Warum sowjetische Spezialeinheiten Adidas trugen – und wie sie es zu verbergen versuchten

Geschichte
JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Mit Adidas-Turnschuhen wurde die gesamte sowjetische Olympiamannschaft ausgestattet, dann wurden sie unter einer völlig anderen Marke verkauft und schließlich wurden in ihnen die Spezialeinheiten nach Afghanistan geschickt.

Trotz der Tatsache, dass die Lebensweise des Westens und alles, was dort produziert wurde, in der Sowjetunion offiziell als „unmoralisch“ galt, arbeiteten die sowjetischen Behörden recht aktiv mit dem Westen zusammen. Solche Verbindungen wurden nicht öffentlich bekannt gemacht, Hinweise darauf gab es jedoch in internen Berichten und in der ausländischen Presse. Eine solche geheime Allianz bestand mit Adidas.

Geheime Verträge

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Olympischen Spiele zu einer der wichtigsten Plattformen für die Werbung von Sportartikeln, auch wenn diese indirekt und inoffiziell war. Jedes Unternehmen träumte davon, dass seine Produkte von Spitzensportlern verwendet würden. Die UdSSR war in dieser Hinsicht besonders attraktiv: Die sowjetischen Athleten gehörten zu den stärksten, und die Abschottung des Landes zog eine erhöhte Aufmerksamkeit auf sich.

Es wird angenommen, dass die Allianz zwischen Adidas und der UdSSR 1980 entstand, als Moskau die Olympischen Spiele ausrichtete. Aber alles begann lange davor.

In einer Notiz des Komitees für Körperkultur und Sport beim Ministerrat der UdSSR an das Zentralkomitee der Partei aus dem Jahre 1979 mit dem Titel „Über die Zusammenarbeit mit der Firma Adidas (BRD)“ wird vermerkt, dass mit der deutschen Firma „das Sportkomitee der UdSSR seit 20 Jahren eine kontinuierliche Zusammenarbeit betreibt.“

Auch andere westliche Marken wurden von sowjetischen Sportlern verwendet. Im Jahr 1965 berichtete die New York Times unter Berufung auf die Agentur AP über eine Bestellung von 46 Paar Schuhen für Basketballspieler, die dieamerikanische Converse Rubber Company von der UdSSR erhielt.

Die Erklärung für die Doppelmoral der sowjetischen Regierung war banal: In dem Land wurden keine guten, wettbewerbsfähigen Sportschuhe hergestellt – es fehlten Technologien und Materialien. Aber die Situation musste irgendwie gelöst werden. Und mit Adidas gab es auch eine Lösung.

Ausblenden“ der drei Streifen

So begann die sowjetische Führung in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre, eine offizielle Beziehung zu Adidas zu gestalten. Das Unternehmen wurde zum Ausstatter der sowjetischen Nationalmannschaft für die bevorstehenden Olympischen Spiele und der Großteil des Angebots bestand aus modernen Sportschuhen. Doch 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein und lösten damit einen internationalen Boykott und eine starke Abkühlung der Beziehungen zum Westen aus. Daraufhin verweigerten 65 Länder, darunter auch Deutschland, die Teilnahme an den Olympischen Spielen und der „offizielle Ausrüster“ befand sich in einer schwierigen Situation. Man wollte den „Fang“ auch unter diesen schwierigen Umständen nicht vom Haken lassen. Außerdem, so zeigen einige Dokumente, war Horst Dassler, der Vorstandsvorsitzende von Adidas, während der Spannungen rund um die Spiele tatsächlich als außenpolitischer Berater der Sowjets tätig – und informierte die Offiziellen über die Stimmung in anderen Ländern.

Die Sowjets ihrerseits stellten ihre eigenen harten Forderungen an das kapitalistische Geschäft. Zunächst mussten alle Adidas-Logos und der Name Adidas entfernt werden, damit der westliche Hersteller nicht auf Fotos oder Videos von sowjetischen Sportlern zu erkennen war. Zweitens musste die gesamte Produktion dieser Charge in die UdSSR verlagert und anschließend die Ausrüstung überlassen werden.

Zu diesem Zweck erwarb die UdSSR von Adidas eine Lizenz zur Herstellung von Turnschuhen. Für das deutsche Unternehmen war das normal, die UdSSR war damals das zwanzigste Land, das Adidas-Schuhe in Lizenz produzierte. Zusätzlich zu der Lizenz mussten von den Deutschen Ausrüstung, chemische Rohstoffe und andere notwendige Materialien erworben werden. Nach entsprechenden Untersuchungen stellte sich heraus, dass nur drei Arten von Kunststoffen, über die die Sowjets verfügten, für die Herstellung solcher Schuhe geeignet waren.

