Wie die Sowjetbürger den Sieg im Zweiten Weltkrieg begrüßten

Mikhail Ozerov/Sputnik
Für die meisten Sowjetbürger war klar, dass eine Niederlage im Krieg den Tod bedeutete. Daher wurde der lang erwartete Sieg als Erlösung und Beginn eines neuen Lebens wahrgenommen.

Am 9. Mai 1945 teilte der sowjetische Rundfunk um 2:10 Uhr in der Früh den sowjetischen Bürgern die lang erwartete Nachricht mit: In Berlin-Karlshorst wurde die bedingungslose Kapitulation Deutschlands unterzeichnet.

Der Sprecher des staatlichen Radios Juri Lewitan, der diese berühmte Nachricht verlas, erinnerte sich: „Am Abend kündigten wir mehrmals an, dass wir heute ausnahmsweise bis vier Uhr morgens senden würden. Wir versuchten, diese scheinbar triviale Information so vorzulesen, dass die Menschen verstanden: Nicht einschlafen! Warten Sie! Die Telefonleitungen liefen heiß – vertraute und unbekannte, aber allesamt fröhliche Stimmen riefen in den Hörer: „Danke! Wir haben den Wink verstanden! Wir decken die Festtafel! Gut gemacht!“

In dieser Nacht kam das große Land nicht zur Ruhe. Die Menschen öffneten die Fenster, weckten ihre Nachbarn, überall war Musik zu hören und die Leute riefen freudig: „Sieg! Sieg!“. Alle liefen auf die Straße, umarmten sich, weinten, lachten. Es herrschte eine Art Euphorie“, erinnert sich Jasen Sasurskij.

Wenn die Leute einen Soldaten oder Offizier sahen, nahmen sie ihn sofort in die Arme und begannen ihn zu rütteln. „Vollkommen fremde Menschen küssten einander. Ich kann mich nicht erinnern, dass es je eine solche Einheit der Menschen gab wie am 9. Mai 1945. Wir waren alle eins – Russen, Tataren, Usbeken und Georgier. Wir waren alle geeint wie nie zuvor“, sagte der Moskauer Gennadij Zypin.

Ljudmila Surkowa, die damals in der Hauptstadt lebte, erinnerte sich: „Die Menge strömt die Straße entlang wie ein Fluss. Aus den Gassen drängen Menschen wie Bäche hinzu. Jeder versucht, in das Stadtzentrum zu gelangen. Dort versuchen auch Lastwagen mit Soldaten durchzukommen. Die Soldaten beugen sich herunter und küssen diejenigen, die nebenher laufen. Auf die Ladefläche der LKWs werden Zigarettenschachteln geworfen, es werden [Wodka]Flaschen hochgereicht... Alles, was sich in den vier Jahren angestaut hat – Ängste, Hoffnungen, Enttäuschungen, Verluste – bricht nun in einem Moment heraus und erfasst, um ein Vielfaches verstärkt, jeden Einzelnen. Es scheint unmöglich, aber alle verstehen sich und sind wie eine große Familie.“

„Die Fenster waren weit geöffnet, Lieder und Licht drangen aus ihnen heraus. Die Leninstraße war hell erleuchtet, auf jeder Erhöhung stand eine Flak-Batterie. Es schien, als würde von überall her geschossen“, beschreibt Wjatscheslaw Ignatenko diesen denkwürdigen Tag im fernen Wladiwostok. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten war das Aufsteigen eines Ballons mit dem Siegesbanner über der Bucht des Golden Horns. „Von den nahegelegenen Anhöhen warfen Flakscheinwerfer ihr gleißendes Licht in den Himmel und die Strahlen trafen sich in einem Punkt über dem Goldenen Horn. Und in diesem Punkt schwebte das Siegesbanner! Es war unglaublich – eine Botschaft vom Himmel! Dort oben wehte der Wind und das schillernde rote Tuch des Banners entfaltete sich in seiner ganzen Breite in Richtung Stadt.“

Die Nachricht über die Kapitulation Deutschlands erreichte viele Rotarmisten mitten in den Kampfhandlungen. Der Marineinfantrist der Baltischen Flotte Pawel Klimow war im Mai 1945 im Westen Lettlands, wo sich zu diesem Zeitpunkt noch große Gruppierungen des Feindes befanden. „Wir erfuhren es zuerst von den Deutschen, dass der Krieg vorbei war. Wir liefen an der Küste entlang. Wir verstanden nicht, warum in den deutschen Schützengräben so ein Aufruhr und Jubel herrschte. Es stellte sich heraus, sie hatten erfahren, dass der Krieg vorbei war. Wir merkten durch das Feuerwerk und die Schüsse in die Luft, dass es das Ende war. Erst danach erhielten wir über Funk den Befehl, die Kampfhandlungen zu beenden. Die Freude war groß“, erinnert sich Pawel.

Am Abend gab es auf dem Roten Platz in Moskau einen großen Salut: 30 Artilleriesalven aus tausend Geschützen, begleitet von Strahlen aus 160 Flakscheinwerfern und dem Abfeuern verschiedenfarbiger Raketen. Jasen Sasurskij erinnert sich: „Aus irgendeinem Grund habe ich mir gemerkt, wie die Salven Schwärme von Krähen aufschreckten – als der Salut begann, erhoben sich die Vögel krächzende hinter der Kremlmauer und kreisten in der Luft, als ob sie sich mit uns freuten. Das war alles wunderschön!“

>>> Der Preis des Sieges: Wie viele Sowjetbürger starben im Zweiten Weltkrieg?

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