernsolisten mit einer Aufführung von Pietro Mascagnis Oper Rural Honor belohnt. Einer der Soloparts wurde von der Primadonna der königlich-dänischen Oper, Natalia Leontjewa, gesungen.

„Während des Zweiten Weltkriegs versteckte sich meine Mutter vor den Bombenangriffen in dieser Station", erzählte Leontjewa.

Ein Sinfonieorchester hatte bereits 2010 am selben Bahnhof gespielt, aber die Oper 2016 war das größte Ereignis in der Geschichte der Metrostation.

3. Modenschau in einem Depot

Sicherheitskräfte stehen Wache, während zufriedenen, in luxuriösen Pelz und edlen Zwirn gekleideten Passagieren von Kellnern im fahrenden Zug Champagner kredenzt wird. Der Zug fährt in den Bahnhof ein, wo der Bahnsteig mit mehreren Stuhlreihen und einem Laufsteg ausgestattet wurde, auf dem Models zu Musik Mode präsentierten.

Auf diese Weise veranstaltete Givenchy 1997 eine Modenschau in Moskau im U-Bahn-Depot von Sokol, an der auch Alexander McQueen teilnahm, der die Gelegenheit nutzte, seine Boutique im Kaufhaus GUM zu besuchen.

Es dauerte bis zum Jahr 2016, bevor in der Moskauer U-Bahn eine weitere Modenschau stattfand, von Alexander Terechow am Bahnhof Dostojewskaja. Diesmal gab es keinen Laufsteg. Stattdessen liefen die Models auf dem rutschigen Marmorboden der Lobby auf und ab.

Die Shows mehrerer russischer Designer fanden 2019 am Bahnhof Delowoi Zentr statt und fielen zeitlich mit dem Beginn der Moskauer Modewoche zusammen. Die Modelle stiegen zu musikalischer Begleitung die Rolltreppen hinunter. 

4. Trauerfeier auf der Rundlinie

Eine Frau sitzt oben ohne in einem U-Bahnwaggon und isst von einer Gabel etwas, das aussieht wie Oliviersalat. Sie wirft sich in verschiedene Posen. Im Vordergrund ist ein festlich gedeckter Tisch voller Wodka zu sehen, an dem weitere Männer und Frauen sitzen. Sie essen und trinken mitten im Waggon, rezitieren gemeinsam Gedichte, singen Lieder zu den Klängen einer Gitarre. Auch zugestiegene Fahrgäste bekommen Speis und Trank serviert. Sicherheitskräfte sind nicht zu sehen. 

Irgendwann sagt einer der Männer: „Danke, die Rundlinie ist absolviert.“ Alle bereiten sich auf den Ausstieg vor. Den Tisch wollen sie offensichtlich zurücklassen. 

„Was ist mit dem Tisch ich möchte das alles mitnehmen", sagt eine der Frauen. Aber es bleibt keine Zeit. Die Türen schließen sich, der Zug fährt weiter mit den Überresten des Festmahls. 

Dies ist eine Aktion der Künstlergruppe Woina (Krieg), die 40 Tage nach dem Tod des avantgardistischen russischen Schriftstellers und Dichters Dmitri Prigow in der Nacht vom 24. auf den 25. August 2007 zu dessen Ehren stattfand. 

„Vor der Aktion haben wir uns gefragt, wie viele Stationen wir wohl fahren könnten, ohne dass die Polizei kommt. Die hat sich jedoch überraschenderweise gar nicht für uns interessiert und das trotz der Tatsache, dass alle Eisenbahnwaggons auf der Rundlinie mit Überwachungskameras ausgestattet sind“, zitiert (rus) der Blog Plucer Oleg Worotnikow, einen der Beteiligten an der Aktion.

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