Wie oft nutzen Sie Facebook, um Ihren Freunden mitzuteilen, dass Sie von einem Urlaub oder einer Geschäftsreise zurück sind? Kündigen Sie an, dass Sie eine Party veranstalten? Es ist sicherlich einfacher, dies per Textnachricht oder durch einen öffentlichen Facebook-Beitrag zu tun, als es jedem einzeln mitzuteilen. Aber die Menschen des 19. Jahrhunderts kannten diese bequemen modernen Methoden der Mitteilung nicht. Sie hatten ein eigenes System, nämlich Visitenkarten, oder sie erschienen persönlich.
„Am Donnerstag um 6 Uhr nachmittags stieg Maria Iwanowna in die Kutsche und machte sich mit einem Register in der Hand auf den Weg zu Besuchen. An diesem Tag machte sie elf Besuche, am Freitag vor dem Mittagessen zehn, nach dem Mittagessen 32, am Samstag zehn, 63 insgesamt, und sie ließ ein Dutzend mehr für später übrig“, schrieb der russische Historiker Michail Gerschenson.
Maria Iwanowna erwies so ihren Freunden, Bekannten und Verwandten ihren Respekt, wie es für Adelige im russischen Reich des 18./19. Jahrhunderts üblich war. Dieser Personenkreis würde heute vielleicht dem Facebook-Feed entsprechen.
Ohne die lästige Verpflichtung, Besuche zu machen und selbst Einladungen auszusprechen, konnte man nicht hoffen, in die edle Gesellschaft aufgenommen zu werden und all ihre Vorteile zu genießen. Zum Beispiel die Möglichkeiten, einen guten Ehemann für die eigene Tochter zu finden, für den Sohn die Aufnahme in ein Garderegiment zu arrangieren, wegen der Verbindung zu Hofe bei Beförderungen bevorzugt zu werden usw.
Es wurde gesellschaftlich erwartet, regelmäßig die Freunde zu besuchen. Einige Adelsfamilien hatten dafür eigens einen besonderen Empfangstag, insbesondere in St. Petersburg. Bei wichtigen Ereignissen wie einer Hochzeit, führte kein Weg an einem Besuch vorbei. Michail Buturlin, ein russischer Adliger des frühen 19. Jahrhunderts, schrieb über Besuche bei der Verwandtschaft seiner Frau nach der Hochzeit: „Um der alten dummen Moskauer Etikette willen, wurden wir am Tag nach unserer Hochzeit in eine Kutsche verfrachtet, in der wir drei Tage verbracht haben, um alle möglichen und unmöglichen Tanten, Onkel, Cousins und Cousins zu besuchen ... Oh, wie ich diesen barbarischen Brauch verflucht habe!“
Es war ein gewaltiger Fehltritt, die Gratulation zum Namenstag zu vergessen oder vor Antritt einer Reise nicht persönlich gute Wünsche zu überbringen. Keinesfalls durfte auch der Besuch bei den Großeltern vor Beginn der Fastenzeit vergessen werden, um Brot und Salz mitzubringen. Beileidsbesuche, Besuche, um Glückwünsche zu überbringen, Dankesbesuche, Besuche anlässlich von Feierlichkeiten… es war alles sehr ermüdend.
Aber was ist, wenn Sie zu Ihren Freunden kommen und sie nicht zu Hause sind? Dann müssen Sie Ihre persönliche Visitenkarte hinterlassen. Langsam ersetzte das Versenden von Visitenkarten die tatsächlichen Besuche. Dieser „trendige“ Brauch kam nach dem Krieg von 1812 aus England nach Russland. Es war eine Ehrerbietung, persönlich zu erscheinen, um die Karte bei Freunden oder Verwandten zu hinterlassen. Es galt jedoch als unhöflich, eine Karte im Haus einer Person von höherem Rang zu lassen. Solche Besuche wurden auf altmodische Weise persönlich absolviert. Bei weniger wichtigen Kontakten war es sogar möglich, dem Dienstboten die Visitenkarte übergeben zu lassen.
Visitenkarte des Fürsten Wladimir Urussow
ArchivfotoDie mit Wappen und Schriftzügen verzierten Karten stapelten sich in den Häusern der Wohlhabenden in der Eingangshalle, entweder auf einem Beistelltisch oder sie wurden hinter dem Spiegel versteckt. Wenn also ein Gast kam, während er darauf wartete, dass die Bediensteten dem Gastgeber mitteilten, dass er einen Besucher hat, konnte der Gast die Popularität und gesellschaftlichen Bindungen seines Gastgebers anhand der Karten beurteilen.
Die Modehändler der damaligen Zeit stellten gerne die Visitenkarten berühmter und beliebter Kunden zur Schau, so wie sich heutzutage gerne mancher mit der Bekanntschaft zu Social-Media-Stars brüstet.
Visitenkarte des Fürsten Pjotr Trubezkoi
ArchivfotoEinige Leute bestachen sogar die Lakaien anderer Haushalte, damit diese sie mit den Visitenkarten bekannter Persönlichkeiten versorgten, Fürsten, Grafen, reiche Geschäftsleute, um diese hinter dem eigenen Spiegel zu platzieren und so den Anschein zu erwecken, hochnoblen Besuch zu bekommen.
Für diejenigen, die keine Bediensteten hatten, die die Karten verteilen konnten, war es ein Ärgernis. „Bei uns sei Gott vor, dass jemand vergisst, einem Verwandten zu einem Feiertag eine Visitenkarte vorbeizubringen. Anstatt also wie ein Christ zu beten, der Messe zuzuhören und die Feiertage mit ihren Familien zu verbringen, meine Damen und Herren, galoppieren Sie durch die Straßen, um ihre Karten zu verteilen. Dann kehren Sie nach Hause zurück, frierend, erschöpft und genervt“, schrieb eine bekannte Zeitschrift im Jahr 1823.
Visitenkarte des Grafen Alexei Tolstoi
ArchivfotoIn der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, mit der Installation von Telefonen, die in den 1880er Jahren begann, wurden Visitenkarten immer weniger wichtig - obwohl wohlhabende und konservative Adelsfamilien bis in die 1910er Jahre an dieser altmodischen Tradition festhielten.
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