„Der schwarze Russe“: Wie ein Kind befreiter amerikanischer Sklaven in Russland Karriere machte

Archivfoto; Russia Beyond
Während der schwarze Amerikaner Frederick Thomas in seiner Heimat Mississippi nur Diskriminierung erfuhr, wurde er im zaristischen Russland als Besitzer des beliebtesten Nachtclubs Moskaus reich und erfolgreich. Er zeugte fünf Kinder und wurde russischer Staatsbürger.

Ankunft in Russland  

Thomas wurde 1872 in Mississippi als Sohn befreiter Sklaven geboren. Er verließ den Süden und ging nach Chicago, nach New York und schließlich nach Europa. In den späten 1890er Jahren war er, nachdem er viel gereist war und inzwischen Französisch beherrschte, Kellnermeister und Kammerdiener geworden und arbeitete für einen russischen Adligen in Monte Carlo.

Frederick Thomas

So wurde sein Interesse am Land der Zaren geweckt und er kam 1899 nach Russland. In den ersten Jahren arbeitete er in Restaurants und Hotels im ganzen Land. Er ließ sich schließlich in Moskau nieder und wurde als Fjodor Fjodorowitsch Thomas bekannt.

Als charismatischer Mann, der für die Moskauer Gesellschaft ein Exot war, lernte Thomas bald viele Aristokraten und Geschäftsleute in der Stadt kennen. Er war auch bei den Frauen sehr beliebt.

Frederick Thomas in Paris

Es gibt keine Beweise dafür, dass seine Hautfarbe jemals ein Problem in Russland war, und die Tatsache, dass er finanziell außerordentlich erfolgreich und sozial angesehen war, was für einen schwarzen Mann in den USA zu dieser Zeit unmöglich gewesen wäre, zeigt, dass er wohl keine Diskriminierung erfahren hat.

Ab 1903 arbeitete er als Maitre d'hotel im beliebten Kabarett „Aquarium“ und 1908 als Maitre d'hotel im „Jar“, einem beliebten Club, der von der russischen Elite frequentiert wurde. 

Der gutaussehende und charmante Thomas, römisch-katholischen Glaubens, heiratete im Herbst 1901 Hedwig Hahn, eine preußische Protestantin. Drei Kinder gingen aus dieser Beziehung hervor. 

Als sie im Januar 1910 an einer Lungenentzündung starb, übernahm die baltisch-deutsche Nanny aus Riga, die 28-jährige Valentina Hoffman, die Betreuung der Kinder. Thomas heiratete das Kindermädchen Anfang 1913 und das Paar zog in eine großzügige Moskauer Wohnung in Malaja Bronnaja, 32.

Luxusleben 

Im November 1911 wurde das „Aquarium“ mit neuen Besitzern wiedereröffnet, darunter auch Thomas. Er war nicht länger nur ein Angestellter. 

Bis zum Sommer 1912 wurde Thomas ein sehr reicher Mann. Das „Aquarium“ erzielte im ersten Jahr einen Gewinn von 150.000 Rubel (zwei Rubel entsprachen damals etwa 1 US-Dollar; heute etwa 2 Millionen US-Dollar), und Thomas zählte nun zu den erfolgreichsten Theaterunternehmern im russischen Reich.

„Aquarium“ im Jahr 1912

Thomas überraschte alle, als er unerwartet einen heruntergekommenen Club namens „Chanticleer“ übernahm, den er dann in „Maxim“ umbenannte und am 8. November 1912 eröffnete (in Bolschaja Dmitrowka, 7).

Das Unterhaltungsprogramm begann um 23 Uhr und ging bis zum Morgengrauen. Wie bei den anderen Kabaretts waren bunte Shows und sexy Tänzerinnen immer die Hauptattraktionen.

Werbeplakat für „Maxim“, 1915

Es gab jedoch ein ernstes Problem. Im Umfeld des „Maxim“ standen drei russisch-orthodoxe Kirchen. Daher galten Einschränkungen für Theater und Kabaretts. Der hartnäckige Thomas bewies, wie geschickt er im Moskauer Establishment navigierte und erhielt schließlich die notwendigen Genehmigungen.

