Lew Berberow, seine Frau Nina und ihre beiden Kinder - Eva und Roman - lebten in einer geräumigen Wohnung im sowjetischen Baku, der heutigen Hauptstadt Aserbaidschans. Lew arbeitete als Architekt. Sein ganzes Leben lang hatte er sich für wilde Tiere begeistert.
Im Sommer 1970 waren Nina und Eva in einem Zoo und sahen „einen erbärmlichen, grauen zusammengekrümmten Fellberg“ in einem der Gehege. Meine Tochter sagte zu mir: ‚Mama, schau, da stirbt ein kleiner Hund.‘ Ich antwortete: ‚Liebling, es ist kein Hund, es ist ein kleiner Löwe, der König der Tiere. Er muss krank sein.‘ Ich bat den Zoo-Direktor, uns das arme Jungtier zu geben", erinnerte sich Nina.
Die Berberows fanden einen Tierarzt, der ihnen half, das Löwenbaby wieder gesund zu pflegen. Sie nannten ihn King, zu Deutsch König, zu Ehren des Königs der Tiere.
Sie spannten ein Netz um den Balkon ihrer Wohnung, so dass King nach draußen gehen konnte. Sie führten ihn auch jeden Morgen im Park spazieren. Den Rest der Zeit streifte er frei in der Wohnung umher. Laut Nina verstand sich King auch mit den anderen Haustieren der Berberows gut.
„Manchmal, wenn King gelangweilt war, kam er in unser Schlafzimmer, kletterte in unser Bett, schob mich oder Lew zur Seite, legte sich auf den Rücken und schlief fest ein. Am Morgen wachte er mit uns zusammen auf, frühstückte mit uns und spielte mit den Kindern. Sie zogen ihn an den Schnurrhaaren und ritten auf ihm. Er ließ sich alles gefallen und zeigte nie auch nur einen Anflug von Aggression“, erzählte Nina.
Die Nachbarn waren nicht ganz so begeistert von Kings Anwesenheit. „Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, fand ich keine Ruhe und konnte auch nicht schlafen. Der Löwe brüllte so laut, dass das Geschirr klirrte. Manchmal warf sich der Löwe mit Gebrüll gegen die Wand und der Putz bröckelte. Aber das Schlimmste waren der Geruch und sein Fell“, beklagte sich Alexander Kriwenko, ein Nachbar der Berberows in Baku, Anfang der 1970er Jahre.
Auf alle Beschwerden erwiderte Lew Berberow, dass es sich um ein einzigartiges Experiment zur Domestizierung von Wildtieren handele. Die örtliche Zweigstelle der Kommunistischen Partei war mit dieser Erklärung zufrieden. Sie hatte sogar angeordnet, dass täglich ein Lastwagen am Wohnblock der Berberows vorfuhr, der kostenlos Fleisch für King lieferte, berichtete das Magazin „Diletant“.
King als Filmstar
Im Laufe der Zeit besuchten nahezu täglich Journalisten aus Aserbaidschan und später auch aus Moskau die Berberows. Jeder wollte den Löwen am Esstisch sitzen oder im Bett liegen sehen.
1973 spielte King in der Komödie „Die unglaubwürdige Abenteuer der Italiener in Russland“ mit. Dafür zog die Familie Berberow zunächst nach Moskau und dann nach Leningrad (heute St. Petersburg). King erwies sich als schlechter Schauspieler. Die Familie Berberow hatte ihn nie dressiert. Er konnte nicht einmal die einfachsten Befehle befolgen.
Nach den Dreharbeiten zogen die Berberows mit King nach Moskau. Der Löwe wurde während der Sommerferien in der Schule Nr. 74 untergebracht.
Kings tragischer Tod
Am 24. Juli 1973 spielte King mit einem Assistenten namens Alexander Fußball in der Turnhalle der Schule. Es ist nicht bekannt, ob dieser von der Familie beauftragt worden war oder für die Dauer der Dreharbeiten vom Filmteam. Die Fenster der Turnhalle waren nicht vollständig geschlossen. Alexander ließ King irgendwann alleine.
In diesem Moment kam der 18-jährige Schüler Wladimir Markow an der Schule vorbei. Zusammen mit seiner Freundin führte er einen Hund aus. Der neugierige Hund kroch durch ein Loch durch den Zaun auf das Schulgelände. Markow kletterte über den Zaun, holte den Hund zurück, übergab ihn seiner Freundin und wollte gerade wieder über den Zaun klettern, als sich plötzlich King auf ihn stürzte.
Das Mädchen stieß einen markerschütternden Schrei aus. Passanten riefen die Polizei. Leutnant Alexander Gurow erreichte den Ort des Geschehens und sah das 240 Kilogramm schwere Tier im Gebüsch. Markow lag unter ihm, voller Biss- und Kratzwunden. King wollte dem Jungen bei lebendigem Leibe den Kopf abreißen. Gurow zog seine Waffe und feuerte mehrfach auf das Tier.
Markow hat überlebt. Für Kings Familie war sein Tod eine Tragödie. Die Berberows forderten sogar, dass Gurow wegen Mordes an dem Löwen verhaftet werden solle, denn sie waren überzeugt davon, dass Markow den Angriff provoziert habe.
Die Versuche, den Polizisten ins Gefängnis zu bringen, waren erfolglos und die Familie kehrte nach Baku zurück.
King II und der Tod eines Kindes
Kurz darauf bekam die Familie ein zweites Löwenbaby und nannte es King II. Das Tier war ganz anders als sein Vorgänger. „Wir hatten King vor dem Tod gerettet und er dankte es uns mit Respekt und gutem Benehmen Dieser neue Löwe forderte dagegen Respekt“, so Nina Berberowa.
1978 starb Vater Berberow an einem Herzinfarkt und Nina blieb mit den Kindern, King II und weiteren Tieren, einschließlich des Pumas Lelija, allein in der Wohnung zurück. Nina sagte, dass King II keine Aggression gezeigt habe.
Die Idylle hielt bis zum 24. November 1980. An diesem Tag kam Nina nach der Arbeit in die Wohnung und sah Lelija, den Puma, zusammengekauert in einer Ecke sitzen. King II tobte auf dem Balkon. Ein Nachbar hatte ihn mit brennenden Plastikteilen beworfen. Nina verjagte den Nachbarn, gab ihrem Sohn zu Essen und wollte King II sein Fleisch bringen. Der Löwe zeigte plötzlich ein nie dagewesenes Verhalten. Er griff Nina an.
„Roman sprang auf und versuchte wegzulaufen, aber King II hatte ihn mit einem Satz eingeholt und tötete ihn. Er riss ihm den Skalp ab und brach ihm das Genick. Ich wurde ohnmächtig und kam erst wieder zu mir, als ich die Schüsse hörte. Nachbarn hatten die Polizei gerufen. Diese feuerte vom Dach aus aus allen Richtungen auf das Tier“, erinnerte sich Nina.
Roman Berberow starb 24 Stunden später im Krankenhaus, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Nina Berberowa wurde von ihrer Tochter und einem Freund, den sie später heiratete, wieder gesund gepflegt. Sie zog keine wilden Tiere mehr auf. Den Tod ihres Sohnes hat sie sich nie vergeben.