Wie die Rote Armee Leningrad während der Belagerung im Zweiten Weltkrieg verteidigte (FOTOS)

Die Verteidiger von Leningrad

Die Verteidiger von Leningrad

Boris Kudojarow; Julius Jääskeläinen
Diese Belagerung war eine der längsten und tödlichsten in der Geschichte einer Stadt. Zahllose Menschen erlebten schreckliche Zeiten und verloren ihr Leben.

„Der Führer ist unerschütterlich in seiner Entscheidung, Moskau und Leningrad dem Erdboden gleich zu machen, um die Bevölkerung dieser Städte, die wir sonst im Winter ernähren müssten, vollständig loszuwerden ... , schrieb (rus) Franz Halder, Stabschef des Oberkommandos der Armee, am 8. Juli 1941 zu Beginn der Operation Barbarossa in sein Tagebuch. Infolge eines raschen Vormarsches der Heeresgruppe Nord durch die baltischen Republiken näherte sich der Feind bereits im Sommer 1941 Leningrad (heute St. Petersburg). 

Deutsche Truppen in der Nähe von Leningrad

Am 8. September 1941 eroberten die deutschen Truppen die Stadt Schlüsselburg am Ufer des Ladogasees und hatten Leningrad damit auf dem Landweg eingekreist. In der zweitgrößten sowjetischen Stadt waren etwa eine halbe Million sowjetischer Soldaten, fast alle Schiffe der baltischen Flotte und bis zu drei Millionen Zivilisten gefangen. 

Mitte September wurde Leningrad in eine Festung umgewandelt. Über 600 Kilometer Panzerabwehrgräben und Drahthindernisse, 15.000 sogenannte Pillboxes (ebenerdige kleinere Bunker) und große Bunker, 22.000 Schützenstände, 2.300 Kommando- und Beobachtungsposten wurden rund um die Stadt errichtet. In Leningrad selbst wurden 4.600 Luftschutzbunker eingerichtet, in denen bis zu 814.000 Menschen Platz finden konnten. 

Das belagerte Leningrad war mit dem „Festland“ nur noch durch eine schmale Route entlang des Ladogasees verbunden, die als Straße des Lebens bekannt wurde. Über diesen Weg wurde Essen in die Stadt geliefert und die Menschen evakuiert.

„Straße des Lebens“

Und doch konnten die begrenzten Lieferungen auf dem Luftweg und entlang des Ladogasees den Bedarf einer Großstadt nicht decken. Soldaten erhielten 500 Gramm Brot pro Tag, Arbeiter bis zu 375 Gramm und andere Erwachsene und Kinder nur 125 Gramm. Mit dem Beginn des harten Winters 1941/1942 setzte eine Hungersnot ein. „Alles wurde gegessen: Ledergürtel und -sohlen, keine einzige Katze oder Hund blieben in der Stadt, geschweige denn Tauben und Krähen. Es gab keinen Strom und die einzige Wasserquelle war die Newa, so dass hungrige und erschöpfte Menschen auf dem Weg zum Fluss, wo sie Wasser holen wollten, oft einfach tot umfielen. Niemand räumte die Leichen fort. Sie lagen einfach auf der Straße und wurden vom Schnee zugedeckt. Ganze Familien starben zu Hause in ihren Wohnungen“, erinnerte sich (rus) Jewgeni Aljoschin. 

Der Geheimdienst NKWD verzeichnete mehr als 1.700 Fälle von Kannibalismus. Inoffizielle Zahlen waren sogar noch höher. Leichen wurden aus Leichenschauhäusern und von Friedhöfen gestohlen oder direkt von der Straße geholt. Es gab auch Morde infolge der Hungersnot. In einem Bericht der Direktion der Region Leningrad des NKWD vom 26. Dezember 1941 heißt es (rus): „Am 21. Dezember hat der 18-jährige arbeitslose V.F. Worobjow seine 68-jährige Großmutter Maximowa mit einer Axt getötet. Er hackte den Körper in Stücke, kochte Leber und Lunge und aß sie. Bei einer Durchsuchung der Wohnung wurden weitere Körperteile gefunden. Worobjow sagte aus, er habe den Mord aus Hunger begangen. Eine Untersuchung durch Spezialisten ergab, dass Worobjow gesund war.“ 

Im Frühjahr 1942 kehrte Leningrad allmählich zu einer Art Normalität zurück. In den unbewohnten Vororten wurden Gemüsegärten angelegt. Die Lebensmittelversorgung verbesserte sich etwas. Die Sterblichkeit ging zurück und der öffentliche Nahverkehr wurde teilweise wieder aufgenommen. Am 29. März durchbrachen die sowjetischen Partisanen die Frontlinie in die Stadt und lieferten auf 223 Karren 56 Tonnen Mehl, Getreide, Fleisch, Erbsen, Honig und Butter. 

Von den ersten Tagen der Belagerung an hat die Rote Armee ihre Versuche, in die Stadt vorzudringen, nie gestoppt. Alle vier großen Offensivoperationen von 1941 bis 1942 scheiterten jedoch. Und doch erschöpfte der ständige Druck durch die sowjetischen Truppen die Heeresgruppe Nord und schränkte ihren Handlungsspielraum ein.

Nach der Niederlage der deutschen Truppen in Stalingrad wendete sich das Blatt allmählich zugunsten der Roten Armee. Am 12. Januar 1943 startete das sowjetische Kommando die Iskra-Offensive, die schließlich erfolgreich war. Die sowjetischen Truppen befreiten die Stadt Schlüsselburg und eroberten das Südufer des Ladogasees zurück, wodurch Leningrad wieder eine Verbindung mit dem „Festland“ hatte. 

„Ich glaube, es war am 19. Januar 1943, etwa elf Uhr, ich wollte gerade ins Bett gehen. Plötzlich meldete sich der Rundfunkempfänger“, erinnerte sich (rus) die Krankenschwester Ninel Karpenok. „Ich hörte genauer hin und es hieß, man solle die Nachrichten einschalten. Dort gaben sie bekannt, dass die Belagerung aufgehoben worden war. Oh! Wir rannten auf den Flur. Wir lebten in einer Gemeinschaftswohnung, vier Familien in vier Räumen. Und wir stürmten alle aus unseren Zimmern und fingen an zu schreien und zu weinen. Alle waren so glücklich. Die Belagerung war vorbei!“ 

Ein Jahr später, während der Operation „Januardonner“, beendeten die sowjetischen Truppen endgültig jede feindliche Bedrohung der Stadt. Der Tag des 27. Januar wurde offiziell zum Tag der Aufhebung der Belagerung erklärt. Während der 872 Tage der Belagerung von Leningrad wurden nach verschiedenen Schätzungen durch Hunger, Kälte, Artillerie-Angriffe und Luftangriffe 650.000 bis eineinhalb Millionen Einwohner der Stadt getötet.

>>> Qual der Blockade: Erinnerung an die Belagerung von Leningrad (BILDER)

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