Wie aus einem Fußballer im russischen Kaiserreich ein Gegner der Bolschewiki wurde

Russia Beyond (Photo: rawpixel.com, public domain)
Pjotr Sokolow spielte bei den Olympischen Spielen 1912 für die Fußballnationalmannschaft des Russischen Reiches und plante eine Karriere im Sport. Aber die Revolution machte aus dem Sportler einen leidenschaftlichen Kämpfer gegen das ihm verhasste Sowjetregime.

Ende des 19. Jahrhunderts kam eine neue Sportart ins Russische Reich - der Fußball. Der 1891 in St. Petersburg geborene Pjotr Sokolow begeisterte sich dafür und begann seine Karriere als Kicker in der Fußballmannschaft Udelnaja. Im Jahr 1911 wechselte er zu Unitas und gewann mit seinem Club die Meisterschaften von St. Petersburg und Russland.

Sokolow war Flügelverteidiger. Auf nationaler Ebene war er sehr erfolgreich, bei internationalen Spielen konnte er nicht glänzen.  

Pjotr Sokolow steht ganz links.

Ende November 1911 bestritt die Fußballnationalmannschaft des Kaiserreichs ihr erstes Freundschaftsspiel gegen England. Die Spieler von der britischen Insel gewannen haushoch mit 11:0.

Im folgenden Jahr nahm das Russische Reich an den Olympischen Spielen in Stockholm teil. Beide Spiele im Rahmen der Olympiade endeten mit einer Niederlage. Aber ohnehin hatte niemand große Erwartungen an das Team gehabt. Der Erste Weltkrieg brach bald darauf aus und die VI. Olympischen Sommerspiele wurden abgesagt. 

Russische Fußballnationalmannschaft.

Pjotr wollte sein Leben dem Fußball widmen. Aber die Ereignisse von 1917 zwangen ihn, seine Pläne zu überdenken. Als überzeugter Monarchist schloss sich Sokolow der Weißen Bewegung an. Aber er hatte nicht vor, an der Front zu kämpfen, sondern er wollte als Spion aktiv werden. 

Verbündet mit den Briten

Pjotr schaffte es, Kontakt mit Vertretern des britischen Geheimdienstes aufzunehmen, und erhielt seinen ersten Auftrag. Er beobachtete die Lage in Petrograd, das sich im Griff der Revolution befand, und gab Informationen an das britische Kommando in Archangelsk weiter. Sokolow gab diese Mission später auf eigenen Wunsch auf.

Dann schickten die Briten Sokolov nach Helsinki. Hier traf er Ernest Boyce vom britischen Geheimdienst. Nach einem Interview erhielt Pjotr einen weiteren Auftrag. Er sollte nun Kurier zwischen dem britischen Spionage-Hauptquartier in Terijoki (dem heutigen Selenogorsk, einem Vorort von St. Petersburg, damals zu Finnland gehörend) und dem Geheimagenten Paul Dukes in Petrograd sein.

Paul Dukes.

Inzwischen endete der Bürgerkrieg mit einer Niederlage der Weißen. Sokolow blieb in Terijoki, kaufte ein Haus und gründete eine Familie. Der britische Geheimdienst hatte seine Operationen auf sowjetischem Territorium offiziell eingestellt. Pjotr lebte nun vom illegalen Handel mit verschiedenen Waren sowie von der Rekrutierung von Einzelpersonen zu Spionagezwecken. Häufig waren es Sportler, die er aus der Kaiserzeit kannte. Sokolow rekrutierte auch russische Emigranten in Finnland. Zu diesem Zweck gründete der Spion den Terijoki-Fußballverein, in dem mehr als nur Sport geboten wurde - hier manipulierte er junge Menschen.

Die Sowjetunion wusste von Sokolows subversiven Aktivitäten, aber es gelang der OGPU-Geheimpolizei nicht, ihn zu überführen. Pjotr schien einen sechsten Sinn zu haben, wenn es darum ging, Tschekisten zu erkennen und es gelang ihm immer, sich ihnen zu entziehen.  Einem Bericht zufolge wurde versucht, Sokolow zurück in die Heimat zu locken, indem man an seine emotionale Bindung zu Verwandten appellierte, doch vergeblich. Dann griff die UdSSR zu extremeren Maßnahmen. Der Kreml forderte offiziell von Finnland, Sokolow aus der Karelischen Landenge zu vertreiben und die Finnen stimmten zu. Sokolow ließ sich anschließend in Helsinki nieder. Er musste seinen Lebensunterhalt als Arbeiter verdienen und bekam einen Job in der Tabakfabrik Fennia.

Er war offensichtlich nicht für ein ruhiges Leben geeignet. Sokolow gab die Emigrantenzeitung Russkoje Slowo heraus und schloss sich mehreren antisowjetischen Bewegungen an. Einige Jahre lang unternahm Pjotr jedoch keine spezifischen subversiven Aktivitäten, da Großbritannien zu diesem Zeitpunkt seine Spionageaktivitäten die UdSSR betreffend zurückgefahren hatte.

Die Situation änderte sich 1939 mit dem Ausbruch des Sowjetisch-Finnischen Krieges. Sokolow wurde als erfahrener Spion eingeladen, sich dem Propagandadienst anzuschließen. Zu seinen Aufgaben gehörten Besuche in Lagern, in denen sowjetische Kriegsgefangene untergebracht waren. Er versuchte die Menschen davon zu überzeugen, sich dem Kampf gegen die Bolschewiki anzuschließen, und rekrutierte Personal für Spionageaktivitäten auf sowjetischem Gebiet.

Ein letzter Versuch

Diese besondere Konfrontation ging bald zu Ende, und schon stand die nächste vor der Tür: der Große Vaterländische Krieg. Pjotr schloss sich erneut mit den Feinden der Sowjetunion zusammen. Er leitete die Propagandazeitung Sewernoje Slowo und engagierte sich für Propagandasendungen im Radio. Zur gleichen Zeit rekrutierte er sowjetische Gefangene und trat auch dem Sonderkommando Leningrad bei, was eine Spezialeinheit der Nazis war.

Pjotr Sokolow zeichnet Propagandasendungen im Radio auf.

Als sich das Blatt im Krieg wendete, bereiteten sich auch die Finnen darauf vor, die Konfrontation mit der Sowjetunion zu beenden. Sokolow wurde nicht mehr gebraucht. Pjotr hatte nun keine Unterstützer mehr und ihm war klar, dass die Tschekisten eine Gelegenheit suchen würden, sich an ihm zu rächen. Es war zu gefährlich, in Finnland zu bleiben. Er ließ Frau und drei Töchter zurück und setzte sich nach Schweden ab.

Er ließ sich in der Stadt Enköping nieder, änderte seinen Vornamen, heiratete eine einheimische Frau und nahm ihren Nachnamen an. Und so begann ein Masseur namens Paul Sahlin kurz darauf, bei einem Sportverein in der Stadt zu arbeiten. Aber die Tschekisten konnten ihn identifizieren. Die Sowjetunion forderte Schweden auf, den Verräter auszuweisen, doch der Antrag wurde abgelehnt.

Bis zu seinem Lebensende verließ Sokolow Schweden nicht. Er starb 1971 in Stockholm. Viele Jahre zuvor hatte er bei den Olympischen Spielen in dieser Stadt Fußball für das russische Kaiserreich gespielt.

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