Versteckte Türme und Kuppeln
Das Admiralitätsgebäude und eine Reihe von Kathedralen hatten goldene Türme und Kuppeln, die selbst an den düstersten Tagen funkelten, sodass sie getarnt werden mussten. Nikolai Baranow, der zu dieser Zeit der Stadtbaumeister von Leningrad (heute St. Petersburg) war, erinnerte sich (rus) in seinem Buch „Siluety Blokady“ (zu Deutsch: „Silhouetten der Belagerung“): „Einige Hitzköpfe schlugen sofort vor, die Türme, Kuppeln und Gebäude abzubauen.“ Dieser Vorschlag wurde umgehend verworfen.
In vielen Fällen wurde die Vergoldung der Kuppeln mit einer alten Methode geschaffen: sehr dünne Goldschichten wurden mit einem Spezialkleber aufgetragen. Solche Kuppeln wurden mit Stoff bedeckt. Die Arbeiten begannen am Turm der Admiralität. Die Stoffhülle wurde in nur einer Nacht genäht und wog ungefähr eine halbe Tonne. Ein Heißluftballon-Pilot befestigte ein Seil oben am Turm, und dann wickelten sechs Kletterer ihn mit dem Tuch ein. Eine dieser Kletterinnen, Olga Firsowa, die eigentlich eine professionelle Musikerin war, erzählte (rus) später: „Die Turmspitze war ähnlich wie der ausgestellte Rock einer Frau. Wir mussten die Kanten vernähen, damit der Wind keine Angriffsfläche fand.“ Ähnlich wurde mit der Nikolski Nawal Kathedrale verfahren.
Die Kathedralen St. Issak und Peter und Paul waren mit einer Galvano-Technik vergoldet. Chemiker fanden heraus, dass die Türme und Kuppeln einfach mit Farbe übermalt werden konnten, die später ohne Schäden zu hinterlassen wieder abgewaschen werden konnte. Aber es gab eine andere Schwierigkeit: Baranow berichtete (rus), dass die Turmspitze der Kathedrale der Heiligen Peter und Paul um anderthalb Meter schwankte. Der Kletterer Oberleutnant Michail Bobrow wollte dort ein Seil anbringen und musste über eine alte Treppe nach oben, von der niemand wusste, ob sie das Gewicht eines Mannes aushalten würde. Doch die Mission verlief erfolgreich. Den Kletterern gelang es, ihre wichtige Aufgabe zu erfüllen. Das Gold war nicht länger Wegweiser für den Feind.
Tarnnetze
Viele Objekte der Stadt wurden unter speziellen Tarnnetzen mit farbigen Stoffstücken versteckt. Bühnenmaler waren an der Herstellung der Netze beteiligt. Ihr Talent war dabei sehr nützlich. Sie verwendeten spezielle Farben und erweckten den Eindruck, dass sich anstelle strategisch wichtiger Gebäude nur Felder und Grünflächen befanden. So sah es zumindest für die feindlichen Piloten in ihren Maschinen aus. Saisonale Änderungen wurden bei der Gestaltung der Netze berücksichtigt. Im Herbst verwendeten die Bühnenmaler mehr gelbe und rote Farbtöne, im Winter versuchten sie unterschiedliche Schneemengen nachzuahmen.
Aber die Netze wurden nicht nur bemalt. Andere Materialien wurden genutzt, um eine möglichst natürliche Optik zu schaffen. Olga Jordan, Balletttänzerin des Kirow-Theaters (das heutige Mariinski-Theater) erinnerte sich (rus) später: „In der Kulissenwerkstatt an der Uliza Pissarewa haben wir Bast zu Bündeln zusammengefasst und an die Netze genäht. Wir wussten, dass diese Arbeit wichtig war zur Verteidigung der Stadt.“ Die Netze wurden zudem mit natürlichen Pflanzen und Zweigen realistischer gestaltet.
Das ehemalige Gebäude des Smolny-Instituts, in dem sich die Stadtverwaltung befand, war ein Beispiel für die Nutzung eines solchen Tarnnetzes. Es wurde in das umgebende Grün eingefügt. Der Architekt Alexander Gegello erzählte (rus): „Ein Tarnnetz, das Baumkronen imitierte, wurde gespannt. Die Netze wurden winkelweise am Dach befestigt, um die Form des Gebäudes zu verbergen. Die erkennbare Biegung der Newa verschwand ebenfalls und wurde durch ein Flussbild ersetzt. Man erweckte auf diese Weise aus der Luft den Eindruck, dass der Sowetski-Prospekt (seit 1944, Suworowski) hier weiterging.“
Verhüllte Gebäude
Michail Bobrow schrieb (rus) in einem Buch: „Berge von Sandsäcken bedeckten viele Denkmäler.“ Auf den Sandsäcken lagen Bretter. Auf diese Weise wurden die größeren Denkmäler wie die Bronze-Reiterstatue von Peter dem Großen und die Lenin-Statue in der Nähe der Finnland-Station versteckt.
Einige kleinere Skulpturen wurden von ihren Plätzen entfernt und vergraben. So wurden die Skulpturengruppen von der Anitschkow-Brücke von Pjotr Klodt in der Nähe im Garten des Pionierpalastes verbuddelt. Nach dem Krieg wurden sie entdeckt, weil sie kleine Hügel hinterlassen hatten.
Einige Denkmäler blieben bewusst unverhüllt, nämlich die der großen russischen Kriegskommandanten wie Suworow, Kutusow und Barclay de Tolly, schrieb Bobrow. Sie sollten die Verteidiger der belagerten Stadt motivieren.
Gebäude-Imitationen
Auch die Infrastruktur und die Industrie mussten maskiert werden. Zum Beispiel bemerkte Nikolai Baranow, dass das Hippodrom ein perfekter Zielpunkt sei, da seine riesige Ellipse von oben leicht zu erkennen sei. Tatsächlich hatte eine Bombe das Gebäude bereits getroffen, bevor es getarnt wurde. Nun entfernten die Arbeiter die Tribüne und füllten den offenen Raum mit Modellen von Häusern. Die Länge und Breite der Modelle waren real, aber die Höhe war um ein Vielfaches geringer. Der Architekt erinnerte sich (rus): „Diese dimensionale Entscheidung nutzte die charakteristischen Effekte von Licht und Schatten in den Brunnenhöfen und half, Straßen und Passagen zu imitieren.“ Auch auf den Dächern größerer Fabriken wurden solche Gebäude-Imitationen errichtet.
Die Flussbrücken und die Bahnhöfe Moskowski und Witebski waren als Ruinen getarnt. Kopien von ihnen wurden in einiger Entfernung des tatsächlichen Standortes errichtet.
Der Turm der Hauptwasserversorgungsstation war von strategischer Bedeutung. Durch das Anbringen von zusätzlichen Dächern wurde seine Silhouette so verändert, dass er aus der Luft für den Feind nicht mehr als Wasserturm zu identifizieren war.
Die feindlichen Bomben beschädigten Leningrad erheblich, aber die richtige Tarnung half dabei, die vollständige Zerstörung zu verhindern.