Das „Maxim“ wurde ein großer Erfolg unter der Moskauer Elite und Thomas‘ Ruhm und Vermögen wuchsen. Im Januar 1914 gründeten Thomas und seine Partner die First Russian Theatrical Stock Company mit einer Marktkapitalisierung von 650.000 Rubel (heute etwa 10 Millionen US-Dollar). Ziel war es, neue Theater in Moskau und in anderen Städten des Russischen Reiches zu eröffnen.

Der Erste Weltkrieg machte diese Pläne jedoch zunichte. Alle Energie und Ressourcen im Land waren auf die Front gerichtet. Thomas‘ Clubs waren aber weiterhin sehr beliebt und brachten ihm viel Geld. 

Dann, im Jahr 1915, beschloss Thomas, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Die Gründe dafür sind nicht ganz klar, aber eines ist sicher: Er hatte vor, noch viele Jahre in Russland zu bleiben. Er glaubte an die Zukunft des Landes, was an seinen Investitionen in Immobilien zu erkennen war. Im Februar 1917 kaufte er sechs Gebäude in der Innenstadt von Moskau mit 38 Mieteinheiten. Er erwarb auch eine Villa außerhalb von Odessa.

Flucht vor der Revolution 

Frederick Thomas, seine zweite Frau, seine Kinder aus erster Ehe und seine Geschäftspartner, 1913

In der Zwischenzeit zerfiel Russland ebenso wie das Leben von Thomas. Die bolschewistische Machtergreifung im November 1917 leitete eine radikal neue soziale und politische Ordnung ein. In der ersten Hälfte des Jahres 1918 verstaatlichten die Bolschewiki alles Privateigentum und zerstörten somit alles, was Thomas aufgebaut hatte. Thomas fühlte sich gedemütigt und litt unter dem Verlust. Obendrein erwischte er seine Frau im Bett mit einem bolschewistischen Kommissar. 

Thomas hatte selbst eine Geliebte, mit der er auch Kinder hatte. Doch die Affäre seiner Frau war gefährlich für ihn, denn diese stachelte ihren bolschewistischen Liebhaber an, Thomas zu töten, der natürlich ein Klassenfeind war. Aber der Mann, dessen Identität wir noch nicht kennen, schaffte es nicht, Thomas zu erschießen. 

Nachdem die Geheimpolizei Thomas im August 1918 verhört hatte, konnte er Moskau schließlich mit dem Zug verlassen und sich auf den Weg zu seiner Villa außerhalb von Odessa machen, was zu dieser Zeit von der kaiserlich-deutschen Armee besetzt war. Dort warteten seine Geliebte und seine Kinder auf ihn.

Odessa im Jahr 1919

Nach neun Monaten in der Villa in Odessa verließ Thomas Russland per Schiff zusammen mit seiner Geliebten und ihren Kindern, um ein neues Leben in Konstantinopel (heute Istanbul) zu beginnen.

Thomas brachte den Jazz in die Türkei und machte wieder ein Vermögen, als er einen weiteren „Maxim“-Club eröffnete, wo es russisches Essen gab. Der Club war im russischen Stil gestaltet und sowohl bei den Einheimischen als auch bei der russischen Emigrantengemeinschaft beliebt. Thomas geriet jedoch in finanzielle Schwierigkeiten, wurde ins Schuldnergefängnis geworfen und starb 1928 in Konstantinopel.

Frederick Thomas

Leider geriet Frederick Bruce Thomas unter dem kommunistischen Regime in Vergessenheit, bis Professor Wladimir Alexandrow von der Yale University sein außergewöhnliches Leben im frühen 21. Jahrhundert erforschte und darüber das Buch „The Black Russian“ (zu Deutsch „Der schwarze Russe“) veröffentlichte. 

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