In der Sowjetunion wurde ein Modell auf Basis des Klassikers Gazelle in mehreren Farben produziert. Es schaffte es kaum in die Regale: Ein Teil davon ging direkt in den Export, einenanderen Teil erhielt die sowjetische Nationalmannschaft, jedoch nur in Hellblau (weswegen angenommen wurde, dass andere Varianten einfach nicht existieren). Die markanten drei Streifen an den Seiten wurden beibehalten, aber das Logo komplett neu gestaltet und der Markenname von Adidasin Moskwa geändert. In der Sowjetunion selbst wurden diese Turnschuhe deshalb auch nur kurzMoskwa genannt.

Damals wollten die meisten Sowjets Turnschuhe tragen: „Davor [bei den Olympischen Spielen] gab es keinen besonderen Kult [um Turnschuhe]. Wir trugen sie eher als Sportschuhe und es war zum Beispiel nicht üblich, mit Turnschuhen zur Arbeit in einem seriösen Betrieb zu gehen“, erinnert sichein Zeitgenosse. „Vor der Olympiade wurde viel über Sportler berichtet, vor allem aus dem Ausland, mit Fotos, in Fernsehberichten... Und die Menschen sahen das und beschlossen, dass Turnschuhe mit Jeans eine tolle Kombination für die Alltagskleidung sind, und sie begannen, sie zu ergattern. Und plötzlich waren Turnschuhe, sogar einheimische, nicht mehr zu haben...“

Adidas hatte ein strenges Personalauswahlverfahren durchgeführt. MischaUlichanján, Direktor der Sporschuh-Fabrik in Jeghward (Armenische SSR), die ab 1985 Adidas-Lizenzprodukte herstellte, erinnert sich: „Die Deutschen kamen hierher, sie stellten nur junge Frauen unter 23 Jahren ein. Es war untersagt, ältere Frauen einzustellen. Und [es war Bedingung], dass sie vorher nicht gearbeitet hatten und keinen Berufsabschluss hatten. Denn in diesem Alter hatten sie noch nicht gelernt, wie man schlampig arbeitet. So würden sie also lernen, Adidas-Schuhe zu nähen, ohne Erfahrung in der Herstellung von Schuhen niedriger Qualität zu haben.“

„Coole“ Schuhe für die Spezialkräfte

Daher standen die in der UdSSR hergestellten Schuhe denen aus Deutschland in der Qualität nicht nach. Und das ist auch der Grund, warum die Moskwa-Sneaker, eine Art Rebranding von Adidas, ihren Weg in das Land fanden, das der Grund für den Boykott der Olympischen Spiele war: nach Afghanistan.

Tatsächlich war die Standardausrüstung der sowjetischen Streitkräfte für das felsige Gelände Afghanistans nicht allzu geeignet und das lag vor allem am Schuhwerk: Die sowjetischen Stiefel verursachten beim Gehen zu starke Geräusche und waren nicht zum Bergsteigen geeignet.

Deshalb gestattete man den Angehörigender Eliteeinheiten, wie den Fallschirmspringern und den Spezialeinheiten, zu improvisieren: Sie wählten sich leichte, vielseitige und für das Gelände geeignete Schuhe – die Wahl fiel auf die Moskwa-Turnschuhe, was dem politischen Gegner nicht verborgen blieb: „Wann immer möglich, steckten die Kommandeure ihre Soldaten in Tennisschuhe“, heißt es in einem Bericht des U.S. Office of Military Research von 1995.

Das verstanden auch die sowjetischen Befehlshaber, weshalb sie die Veröffentlichung von Fotos von Soldaten in Turnschuhen in der Presse zu verhindern versuchten. Ungeachtet dessen sickerten Fotos zur Presse durch... und verliehen denMoskwa-Turnschuhen Kultstatus. Die „Coolness“ dieser Turnschuhe ging so weit, dass dieses Modell fast überall verewigt wurde, wo sowjetische Soldaten und Afghanistan (und später Tschetschenien, wo die Turnschuhe ebenfalls getragen wurden) vorkamen: in Filmen, militärischen Rekonstruktionen, Spielfiguren und Kinokulissen.

Die Produktion derMoskwa-Turnschuhe wurdeerst 2011 eingestellt, als sie im Rahmen einer Militärreform durch modernere, speziell für die Armee entwickelte Schuhe ersetzt wurden.

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